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Wir sind keine Erziehungsdemokratie!

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Wann ist die Bundespräsidentschaft Mittelpunkt des Interesses? Vor und nach der Wahl; vor allem, wenn um sie gekämpft wird. In der Zeit des Wahlkampfes steht die Bundespräsidentschaft im Licht der Öffentlichkeit; in der übrigen Zeit stand sie bisher im Schatten. In der Zeit des Wahlkampfes wurde das Amt des Bundespräsidenten immer hochgespielt; da ist es politisch, hochpolitisch, nur politisch. Nach der Wahl wurde das Amt „heruntergespielt“; es wurde für die Journalisten uninteressant, es wirkte machtlos, manchen schien es überflüssig zu sein. Während der Bundeskanzler auf Schritt und Tritt politisch zu Wort und aufs Bild kommt, war der Bundespräsident bisher gewissermaßen politisch stumm und unsichtbar. Das Amt des Staatsoberhauptes, die Hofburg und ihr Genius loci, die politischen Parteien zumal, sie schirmten den Bundespräsidenten bisher vor der Öffentlichkeit zu sehr ab. Das mag sich in der Zukunft ändern. Es hängt vom Bundespräsidenten ab.

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Wann ist die Bundespräsidentschaft Mittelpunkt des Interesses? Vor und nach der Wahl; vor allem, wenn um sie gekämpft wird. In der Zeit des Wahlkampfes steht die Bundespräsidentschaft im Licht der Öffentlichkeit; in der übrigen Zeit stand sie bisher im Schatten. In der Zeit des Wahlkampfes wurde das Amt des Bundespräsidenten immer hochgespielt; da ist es politisch, hochpolitisch, nur politisch. Nach der Wahl wurde das Amt „heruntergespielt“; es wurde für die Journalisten uninteressant, es wirkte machtlos, manchen schien es überflüssig zu sein. Während der Bundeskanzler auf Schritt und Tritt politisch zu Wort und aufs Bild kommt, war der Bundespräsident bisher gewissermaßen politisch stumm und unsichtbar. Das Amt des Staatsoberhauptes, die Hofburg und ihr Genius loci, die politischen Parteien zumal, sie schirmten den Bundespräsidenten bisher vor der Öffentlichkeit zu sehr ab. Das mag sich in der Zukunft ändern. Es hängt vom Bundespräsidenten ab.

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Ein neues Rollenverständnis ist in verschiedenen „Startzeichen“ des neuen Bundespräsidenten erkennbar.

Manche sind mit der Tabuisierung politischer Institutionen einverstanden, nicht zuletzt auch Träger dieser Institutionen. Es kommt aber auf das rechte Maß an. Gerade das Amt des Bundespräsidenten, das eine einzigartige Institution ist, weil ihm eine gleichartige und gleichwertige Gegenautorität nicht gegenübersteht, darf nicht durch Tabuisierung ins Irrationale entrückt werden. Zuviel an Tabuisierung schadet der politischen Institution einer demokratischen Republik, es verträgt sich nicht mit der Grundannahme der rationalen Entscheidungsfähigkeit der Staatsbürger und dem Ziel der Rationalisierung der Macht. Der Wahlkampf hat — wieder einmal — der Öffentlichkeit klar gemacht, wie machtvoll der Bundespräsident von der Verfassung her angelegt ist. Viele sind erstaunt über die Diskrepanz zwischen den vielen und großen Möglichkeiten, welche die Verfassung dem Bundespräsidenten eröffnet und der behutsamen und geringen Verwirklichung dieser Möglichkeiten durch die bisherigen Bundespräsidenten in der Staatspraxis. Man sollte aber darüber nicht unglücklich sein. Denn eine Reihe wichtiger Kompetenzen des Bundespräsidenten ist auf Not- und Ausnahmesituationen, auf unsichere und labile politische Verhältnisse abgestellt Die Zweite Republik war aber bisher durch Sicherheit und Stabilität gekennzeichnet. Der Bundespräsident mußte kaum wie ein deus ex machina auftreten, er mußte kaum den Krisenmanager spielen. Die Staatspraxis ist daher im Einklang mit der Realität. Dazu kommt, daß sich die in der Verfassung vielleicht theoretisch steckende Alternative „präsidiales oder parlamentarisches Regierungssystem“ auf Grund des Parteiensystems, der politischen Tradition und der politischen Kultur Österreichs eindeutig parlamentarisch verwirklicht hat.

