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„Wir wollen nicht mehr gehorchen“

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In Spanien ist es zur ersten großen Machtprobe gekommen — noch vor dem Abtritt Francisco Francos, der dieser Tage den 40-Jahres-Tag der Gründung der „Falange“ feierte. Mit der Entlassung des liberalen Informationsministers Cabanillas Gallas, dem der Finanzminister Barrera de Irimo freiwillig nachfolgte, ist der Kurs des Ministerpräsidenten Arias Navarros ernstlich gefährdet. Ein Kurs, der durch eine systematische und dosierte Liberalisierung gekennzeichnet ist.

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In Spanien ist es zur ersten großen Machtprobe gekommen — noch vor dem Abtritt Francisco Francos, der dieser Tage den 40-Jahres-Tag der Gründung der „Falange“ feierte. Mit der Entlassung des liberalen Informationsministers Cabanillas Gallas, dem der Finanzminister Barrera de Irimo freiwillig nachfolgte, ist der Kurs des Ministerpräsidenten Arias Navarros ernstlich gefährdet. Ein Kurs, der durch eine systematische und dosierte Liberalisierung gekennzeichnet ist.

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Arias Navarro war nach dem Attentat auf Ministerpräsident Car- rero Blanco vor nicht ganz einem Jahr zur Überraschung aller Beobachter — und wahrscheinlich auch Francos — als Regierungschef auf einen Kurs systematischer Liberalisierung und Demokratisierung eingeschwenkt. Als dem Innenminister der Regierung Blanco hätte man alles andere von ihm erwartet als eine Öffnung des Regimes.

Im Windschatten der Ereignisse in Griechenland und in Portugal konnte Arias Navarro darangehen, die Isolierung Spaniens langsam zu beenden; von den gleichen wirtschaftlichen Problemen der Inflation und der Energieversorgung geplagt, hat diese Entwicklung Spaniens auch bei den demokratischen Regierungen Europas Interesse und Verständnis gefunden. Der Ministerpräsident erlaubte wieder die Bildung von Vereinigungen, die die Embryos politischer Parteien darstellen sollen. Und erst dieser Tage hat sich in Madrid

— allerdings nur gegenüber Auslandsjournalisten — eine „Sozialistische Partei Spaniens“ unter dem politischen Enfant terrible Dionisio Ridruejo — einem Mann mit schillernder Vergangenheit — vorgestellt. Ridruejo pocht dabei offzieU auf die Erlaubnis Arias Navarros, „Assoziationen“ gründen zu können, und verlangt freie Wahlen.

Der Kurs des Ministerpräsidenten war aber überdies gekennzeichnet durch einen völlig neuen Stil der Pressepoli’tik. Die spanischen Zeitungen konnten sich seit einem Jahr systematisch wieder freier bewegen, Kritik am politischen System und seinen Repräsentanten war wieder möglich und die spanischen Journalisten haben diesen Zipfel der Freiheit auch bewußt angefaßt und sich kein Blatt vor den Mund genommen. Der wichtigste Mann, der diese Politik administrierte und damit zum Symbol einer neuen Entwicklung wurde, war Cabanillas Gallas, neben dem Bereich der Information auch für den Fremdenverkehr zuständig, der Spaniens wichtigste Devisenquelle geworden ist. Wollte die Falange — mit Wissen Francos — die Entwicklung Spaniens ZJU einem demokratischen Staat unter Arias Navarro stoppen, dann mußte sie zuerst den liberalen Informationsminister arus der Mannschaft schießen.

Das ist ihr gelungen, Spaniens weitere politische Entwicklung ist wieder offen.

Angriff von rechts

Und damit scheint sich eine Auseinandersetzung — nun auch vor der gesamten Weltöffentlichkeit — ab-

zupeichnen, die ein Vorspiel jenes Machtkampfes ist, zu dem es in Spanien jeden Tag kommen kann. Dann nämlich, wenn Francisco Franco, der „Caudillo“ seit 35 Jahren, seine Augen schließt und der Prinz Juan Carlos als König die Staatsführung übernimmt.

Die Falange, seit Jahren bereits auf dem Weg in die Isolation, kann mit dem Abdrehen der Pressefreiheit und dem Sturz von Cabanülas Gallas entweder ihren letzten Kraftakt gesetzt haben — oder das Startzeichen zu einer — sicherlich gewaltsamen — Phase der Reaktion eingeleitet haben. Wie tief der Haß der Falangisten gegen den Ministerpräsidenten (den die Konservativen als „Verräter“ diffamieren) sitzt, geht aus einer penetranten und gehässigen Attacke hervor, die unter Ausnützung der liberalen Pressepolitik von der ultrafalangistischen Wochenzeitung „Fuerza Nueva“ eine Woahe vor dem Sturz des Informationsministers geritten wurde. Der Gründer und Herausgeber der Zeitung, Blas Pinar, ist Mitglied des von Franco begründeten „Nationalen Rates“ und einer der prominentesten Ultras, die in Spanien als ,,Immobi- listen“ bezeichnet werden (weil sie ihre Hauptaufgabe in der Erhaltung der Gedankenwelt eines Jose Antonio Primo de Rivera sehen und dort stehen geblieben sind, wo der spanische Bürgerkrieg aufgehört hat).

