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Wir und die Juden

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Seltsam, aber wahr: Bildung be­deutet hierzulande immer noch Wissen von alten Griechen und Römern, Ägyptern und Chinesen. Von den Juden hört man besten­falls etwas im Religionsunterricht (und dort allzu lange viel Irrefüh­rendes). Gebildete Menschen müß­ten endlich mehr darüber wissen, was die Juden zum abendländischen Kulturgut, zum Menschen- und Weltverständnis beigetragen haben.

Darüber gibt es viel Fachlitera­tur, aber wenig für Nichtgelehrte. Eben deshalb begrüßt Kardinal König in einem Vorwort das jüng­ste Buch des feinsinnigen österrei­chischen Unternehmers und Autors Peter Landesmann. Um so besser, wenn ein jüdischer Vorwortverfas­ser (Schalom Ben-Chorin) dieses Werk auch „suchenden Juden" empfiehlt, die das Wandelbare vom Unauf gebbaren im jüdischen Welt­bild unterscheiden möchten.

Wenn's sein muß, argumentiert der Autor in guter jüdischer Tradi­tion, kann man das Wesen des Ju­dentums auf zwei Sätze reduzie­ren: „Was du nicht willst, daß man es dir antut, tu auch anderen nicht an!" Und: „Geh' und lerne!"

Was als „typisch jüdisch" ins Weltverständnis der Christen und damit unserer Zivilisation einge­gangen ist, verträgt wahrhaft keine Verniedlichung: der eine und einzi­ge Gott als Schöpfer der Welt und aktiv bleibender Wegbegleiter durch die Geschichte, und der Mensch als Abbild Gottes, der im Gewissen zu ihm spricht, ihm die Freiheit der Wahl zwischen Gut und Böse gegeben hat und ihn einmal (gnädig) richten wird.

In den christlichen Gottesdienst ist viel vom jüdischen Ritus einge­flossen: Das Gemeinschaftsgebet (samt seiner Verantwortung stif­tenden Sozialwirkung), Schriftle­sung und Predigt, Psalmen, Taufe und Abendmahl, Brot und Wein als Symbole, die sogar sakrament­begründende Kraft des Wortes, „Alleluja" und „Amen".

Ausführlich befaßt der Autor sich mit Wesen, Entstehung und Mög­lichkeiten der Überwindung des Antisemitismus, worauf sich ver­ständlicherweise die meisten Buch­rezensenten konzentrieren. Für Christen sollte eine unzweideutige Haltung im Sinn von „Nostra aeta-te" allmählich doch eine Selbstver­ständlichkeit sein. Dankbar ange­merkt sei, daß Landesmann, der uns auch in puncto Waldheim nichts erspart, seinerseits auch dialogver-weigemde Juden kritisiert, seine Glaubensgenossen zum Abbau von „Überempfindlichkeiten" aufruft (S. 222) und festhält, daß auch Bibel und Talmud wohl eine kollektive Verantwortung, aber keine Kollek­tivschuld kennen.

Wir Christen aber müßten end­lich auch „die sieben Sünden im Verhältnis Christentum/Judentum" einmal überdenken, die Landes­mann als Irrtümer belegt: 1. Der Gott der Juden ist kein Gott der Rache, sondern ein Gott der Liebe. 2. Juden hängen, selbst wenn sie 613 Gebote und Verbote ernstneh­men, nicht nur dem toten Buchsta­ben an, sondern sind wie Christen zu guten Werken verpflichtet. 3. „Auserwähltheit" bedeutet nicht Privilegien, sondern mehr Pflich­ten. 4. Nicht „die" Juden haben Jesus ermordet, und die nur bei Matthäus berichtete Selbstverflu­chung könnte ein späterer Evange­liumszusatz sein. 5. Das Gebot zur Nächstenliebe (Leviticus 19,18) galt nicht nur für Juden, sondern auch für Fremde. 6. Die Pharisäer waren nicht Scheinheilige und Heuchler, sondern standen der Lehre Christi am nächsten, weshalb auch die Auseinandersetzung vor allem mit ihnen geführt wurde. 7. Der Tal­mud, bestehend aus mündlicher Überlieferung (Mischna) und deren Erläuterung (Gemara), ist nicht eine „Bibel des Teufels".

Das Buch Peter Landesmanns ist nicht nur ein Sachbuch, sondern Lebenshilfe.

DIE JUDEN UND IHRE WIDERSACHER. Von Peter Landesmann. Nymphenburger Verlag, München 1989.302 Seiten, Ln., öS 296,40.

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