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„Wir wollen nicht noch einmal in die Hölle...“

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Vor kurzem war sie in Österreich, trat beim Grazer Stadtfest der Kirche auf und war zu Gast beim Wiener ÖVP-Chef Erhard Busek - die „Friedens-Betty“, wie die Friedensnobelpreisträgerin Betty Williams aus Nordirland liebevoll genannt wird. Die FURCHE hatte Gelegenheit, Betty Williams zu interviewen. Übrigens nicht das einzige Interview, das sie in Österreich den sie umringenden Journalisten gab: Auch in der Sendung „Orientierung“ am kommenden Freitag, dem 14. Juli, um 18 Uhr in FS 2 wird ein Gespräch zwischen Herbert Weis-senberger und Frau Williams ausgestrahlt.

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Vor kurzem war sie in Österreich, trat beim Grazer Stadtfest der Kirche auf und war zu Gast beim Wiener ÖVP-Chef Erhard Busek - die „Friedens-Betty“, wie die Friedensnobelpreisträgerin Betty Williams aus Nordirland liebevoll genannt wird. Die FURCHE hatte Gelegenheit, Betty Williams zu interviewen. Übrigens nicht das einzige Interview, das sie in Österreich den sie umringenden Journalisten gab: Auch in der Sendung „Orientierung“ am kommenden Freitag, dem 14. Juli, um 18 Uhr in FS 2 wird ein Gespräch zwischen Herbert Weis-senberger und Frau Williams ausgestrahlt.

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FURCHE: Sie erklärten wiederholt, daß die Gesellschaft in Nordirland verändert und neu aufgebaut werden muß. Gibt es schon Anzeichen dafür, daß sich ein solcher Veränderungsprozeß einstellt und daß die Gesellschaft so aufgebaut wird, wie es sich „peace people“ vorstellen?

WILLIAMS: Diese Friedensbewegung ist erst zwei Jahre alt, aber wir sind dabei, immer mehr Boden in der nordirischen Bevölkerung zu gewinnen. Wir sind vor allem dabei, die Protestanten umzuerziehen, die während vieler Jahre an den Katholiken krasses Unrecht begangen haben. Und sie beginnen zu erkennen, was die protestantische Regierung nur für sie getan hat. Es bedarf der permanenten Arbeit, wenn man die Menschen zur Gewaltlosigkeit erziehen will. Die Menschen in Nordirland haben ihre Gewehre aufgerichtet, weil niemand auf sie gehört hat. Es waren die Katholiken. Ich habe niemals an diese Gewehre geglaubt, habe aber verstanden, warum sie zu den Gewehren gegriffen haben.

FURCHE: Wenn sie von der Veränderung der Gesellschaft sprechen, meinen Sie die soziale oder wirtschaftliche Umgestaltung der Gesellschaft in Nordirland?

WILLIAMS: Ich glaube, daß die ganze Gesellschaft verändert werden muß. Sicherlich muß sie zuerst an der Stelle verändert werden, an der sie gewalttätig ist. An zweiter Stelle kommt die wirtschaftliche Veränderung, dann die soziale und schließlich auch die kulturelle. Denn mit der Eskalation der Gewalt in einen blutigen Bürgerkrieg ist der Verfall unserer Kultur einhergegangen. Wir haben nichts mehr, kein Ballett, keine Oper - all das ist verschwunden. Dinge, die die Nationen zivilisiert haben, sind in Nordirland unnatürlich geworden.

FURCHE: Um auf das Problem der Gewalt zurückzukommen: Hat die Friedensbewegung bei ihren Bemühungen, den Leuten vor Augen zu führen, daß Bomben und Gewehre nicht der richtige Weg sind, Erfolge gehabt?

