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Digital In Arbeit

Wir sind keine Bremser!

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Die Arbeitszeitreduktion könne „nicht rundweg als Mittel der Beschäftigungspolitik abgelehnt werden“, schrieb in einer der letzten Nummern der FURCHE Felix Butschek vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Diesmal nimmt der Generalsekretär des Arbeitnehmerflügels der ÖVP Stellung: Arbeitszeitverkürzung ist denkbar, aber kann nicht zu Gunsten der Dritten Welt verzichtet werden.

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Die Arbeitszeitreduktion könne „nicht rundweg als Mittel der Beschäftigungspolitik abgelehnt werden“, schrieb in einer der letzten Nummern der FURCHE Felix Butschek vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Diesmal nimmt der Generalsekretär des Arbeitnehmerflügels der ÖVP Stellung: Arbeitszeitverkürzung ist denkbar, aber kann nicht zu Gunsten der Dritten Welt verzichtet werden.

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Die Diskussion um die Einführung der 35-Stundenwoche läuft sporadisch. ÖVP und SPÖ gehen in Ausgangspositionen. Beide halten eine solche Entwicklung grundsätzlich für denkbar, gehen jedoch von verschiedenen Voraussetzungen aus. Auch innerhalb der Parteien gibt es unterschiedliche Standpunkte.

Man braucht kein Prophet zu sein, um vorherzusehen, daß über den Termin irgendwann der Streit entbrennen wird. Für den ÖAAB wird das Verantwortungs-Sorgen-Gemisch bleiben, daß die Sozialisten die Arbeitszeitverkürzung früh wählerorientiert „reizen“ werden. Das heißt, unbeschadet wirtschaftspolitischer Vernunft wird man, sobald der Wunsch der Wähler in eine solche Richtung stärker fühlbar wird, sich zum Anwalt der Sehnsüchte machen; man verläßt sich auf den Sozialpartner, mitupter auf die ÖVP, die Wandlung vom Wunschtraum zur Realität zu bremsen. Dieser Fahrstil funktionierte bisher.

Die Erfahrung sollte aber die Sozialisten lehren, daß Bremsdefekte durch Uberbelastung immer wahrscheinlicher werden und zu schwersten Unfällen führen. Die Erfahrung lehrte die ÖVP bzw. den ÖAAB ebenso - die Urlaubswehen wie der Erfolg bei der Arberterabfertigung waren dabei einprägsam - daß der Kurs vom Lenker bestimmt wird und nicht vom verantwortungsbewußten Bremser. Unser Ziel muß es allemal bleiben, vernünftiger Lenker zu sein.

Die Diskussion wird in zwei Hauptrichtungen geführt. Im Vordergrund steht die Frage, ob Arbeitszeitverkürzungen ein wirksames Instrument zur Arbeitsplatzsicherung wären. Nicht nur Eugen Veselsky als Präsident der Gesellschaft für Zukunftsforschung (der allerdings bei seiner eigenen Zukunft mit seiner Forschertätigkeit eher weniger gute Erfahrungen machen mußte) und Finanzminister Hannes Androsch (der für seine Zukunft sehr gut vorgesorgt hat) befinden sich im Widerspruch.

Der eine sieht in der Einführung der 35-Stunden-Woche in Österreich die einzige Maßnahme, die auf breitester Basis nur positive Wirkung hat. Das gilt für das Wirtschaftswachstum genauso wie auf die Leistungsbilanz wie für die Vollbeschäftigung. Der andere meint, auftauchende Forderungen nach einer 35-Stunden-Wo-che würde er mit „großer Zurückhaltung begegnen.“

Ähnlich unterschiedlich sind die Ansichten der Wirtschaftsforscher. Die Palette der Antworten vergrößert sich linear mit der Zahl der Befragten, wobei der „Einfachheit“ halber und der „Unvergleichlichkeit“ wegen jeder von anderen Voraussetzungen ausgeht.

