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„Wir sind keine Selbstmörder!”

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FURCHE: Wie steht momentan das Stimmungsbarometer im Kernkraftwerk Zwentendorf?

FRIEDRICH STAUDINGER: Die Dienstnehmer verstehen nicht, was sich in Österreich abspielt, etwa daß eine Zehn-Milli-arden-Schilling-Investition weggeworfen werden soll.

FURCHE: Die Opposition verlangt von der Regierung neue Fakten, die SPÖ-Regierungsfrak-tion verweist auf eine neue Faktenlage. Heißt das, daß Zwentendorf 1978 nicht sicher genug war?

STAUDINGER: Diese Frage mit Ja zu beantworten, das hieße, unsere Dienstnehmer zu Selbstmördern zu stempeln und alle Behörden und Gutachter — hart ausgedrückt — als zumindest fahrlässig zu bezeichnen.

Was sich seit 1978 tatsächlich geändert hat, das ist vor allem die wesentlich andere Situation in der Entsorgung. Damals hatten wir einen Vertrag mit der französischen Wiederaufbereitungsfirma „Cogema” mit der Auflage, den Atommüll nach der Wiederaufbereitung zurückzunehmen. Heute haben wir das Angebot zweier Großstaaten (Sowjetunion und China), die gebrauchten Brennelemente in diesen Ländern endzulagern.

Außerdem kann man darauf hinweisen, daß allein 1984 in der gesamten Welt 23 Kernkraftwerke neu in Betrieb gegangen sind. 1975 haben 21 Länder in der westlichen Welt insgesamt 127 Kernkraftwerke betrieben, 1984 bereits 270 Kraftwerke.

FURCHE: Nochmals konkret: Vom sicherheitstechnischen Standpunkt aus gesehen, hätte Zwentendorf auch schon 1978 in Betrieb gehen können?

STAUDINGER: Ja. Wir waren technisch in der Lage, den Reaktor zu beladen.

FURCHE: Wie hat das Kernkraftwerk die sogenannte Einmottung überstanden? Und ist es heute noch auf dem letzten Stand der Technik?

STAUDINGER: Bei jedem Kraftwerk — das gilt nicht nur für Kernkraftwerke—muß jedes Jahr eine Revision durchgeführt werden. Bei einer solchen Revision werden in kleinem Umfang auch gewisse Erneuerungen und Verbesserungen vorgenommen, denn die Technik lebt ja.

Ich möchte aber ausdrücklich betonen: Das sind Verbesserungen kleinerer Art. Nun: Wenn man — wie im Fall von Zwentendorf — sieben Jahre lang nichts diesbezüglich macht, dann fallen alle diese Revisionen auf einmal an. Deswegen ist aber die Gesamtanlage noch lange nicht veraltet.

FURCHE: Was hat man dann im Kraftwerk in den letzten Jahren konkret gemacht?

STAUDINGER: Man hat den technischen Zustand, wie er im Jahre 1978 gegeben war, erhalten.

FURCHE: In der Diskussion über die Kernkraftnutzung in Österreich taucht immer wieder die Behauptung auf, ein Kraftwerk allein sei wirtschaftlich nicht vertretbar.

STAUDINGER: Ich weiß nichts woher diese Behauptung stammt. Ich vermute aber, daß dabei eine an sich richtige Aussage pervertiert worden ist. Man hat immer gesagt: wenn wir in Österreich ein Lager für hochaktiven Atommüll bauen müssen, dann ist es wirtschaftlicher, ein solches Lager für mehrere Kernkraftwerke zu bauen.

Wenn wir uns aber an einer internationalen Lösung beteiligen, fällt das genannte Argument ja ohnehin weg. Aber auch wenn wir nur ein Kernkraftwerk in Österreich hätten und die Entsorgung im Lande selbst lösen müßten, so wäre dies auch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus vertretbar.

FURCHE: Welche „Uberzeugungsarbeit” in Sachen Atomstrom hat die Zwentendorf-Be-treiber-Gesellschaft seit der Volksabstimmung geleistet?

STAUDINGER: Dazu nur ein Faktum: Wir haben unser Informationszentrum im Kraftwerk weiterbetrieben. Seit dessen Eröffnung im Jahre 1972 haben wir rund 190.000 Besucher gehabt, das sind also im Jahresschnitt etwa 15.000 Personen.

FURCHE: Wie viele Menschen arbeiten derzeit im Kernkraftwerk?

STAUDINGER: Wir haben einen Personalstand von 26 Personen, wovon aber nur etwa zehn ständig und ganztägig arbeiten. Für die werterhaltenden Arbeiten sind diese aber zu wenig. Wir müssen uns deshalb fallweise Personal ausborgen.

FURCHE: Würden Sie eine Nichtinbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf als persönliches Scheitern empfinden?

STAUDINGER: Ich würde das deswegen nicht als persönliches Scheitern betrachten, weil dann Zwentendorf nicht im sachlichen, sondern im politischen Bereich gescheitert ist. Und ich bin nun einmal kein Politiker.

Natürlich ist die Situation für mich nicht leicht, ein eventuelles politisches Scheitern des Kernkraftwerks zugeben zu müssen.

Mit dem Kaufmännisch-administrativen Direktor der Gemeinschaftskraftwerk Tull-nerfeld GesmbH (GKT) sprach Tino Teller.

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