„Fuerza Nueva“ schrieb Ende Oktober, daß der Ministerpräsident von „falschen Freunden“ verführt werde und man nicht mehr mit ihm Zusammenarbeiten könne. Und dann heißt es ausdrücklich: „Herr Ministerpräsident, wir wollen Sie nicht begleiten und Ihnen nicht mehr gehorchen. Aber sehen Sie selbst genau zu, wer sie begleitet und wohin. Denken Sie daran, daß man sie dominieren kann und daß Sie gestoßen werden könnten. Und beklagen Sie es nicht, wenn die Art von Demokratisierung, die Sie so sehr befürworten, am Ende zu einem Berg von Leichen führt!“

Drohung? Erpressung? Ein Wink mit einem plumpen Zaunpfahl? Oder nur die latente Angst, es könnte wieder zu dem kommen, was Spanien vor 37 Jahren durchmachte?

Die Isolierung der Konservativen

Heute spricht man in Spanien ganz offen von der Gefahr, daß es im Machtkampf nach Francos Tod zu offener Gewalt, ja zu einem gewaltsamen Kräftemessen kommen könnte. Und wie die Dinge liegen, ist die Falange und das, was aus der Urära der faschistischen Bewegung übrigblieb, auch zu dieser Auseinandersetzung bereit. Der Angriff in „Fuerza Nueva“ ist immerhin der schärfste Angriff, der je in Spanien gegen ein Regierungsmitglied gedruckt wurde — und damit an sich bereits eine einmalige Sensation. Und er hat auch schon andere Zeitungen herausgefordert, die jetzt die „Immobilisten“ als Reaktionäre und als ein Hindernis auf einem gesunden Weg in die Zukunft bezeichnen.

Diese (noch) journalistischen Geplänkel signalisieren das, was man insgeheim in Madrid und Barcelona, San Sebastian und Sevilla fürchtet: daß die Falange sich nicht kampflos vom politischen Einfluß verdrängen lassen wird und schon angesichts ihrer heutigen Isolierung jeden weiteren Demokratisierungsprozeß verhindern will. Was sich in Portugal ereignet, scheint vielen Spaniern dabei geradezu typisch zu sein — nur mit anderen Vorzeichen.

Heute stehen in Spanien den Ultrakonservativen in . der Staatsparte: i fast alle anderen politischen Kräfte gegenüber:

• Da sind die Liberalen un,d Gemäßigten aller Schattierungen, für die Arias Navarro die Hoffnung und Cabanillas Gallas der Märtyrer ist. Sie haben freilich keine einheitliche politsche Plattform und sind bei der Verwaltung der Macht in Cliquen und Interessensklüngel zerfallen.

• Die katholische Kirche, die spanische Bischofskonferenz begrüßt den Kurs der Demokratisierung und steht seither gleichfalls unter Beschuß der rechten Ultras. Aber Kirche und auch das mächtige „Opus Dei“ dürften nicht in der Lage sein, eine breite politische Plattform der Mitte zustande zu bringen — es sei denn, dies erfolgt schon bald und mit Förderung der heutigen politischen Führung.

• Spaniens Intellektuelle werden in dem Maße in die Opposition zur Falange gedrängt, in dem von dieser jede Form der Liberalisierung gebremst und abgeblockt wird. So ist es kein Zweifel, daß prominente Intelektuelle und Künstler selbst mit der baskischen Untergrundorganisation ETA Zusammenarbeiten, die den Ministerpräsidenten Carrero Blanco ermordete und nunmehr bei einem Bombenanschlag in Madrid 13 Tote auf dem Gewissen hat. Die spanische Polizei behauptet, bei Razzien im Zusammenhang mit dem Anschlag vom 13. September 1974 die Frau des bekannten Dramatikers’ Alfonso Sastre, die Schauspielerin Maria Paz Ballesteros, die beiden bekannten Publipisten Lidia Falcön und Eliseo Bayo als Mittäter entlarvt zu haben.

• Erbitterte Feinde der Konservativen des Franoo-Regimes aber sind vor allem die Exponenten der separatistischen Bewegungen. Franco hat die Tradition des bourbonischen Königshauses fortgesetzt, ja noch verschärft und ist bis heute der Vertreter eines konsequenten Zentralismus.

Spaniens eigentliches politisches Problem ist nämlich die Nationalitätenfrage. Die Vorherrschaft Kastiliens und des Castellano (des eigentlichen „Spanischen“) ist den übrigen spanischen Nationen eine Zwangsherrschaft. Eine Mehrheit der Bewohner des Landes spricht Dialekte, ja andere Sprachen, und fühlt sich als Angehörige eigenständiger Völker. Das Gallego ist dem Portugiesischen stark verwandt, das Catalan ist eine Sprache, die Sprachforscher als eigenständige romanische Sprache bezeichnen und die dem Provenzalischen in Südfrank- reiteh. nähersteht als der spanischen Sprache. Die Basfcen im Nordosten sind die bewußtesten und aktivsten Separatisten und führen einen bereits hundertjährigen Kampf gegen die Vorherrschaft Madrids.