WILLIAMS: Ja, wir hatten Erfolg, großen Erfolg sogar. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zwei meiner besten Freunde sind ehemalige Terroristen; der eine Katholik, der andere Protestant. Es gab eine Zeit, da hätten diese zwei sofort aufeinander geschossen, wenn sie sich auf der Straße getroffen hätten. Inzwischen bin ich keine Vermittlerin mehr, diese zwei sind Freunde geworden. Sie haben erkannt, daß das Gewehr keinen Schritt weiterführt. Die Leute in Nordirland müssen einander vor allem kennenlernen. Ob sie ein vereinigtes Irland oder ob sie die Verbindung mit Großbritannien wollen. Sie müssen einander kennenlernen. So-viele Menschen sind für die irische Sache gestorben, andere für die britische - wir wollen, daß sie für die nordirische Sache leben!

FURCHE: Eines der größten Probleme in Nordirland ist die ungewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit. Was sind die Gründe dafür und was sind die Wurzeln für die soziale Diskriminierung in Ulster überhaupt?

WILLIAMS: Ich bin in einem katholischen Ghetto aufgewachsen, sozusagen ein typisches Ghettokind mit typischer Ghettomentalität. Dort lebten 82.000 Katholiken in einem Gebiet, in dem es keine Fabrik für die Männer und keine Schaukel für die Kinder gab. Diese Situation war typisch für soziale Gewalttätigkeit von oben, und sie mußte zur aktiven Gewalt von unten führen. Und solche Tatsachen wurden einfach nicht zur Kenntnis genommen. Deshalb ist es ein Hauptanliegen unserer Bewegung, die Leute nicht nur zu erziehen, sondern auch darauf hinzuarbeiten, daß die Menschen die soziale Situation, Kultur und Religion des anderen kennenlernen. Es gilt in dieser Hinsicht vor allem, jene Leute zu erziehen, die schreckliche Ungerechtigkeiten gegenüber den Katholiken begangen haben. Auch Beschäftigungsmöglichkeiten wollen wir schaffen. So sind wir an all den Fronten aktiv, an denen in irgendeiner Weise Gewalt vorherrscht.

Glauben Sie mir: Wenn Menschen wie die Protestanten und Katholiken Nordirlands in der Hölle waren und wieder zurückgekommen sind, dann haben sie ihre Lektion gelernt. Jeder, der in der Hölle war und die Chance bekommen hat, erlöst zu werden, will nicht noch einmal dorthin zurück. Die zwei Gemeinschaften Nordirlands haben diese gemeinsame Erfahrung gemacht: Wir waren in der Hölle und wollen nicht noch einmal dorthin zurück.

FURCHE: Sie haben wiederholt die katholische Kirche in Nordirland kritisiert, nicht zuletzt deshalb weil sie die „peace people“ nicht unterstützt. Wenn sie nun ihren Erfolg betrachten und die Reaktion der Kirchen darauf, könnte man fast sagen, daß sich die Kirchen in Nordirland gegenüber den Menschen in den Straßen von Belfast entfremdet haben. Stimmt das?

WILLIAMS: Jedenfalls, entsprach die Handlungsweise der Kirchen in Nordirland in diesem Konflikt nicht den christlichen Grundwerten. Sie fürchteten, ihre Gemeinden zu verlieren, und öffneten deshalb ihren Mund nicht weit genug, um zu erklären, daß das, was geschehen war, falsch war. Wir haben eine Menge junger Priester, die sehr frustriert sind, weil ihre Bischöfe sie - sobald sie in die Friedensbewegung verwik-kelt sind - in eine andere Pfarrgemeinde versetzen. Wir alle sind frustriert, daß die Kirchen nicht das Christentum praktiziert haben. In erster Linie meine ich natürlich die katholische, weil ich selber Katholikin bin. Mehr Unterstützung haben wir von den Bischöfen in der Republik Irland und von Kardinal Hume in London, der ein sehr starker Kardinal ist. Der neue Primas von Irland, Thomas O'Fiach, ist ebenfalls ein Mann der Hoffnung für die Katholiken Nordirlands.

Das Gespräch mit Betty Williams führte Burkhard Bischof.

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