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Wird China jetzt wieder hoffähig?

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Warum schickte US-Präsident George Bush am 15. November seinen Außenminister James Baker nach Peking? Treibt die China-Nostalgie den früheren Botschafter Bush zur Rehabilitation des Regimes, das nach dem Massaker von 1989 der internationalen Ächtung verfallen war?

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Warum schickte US-Präsident George Bush am 15. November seinen Außenminister James Baker nach Peking? Treibt die China-Nostalgie den früheren Botschafter Bush zur Rehabilitation des Regimes, das nach dem Massaker von 1989 der internationalen Ächtung verfallen war?

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Erleichtert wird Bushs Vorgehen, das auf Kritik stoßen dürfte, durch die Bereinigung von Konflikten Pekings mit seinen Nachbarn: Mithilfe bei der Sanierung Kambodschas, Normalisierung der Beziehungen zu Indonesien, Singapur und Brunei, die Aussöhnung mit Vietnam. Am 12. November nahm zudem Chinas Außenminister Quian Quichen in Seoul am „Forum für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Asien und im Pazifik" (APEC) teil, das Konsequenzen zu ziehen bemüht ist aus der Tatsache, daß sich das Schwergewicht der Weltwirtschaft vom Atlantik in den Pazifik verlagert. Fünfzehn Länder erforschten die neuen Möglichkeiten, die sich für die Anrainer des Pazifik aus dem Ende des Kalten Krieges ergeben mit der Notwendigkeit der Organisation von wirtschaftlichen Großräumen in der Region.

China sieht sich hier in einer Zwangsjacke; denn die führenden Wirtschaftsmächte der Region, die USA und Japan, verfolgen andere politische Ziele als die Volksrepublik, die nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus erst recht in den Köpfen neue Mauern zu errichten sich bemüht.

Deng Xiaoping hatte seine Reform am anderen Ende aufgezäumt als Gorbatschow, indem er der Privatinitiative in der Produktion, zuerst in der Landwirtschaft, sodann im Kleingewerbe und mit weniger Erfolg auch in den Industriekombinaten Freiheit einräumte. Der Erfolg zeigte sich im raschen Wachstum des Sozialprodukts.

In der Politik aber fand keine „Perestrojka" statt. Die strukturelle Korruption hingegen gewann mit dem wachsenden Wohlstand an Virulenz, denn nach alter Tradition wird jede erfolgreiche Amtsperson für das Wohlergehen ihres ganzen Clans verantwortlich. Die Proteste der Studenten im heißen Sommer 1988 richteten sich gegen solche Auswüchse, stellten aber nicht die Partei in Frage.

Das Massaker war eine Tragödie für den kranken Deng Xiaoping, der nun seine ausgebooteten Gegner aus der Versenkung rufen mußte zur Billigung des harten Einschreitens. Seither gehen die Uhren rückwärts. Der Machtapparat in der Partei ist wieder intakt. Politische Reformen sind die Ur-Häresie. Ein Mehrparteiensystem bedeutete Untergang. Konzessionen sind Anathema. Gorbatschow gilt als der große Verräter.

Die veralteten Industriekombinate werden, um der sozialen Stabilität willen, mit ungeheuren Kosten in Betrieb gehalten. Vierzig Prozent der Betriebe sind defizitär. Die Partei beherrscht sie durch Zuteilung von Rohstoffen. Privatisierung und Öffnung für ausländische Investitionen werden von der Partei nach Möglichkeit behindert. Der Staat weist infolge solcher Fehlentscheidungen ein Defizit von 80 Milliarden Dollar auf und die Inflation kletterte auf 20 Prozent.

Zudem ist die Nachfolge Dengs nicht durch Statuten institutionalisiert. Die beiden Kronprinzen Maos, Lin Biao und Liu Shaoqui, büßten mit dem Leben für die allzu große Nähe zum Katastrophen-Baumeister. Auch Dengs engste Mitarbeiter Hu Yao-bang und Zhao Zhiyang verschwanden von der Bühne. Gegenwärtig steht die Troika von Li Peng (Premier), Yan Shangkun (Präsident) und Jiang Zemin (Parteichef) an der Spitze; wer aber Deng als geheimen Kaiser ersetzen wird, ist völlig unklar. Auf jeden Fall sind die harten Ideologen am Zug.

Die Uhren gehen rückwärts Der Amerikaner Baker überreichte schon am ersten Besuchstag den Gastgebern einer Liste von 800 politischen Gefangenen, deren Freilassung er fordert. Auf Bitten des Papstes ersuchte er auch um eine Lockerung des Drucks auf die Religionen, der verschärft wurde, nachdem sich gezeigt hatte, daß die von Marx längst totgesagten Religionen wesentlich zum Sturz des realen Sozialismus beigetragen hatten. Außerdem erwartet Baker, daß China auf Nordkorea mäßigend einwirkt auf dessen forcierte Entwicklung der Atomwaffen. Vorausblickend aber hatte Peking schon im vorhinein Demarchen für die Dissidenten als Einmischung in innere Angelegenheit verworfen.

Weil Chinas Wirtschaft keineswegs ins Chaos stürzt - im Vergleich zur UdSSR -, kann sich seine Führung leisten, als letzte Gralshüterin kommunistischer Orthodoxie die Uhren nach rückwärts zu drehen. Die hilflose Entropie des Systems in Osteuropa ermuntert offenbar nicht zur Weiterführung von Dengs Reformen. Bakers Scheitern war vorprogrammiert.

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