Ich bin in dieser Frage Anhänger einer optimistischen Entwicklung. Der technologische Fortschritt, die neue ökologische Verantwortung, die bessere Arbeitsorganisation, der weltweite Erfahrungsaustausch werden uns weitere Arbeitszeitverkürzungen erlauben. Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung jedoch wird von den „höchstentwickelten“ Ländern ausgehen müssen.

Wenn wir dorthin gelangt sind, können wir am frühesten mit dabei sein, harmonisch Arbeitszeit abzubauen. Wobei diese Harmonie sicher nicht zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter erreicht werden kann - hier kann es immer nur um Annäherung gehen - sondern zwischen Leistungssteigerung, Arbeitszeitverkürzung und Entgelt. Natürlich könnte jederzeit Arbeitszeitverkürzung gegen Einkommensverzicht getauscht werden.

Die kommende Arbeitszeitverkürzung wird sicherlich nur in Etappen erfolgen können, wobei der erste Schritt flexible Pensionsgrenzen ebenso sein könnten, wie eine Herabsetzung des möglichen Pensionsalters. Es wären aber auch durchaus Arbeitszeitverkürzungen in einzelnen Branchen möglich. Auch die, amerikanische Idee des „Partnerschaftsarbeitsplatzes“ harrt der großen Erprobung. Je mehr unterschiedliche Erfahrungen gesammelt werden können, desto ausgewogener könnte die große Lösung ausfallen.

Eine weltweite Wirtschaftskrise, von der viele meinen, die heutigen

Lenkungsinstrumente bewahrten uns vor einer solchen, würde in der Frage der Arbeitszeit außergewöhnliche Eingriffe verlangen. Wenn wir nämlich in der Arbeit ein Grundrecht der Demokratie sehen, wäre es nur schwer ertragbar, sich vorzustellen, daß es auf lange Sicht Arbeitsplatz-privilegierte und Unterprivilegierte gibt. Nämlich jene, die auch in der Krise ihren Arbeitsplatz mit hohem Stundenanteü halten und etwa Jugendliche, die überhaupt keinen Eingang in die Berufswelt finden.

Die zweite Möglichkeit an die Diskussion heranzugehen ist, zu fragen, ob „die kürzeste Arbeitszeit“ an sich

„Oder sind wir bereit, ohne daß wir Dank ernten, für die armen Länder ohne Gegengeschäft zu arbeiten?“ nicht auch ein politisches Ziel wäre, ob wir arbeiten um zu essen oder umgekehrt. Müssen wir im Schweiße unseres Angesichtes unser Brot verdienen, oder dürfen wir als Nutznießer der Mikroprozessoren unseren Zeiteinsatz für den „Broterwerb“ immer mehr reduzieren?

Die zunehmende Freizeit wird nicht reine Erholungszeit sein müssen; sie sollte menschlicher, kultureller genützt werden. Arbeitszeitverkürzung darf also nicht als Abfallprodukt des Fortschritts gesehen werden, sondern aller Fortschritt ist zu nützen, um den Menschen Zeit für sich selbst und die menschliche Gemeinschaft zu geben.

Dem ÖAAB und seinen christlichen Wurzeln steht dieses Ziel voran. Bevor wir allerdings allzu rasch Bravo sagen, wäre trotz Wahlkampf und nationalem Propagandagetöse zu fragen: können wir diesen großen Schritt zu weniger Arbeit tun und die weniger entwickelten europäischen Länder noch stärker abdrängen und die dritte Welt hoffnungslos alleine lassen? Oder sind wir bereit, ohne daß wir Dank ernten, für die armen Länder ohne Gegengeschäft zu arbeiten?

Sehr konkret: sind wir bereit, auf Arbeitszeitverkürzung zu verzichten, obwohl wir sie uns wirtschaftich leisten könnten, um die Erträgnisse dieser „verzichtbaren Arbeitszeit“, den ärmeren Ländern zur Verfügung zu stellen?

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