Der Bundespräsident ist dementsprechend und hat sich dementsprechend als parlamentarisches Staatsoberhaupt zu verstehen. Geht man von diesem Verständnis aus, so entspricht ihm die Zurückhaltung und Behutsamkeit in der Wahrnehmung der Kompetenzen. Als einem parlamentarischen Staatsoberhaupt kommt es dem Bundespräsidenten nicht zu,. als politisches Gegengewicht zum Parlament zu agieren. Er hat eine politische Reservefunktion, die Störungen im System verhindern und beheben soll, nicht eine politische Aktivfunktion, die Störungen ins System bringt. Das schließt Innovationen und Initiativen nicht aus. Es soll aber kein präsidialer Sand ins parlamentarische Getriebe. Nur bei einem parlamentarischen Selbstverständnis der Bundespräsidentschaft löst sich die ,,Quadratur des Kreises zwischen Parlamentarismus und Präsidialismus“ auf, den die Verfassung konstruiert. Das „trojanische Pferd aus Weimar“, wie man die Bundespräsidentschaft auf Grund der Verfassung mißtrauisch nennen kann, ist Theorie geblieben. Als einem parlamentarischen Staatsoberhaupt kommt es dem Bundespräsidenten zu, das Parlament zu unterstützen, in Bereitschaft zu stehen für den Fall, daß das parlamentarische Regierungssystem aus sich heraus nicht arbeitsfähig ist, als ruhender Pol in der politischen Erscheinungen Flucht für die Funktionsfähigkeit des Regierungssystems zu sorgen. Bei diesem Verständnis dürfte aber die Befugnis des Bundespräsidenten, den Bundeskanzler und die gesamte Bundesregierung jederzeit zu entlassen, was ohne Vorschlag und ohne Gegenzeichnung erfolgen kann, problematisch sein. Diese Befugnis wurde zwar noch nie wahrgenommen, sie ist auf ein präsidiales Regieren abgestimmt und nicht auf ein parlamentarisches und so ein Fremdkörper in unserem parlamentarischen System. Das Problem hat Merkl schon vor 45 Jahren erkannt, als er feststellte: „Mehr noch als das Ernennungsrecht stärkt die unbeschränkte Freiheit der Entlassung der Regierung den Einfluß des Bundespräsidenten auf die Zusammensetzung der Regierung und auf deren Geschäftsführung... Die in diesen Bestimmungen zum Ausdruck kommende Verfügungsfreiheit des Bundespräsidenten über die Zusammensetzung der Regierung nötigt diese offenbar, ihre Politik nicht bloß mit den Wünschen der Parlamentsmehrheit, sondern auch des Bundespräsidenten in Einklang zu halten, und führt einen ständigen Krisenzustand herbei, wenn Bundespräsident und Parlamentsmehrheit entgegengesetzte politische Richtungen repräsentieren.“ Das in dem unbeschränkten Entlassungsrecht liegende Prinzip des präsidialen Vertrauens hat auch die Konsequenz einer politischen Verantwortlichkeit gegenüber dem Bundespräsidenten. Die Amtsführung der Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere die Amtsführung des Bundeskanzlers, unterliegt einer — wie Walter mit Recht hervorhebt — nicht an nähere Voraussetzungen gebundenen politischen Kontrolle durch den Bundespräsidenten. Wenn er davon nicht Gebrauch macht, ist das seine Sache. Wenn davon nie Gebrauch gemacht wird, ist die Frage zu stellen, ob nicht das präsidiale Entlassungsrecht überhaupt aus der Verfassung eliminiert werden sollte. Ähnliches gilt für die Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens der Bundesgesetze durch den Bundespräsidenten. Die Mehrzahl der Staatsrechtler vertritt diesbezüglich die Auffassung, daß der Bundespräsident unter seiner Verantwortung berechtigt und verpflichtet ist, die Beurkundung zu verweigern, wenn er einen Gesetzesbeschluß aus formal- oder materiellrechtlichen Gründen als nicht verfassungsmäßig zustandegekommen erachtet. Noch nie aber hat ein Bundespräsident die Beurkundung verweigert. Sollte man den Beurkundungsvorgang nicht in den Raum des Parlaments verlagern oder überhaupt aufgeben? Hat diese Einrichtung bei der ausgebauten Verfassungsgerichtsbarkeit nicht ihren Sinn verloren? Ist sie nicht ein leeres Ritual?