Alle Volksgruppen aber wollen mehr Autonomie, eine bundesstaatliche Ordnung und Selbstverwaltung. Streik und Widerstand hatten und haben in Spanien vor allem ihre Ursache aus dieser nationalen Auseinandersetzung (weshalb politische

Beobachter auf die starken Ähnlichkeiten der Strukturen in Spanien und Jugoslawien verweisen, wo gleichfalls ein alter Mann besorgt in die Zukunft seines Vielvölkerstaates sieht). Alle separatistischen Bewegungen Spaniens hoffen, daß „Demokratisierung“ daher auch Autonomisierung bedeutet und schlagen sich schon aus diesem Grund auf die Seite der Falange- Gegner.

Juan Carlos und die Armee

Was also geschieht nach Francos Tod?

Zweifellos kommt in der zu erwartenden Auseinandersetzung der Person des künftigen Königs Bedeutung zu. Niemand zweifelt, daß Jüan Carlos ein Mann größerer Offenheit als der Caudillo ist. Aus der Umgebung des Prinzen gelangen, immer wieder Äußerungen an die Öffentlichkeit, die eine stufenweise Rückkehr zur Demokratie als Hauptanliegen des künftigen Königs verraten. Was politische Beobachter auf der Pyrenäenhalbinsel aber befürchten, ist die geringe Verankerung Juan Carlos in dem der Monarchie entwöhnten Land und das Fehlen einer politischen „Hausmacht“. Die Falange dürfte sich wenig um die Ambitionen des Königs kümmern, wenn es einmal um ihre Vorrangstellung geht.

Der wohl bedeutsamste zweite Faktor ist die Armee. Seit in Portugal die Armee gegen den Staatspräsidenten putschte, dürfte sich selbst Francisco Franco seiner Offiziere nicht mehr ganz so sicher sein. Geradezu mit politischem „Voyeurismus“, wie es Sixto Camaro treffend in der Tageszeitung „Pueblo“ be- zeichnete, blickt Spaniens Öffentlichkeit heute auf die Vorfälle im westlichen Nachbarland — und schaut neuerdings dabei auch in die Reihen der eigenen Armee.

Trotz einer umfassenden politischen Registratur im Offizierskorps

— der schon demnächst Säuberungen folgen könnten — ist eine Spaltung nämlich unübersehbar:

• Die Oberbefehlshaber und Generäle, vielfach Kampfgefährten Francos oder mit dem Bürgerkriegserlebnis behaftet, haben durch Jahrzehnte ihr eigenes Schicksal mit dem des Regimes verbunden. Auf sie stützt sich auch die Hoffnung der Ultras in der Staatspartei und unter den hohen militärischen Rängen dürfte auch relativ wenig Sympathie für Ministerpräsident Arias Navarro vorhanden sein.

• Anders sieht die Situation in den mittleren und jüngeren Rängen der Armee aus. Man kann nicht übersehen, daß die „Bewegung der Streitkräfte“ in Portugal gleichfalls von den Obersten, Majoren und Hauptleuten getragen wird; und daß sich etwa in der griechischen Armee unter den Jungoffizieren eine sehr massive Opposition gegen das Regime der Generäle Papadopoulos und Ioannidis breitgemacht hat.

Spaniens jüngere Offiziere dürften auf einen „Wandel“ hoffen — wenngleich dieser Prozeß nicht von links inspiriert sein muß. Aber es ist kein Geheimnis, daß es jedenfalls auch in der Armee nationalistische und separatistische Bestrebungen gibt. Viele meinen, daß die baskische ETA Waffen und Sprengmaterial von Armeeangehörigen erhalten hat — und daß es fraglich ist, ob Spaniens Soldaten 1974 oder in der Zukunft — so wie einst — auf Zivilisten schießen würden.

Man sollte auch nicht übersehen, daß ein Teil der heutigen Führung Spaniens auf das Bürgerkriegstrauma fixiert ist, die derzeitigen Verhältnisse jedoch als unzumutbar für einen reifen, modernen, Staat empfindet, zu dem sich Spanien zweifellos in den letzten Jahren gemausert hat. Ein breiter werdender Mittelstand und verschiedene Sozialmaßnahmen vermindern mittlerweile das soziale Sprengpotential. Und ein sich an Westeuropa messendes städtisches Bürgertum sieht keinen Grund mehr, daß Spanien das vorenthalten werden soll, was in anderen Ländern selbstverständlich ist: freie Wahlen, politische Parteien, eine rechtsstaatliche Verfassung und eine Autonomie für Minderheiten.

Unä in aller Welt fragen sich auch die Freunde Spaniens, warum dies nicht Wirklichkeit werden kann — und zwar ohne Blutvergießen nach Francos endgültigem Abschied von der Bühne der Geschichte.

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