Im Hinblick auf den Strukturdefekt der Verfassung „Quadratur des Kreises zwischen Parlamentarismus und Präsidialismus“ wurde schon häufig die Forderung erhoben: „Zurück zur Verfassung von 1920!“ Sicher wären damit Strukturdefekte unserer Verfassung beseitigt. Aber durch die Staatspraxis merkt man diese Defekte nicht und daher entbehrt diese Forderung an Aktualität und sachlicher Notwendigkeit. Immer wieder wird auch zur Diskussion gestellt, ob nicht die Volkswahl des Bundespräsidenten entfallen sollte, ob nicht wieder die Bundesversammlung als Bestellungsorgan fungieren sollte. Das Motiv dafür liegt aber meist nur in der Höhe der Wahlkampfkosten und in der Behauptung mangelnder Fair-ness im Wahlkampf. Beschränkung der Wahlkampfkosten und unibedingte Faimess im Wahlkampf aber sind Fragen, die ohne Verfassungsänderung zu lösen sind. Zur Überwindung des genannten Strukturdefektes wurde von Pelinka und vom Verfasser in „Demokratie und Verfassung in Österreich“ auch die Einführung eines mehrheitsfördern-den Wahlrechtes vorgeschlagen. Das war beim vorliegenden Parteiensystem — zwei Großparteien, eine Kleinpartei — und beim Verhalten der Parteien seit 1966 zueinander unrealistisch. Der politischen Realität und der Staatspraxis aber würde es entsprechen, das Entiassungsrecht des Bundespräsidenten abzuschaffen. Im übrigen führen Diskussionen über eingelebte politische Institutionen erfahrungsgemäß kaum zu grundlegenden Reformen, selbst dann nicht, wenn auch die Politiker grundsätzlich einer Meinung sind. Man denke etwa an die Parlamentsreform. Immerhin bieten solche Diskussionen Informationen und Anregungen.

Ein Problem, das immer wieder angeschnitten wird, ist die Wiederwählbarkeit des Bundespräsidenten. Manche meinen, der Bundespräsident sollte — bei Unzulässigkeit der Wiederwahl — nicht auf sechs, sondern auf sieben Jahre gewählt werden; erfahrungsgemäß sei ein amtierender Bundespräsident unschlagbar. Die Bestimmung, daß die Wiederwahl für die unmittelbar folgende Funktionsperiode nur einmal , zulässig ist, stammt aus der Verfassung von 1920. Die Novelle 1929 hat daran an sich nichts geändert. 1920 sollte sich die gesamte Funktionsperiode eines Bundespräsidenten nicht über acht aufeinanderfolgende Jahre, jetzt soll sie sich nicht über zwölf Jahre hinaus erstrecken. Auf diese Weise soll einerseits ein quasimonarchischer Dauerzustand vermieden werden, anderseits soll dem Grundsatz der Kontinuität Genüge getan werden. Die Wahrung der Kontinuität des Staates, insbesondere der Verwaltung, ist ja eine der Hauptfunktionen des Bundespräsidenten. Er soll ruhender Pol in den politischen Erscheinungen Flucht sein können. Er soll Träger einer bewahrenden und ausgleichenden Autorität sein können. Eine Amtszeit von insgesamt zwölf Jahren ist dafür angemessen. Der Umstand, daß die amtierenden Bundespräsidenten bisher „unschlagbar“ waren, spricht nicht gegen eine zweite Amtsperiode. Auch der politischen Integration und Identifikation dürfte diese Regelung der Verfassung entgegenkommen.

Schließlich wurde auch über die sogenannte Wahlpflicht diskutiert. Da es dabei um eine Grundsatzfrage der Demokratie geht, sollte man darauf näher eingehen. Nach der Bundesverfassung besteht für die Wahl des Bundespräsidenten Wahlpflicht (Art. 60 Abs. 1 B-VG). Außerdem besteht für die Nationalratswahl Wahlpflicht in den Bundesländern, in denen dies durch Landesgesetze angeordnet wird (Art. 26 Abs. 1 B-VG). Das ist derzeit in der Steiermark, in Tirol und in Vorarlberg der Fall. Sowohl die Nationalratswahlordnung 1971 als auch das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971 sehen Entschuldigungsgründe vor, die die Nichtbeteiligung an der Wahl rechtfertigen. Allgemein kann man sagen, daß die Nichtbeteiligung an der Wahl dann entschuldigt ist, wenn man als Wähler durch zwingende Umstände an der Erfüllung seiner Wahlpflicht verhindert ist. Damit Ist die Wahlpflicht „gemildert“. Die Wahlpflicht hat außerdem nur die Gestalt einer „Stimmzettelabgabe-pflicht“. Damit ist jeder Gewissenszwang ausgeschlossen. Das Recht, einen leeren Stimmzettel abzugeben, ist trotz äußerlicher Teilnahme am Wahlakt garantiert. In der Staatepraxis werden im übrigen kaum je Verfolgungshandlungen gegen Personen gesetzt, die nicht an der Wahl teilnahmen.

Die Wahlpflicht ist zwar erst 1929 in die Bundesverfassung eingeführt worden, sie war aber ein altes Anliegen der Christlichsozialen. Schon 1907 wurde sie von der Christlichsozialen Partei durchgesetzt. Der Landesgesetzgebung wurde nämlich durch die Reiehsratswahlordnung gestattet, die Wahlpflicht im jeweiligen Land einzuführen. Die Teilnahme an der Wahl wurde somit nicht nur als Ausübung eines indidivuel-len Rechtes, sondern auch als Erfüllung einer sozialen Pflicht verstanden. Die Christlichsozialen meinten, durch das Wahlrecht werde nicht ein persönliches Interesse des Wählers befriedigt, die Wahl erfolge vielmehr im Interesse der Gesellschaft und des Staats. Es müsse deshalb gefordert werden, daß das Wahlresultat nicht durch zufällige Mehrheiten bestimmt werde, sondern den Willen der Gesamtheit möglichst unanfechtbar zum Ausdruck bringe. Abgesehen davon, müsse der Wahlpflicht ein bedeutender ethischer Wert zugesprochen werden, „weil der Stimmzwang erziehlich wirke, indem er die lässigeren Gruppen der Bevölkerung zur Teilnahme am öffentlichen Leben bewege und ihr Interesse für die von der Gesetzgebung zu lösenden staatlichen Aufgaben wecke und fördere“. Als 1918 das Wahlrecht weiter verbreitert wurde und auch die Frauen wahlberechtigt wurden, finden wir ähnliche Argumente. Wieder wurde als Argument für die Wahlpflicht angeführt, daß sie als Erziehungsmittel für jene Wähler geeignet sei, die bisher nicht im politischen Leben standen, insbesondere für die Frauen. Diese Wählermassen sollten durch die Wahlpflicht zur Beschäftigung mit der Politik, zum Besuche von öffentlichen Versammlungen über politische Fragen angeregt werden, um sich politisch orientieren zu lernen. 1929 kam es zur jetzt noch geltenden Verfassungsregelung. Die Regierungsvorlage zur Verfassungsnovelle 1929 sah nicht mir für die Bundespräsidentenwahl, sondern auch für die Wahlen zum Nationalrat, zu den Landtagen und für Volksabstimmungen Wahl- oder Stimmpflicht vor, dies mit der lakonischen Begründung: ..Bürgerrechte sind auch Bürgerpflichten.“ Die Regierung konnte allerdings diese umfassende Wahlpflicht im Parlament nicht durchsetzen. Bundeskanzler Schober sagte im Parlament: „Für.die Wahlen soll die Wahlpflicht eingeführt werden, damit jeder Bundesbürger dazu erzogen werde, seine Bürgerrechte auch als Bürgerpflichten zu betrachten.“ Wieder bediente man sich somit der alten Argumente.

Heute ziehen diese alten „Erziehungsargumente“ nicht mehr. Die Erziehung zur Demokratie muß anders erfolgen als durch eine „Erziehungsdemokratie“. Das Wahlrecht soll nicht von Rechts wegen zur „Wahlpflicht“ werden, sondern auf Grund autonomer Entscheidung, nach persönlicher Einsicht und Verantwortung des einzelnen. Politische Rechte verlangen eine politische Ethik des einzelnen ohne die staatliche Befehls- und Zwangsgewalt im Hintergrund. Der Staat selbst nimmt die Wahlpflicht schon längst nicht mehr ernst. Wer wird jetzt noch bestraft, wenn er nicht an der Wahl teilnimmt? Die Wahlpflicht wurde durch die Staatspraxis gewissermaßen zur Lex imperfecta. Dazu kommt, daß in einem total politisierten Gemeinwesen, bei den Methoden der modernen Wahlwerbung, bei der durch die Medien aufgeheizten Atmosphäre des Wahlkampfes die Realität des Parteienstaates Österreich die Wahlpflicht fragwürdig macht. Diesseits aller normativen Idealität läßt die soziale Realität die Wahlpflicht problematisch erscheinen. Ja es will scheinen, daß bei dieser Realität manchmal die Nicht-teilnahme an der Wahl der „politischere“ Akt ist als die Teilnahme. Warum soll man gezwungen sein, leere Stimmzettel abzugeben? Schon 1907 wurde von Gegnern der Wahlpflicht vorgebracht, die Freiheit des einzelnen im öffentlichen Leben könne und dürfe nur dann und insoweit eingeschränkt werden, als ein eminent öffentliches Interesse verlange, an Stelle der Freiheit den Zwang zu setzen. Heute ist ein eminent öffentliches Interesse für diesen Zwang nicht mehr gegeben. Die Ausgestaltung der Wahl spricht ebenfalls gegen die Wahlpflicht. Das Wahlverfahren als solches war und ist auf das Recht, auf das rechtlich garantierte subjektive Interesse, abgestellt. Darauf wies schon Kelsen hin, insbesondere auch darauf, daß die Ausschließung vom Wahlrecht zu einer Ausschließung von der Wahlpflicht wird, was doch insofern bedenklich sei, als man von einer Pflicht nicht ausgeschlossen, sondern nur befreit werden könne. Überdies führe dies zu der merkwürdigen Konsequenz, . daß der abgestrafte Verbrecher seinen unbescholtenen Mitbürgern gegenüber den Vorzug genießt, eine staatliche Pflicht nicht erfüllen zu müssen.

Abschließend sei noch eine Kuriosität des Bundespräsidentenwahlgesetzes hervorgehoben. Man kann danach nämlich auch einen Toten wählen, man kann auch für einen Toten einen gültigen Stimmzettel abgeben. Wenn nämlich ein Kandidat nach behördlicher Verlautbarung des Wahlvorschlages — das geschieht am neunten Tage vor dem Wahltage — stirbt, so sind die auf ihn lautenden Stimmen dennoch gültig, wenn sie nicht aus anderen Gründen ungültig sind (Paragraph 13 Abs. 4 Bundespräsidentenwahlgesetz 1971). Der zustellungsbevollmächtigte Vertreter kann zwar beim Tod des Wahlwerbers (Verzicht oder Verlust der Wählbarkeit) den Wahlvorschlag spätestens am zehnten Tage vor dem Wahltag durch Nennung eines anderen Bewerbers ergänzen (Paragraph 8 Abs. 4), nachher aber nicht mehr. Erreicht dann der inzwischen verstorbene Kandidat nicht die absolute Mehrheit, so kann die Wahl deshalb nicht angefochten werden. Erreicht der tote Kandidat die absolute Mehrheit, so ist die Wahl trotzdem gültig, weil von Gesetzes wegen die auf ihn entfallenden Stimmen aus dem Grunde des Todes allein nicht ungültig sind. Der tote Kandidat kann freilich nicht von der Hauptwahlbehörde als gewählt erklärt werden. Es muß vielmehr eine neue Wahl stattfinden.

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