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Wird der neue Stadtplaner seine Pläne für Wien durchsetzen können?

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Aufgerissene Straßen, U-Bahn-Lö- cher gerade an den schönsten Stellen der Stadt, eingestürzte und schadhafte Brücken, ein Verkehrschaos, das mit der fortschreitenden Jahreszeit nur noch größer wird, eine „Luft zum Schneiden”, Lärmbelästigungen durch den Verkehr und Baumaschinen, und dazu noch all die vielen kleinen Nadelstiche, die nicht nur die Wiener verärgern, sondern auch die Touristen stören, aber auch viele Einwohner aus der Stadt treiben. Wer hier lebt, hat den Eindruck gewonnen, hier wird dies und jenes noch begonnen, aber geschieht denn auch wirldich etwas?

Wird man nicht nur auf Plakaten und Flugschriften aufgefordert, „Ja zu Wien zu sagen”, was dann wieder nur ein neuerliches Fortwursteln bedeutet? Sicher: Aufgerissene Straßen, U-Bahn-Löcher und all die jahrelangen andauernden Belästigungen sind notwendig und nimmt jeder notgedrungen auf sich, wenn etwas tatsächlich geändert und verbessert werden soll. Aber muß man sich nicht fragen, wann wird denn je etwas fertig, und wenn, sieht dann das Resultat so aus wie die Verkehrsmisere auf dem Karlsplatz? Es gibt heute schon einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung, der überzeugt ist, das schöne Wien, wie es einmal war, liebenswert, auf das man stolz sein konnte und das einen ausgezeichneten Ruf in der ganzen Welt hatte, dieses Wien sei mutwillig zerstört worden.

Mit Ideen und Zähigkeit

Aus dieser Misere soll nun ein neuer Planungsstadtrat einen Weg finden, er soll ein neues Konzept aufstellen und auch durchführen können. Große finanzielle Mittel werden ihm angesichts der Budgetlöcher wahrscheinlich nicht zur Verfügung stehen, Um so mehr wird er Ideen brauchen und Zähigkeit, sie auch durchzuführen. Wie gern hätte ihm der Magistrat doch einen Gruppenleiter für die Planung vor sein Büro gesetzt, denn wenn etwas geplant wird, möchte doch als erster der Magistrat eine Kontrolle darüber haben… Ein einheitliches Konzept wäre damit wohl im Eimer, denn viele Köche verderben bekanntlich den Brei.

Was geplant wird, möchte vor allem der Wiener wissen, vielleicht könnte das sein derzeitiges Unbehagen an der Stadt etwas beseitigen. Mehr als ein halbes Jahr ist Univ.-Prof. Dr. Rudolf Wurzer, der neue Planungsstadtrat, im Amt. Es gibt viel Theorie zu hören, ein reales Konzept soll Anfang 1978 vorliegen. Doch durch die Brückenmisere und den U-Bahn-Bau sind schnellere Entscheidungen bei manchen Projekten fällig geworden. So müssen schon jetztPrioritäten festgelegt, sollen diese bereits im Herbst dem Gemeinderat vorgelegt werden. So hat etwa der Bau der Reichsbrücke vor allem anderen Vorrang, danach kommt die Florids- dorfer Brücke und sicher, wenn auch zuletzt, des Bürgermeisters Lieblingskind, die Traisenbrücke, die der Gemeinderat bereits beschlossen hat, wenn sie auch ohne große Zubringerstraßen, nur vom Hubertusdamm erreichbar, verwirklicht werden soll. Ob sie dann allerdings den Bundeszuschuß erhält, stellt der zuständige Minister bereits in Frage.

Ob die Stadt, der Ansicht des gegangenen Stadtrats Hoffmann folgend, näher an die Donau gerückt werden, oder ob dem Trend der Bevölkerung nachgegeben werden soll, die eher Währing, Döbling oder Hietzing bevorzugt, oder gar hinaus aus der Stadt nach dem Süden in Richtung Baden drängt, das hält Wurzer für eine sekundäre Angelegenheit Wozu auch soll die Stadt erweitert werden, wenn die Bevölkerung nicht wächst, fragt er, und will vernünftigerweise lieber die Althaussanierung stärker forcieren. Auch das Wohnungsverbesserungsgesetz möchte er wieder reaktivieren, der Dachbodenausbau ist ebenfalls ein Mosaikstein dieser Idee. All dies kostet weniger Geld. Eine flächenintensive Infrastruktur ist ja vorhanden, man sollte sie nicht zugrundegehen lassen. Aber auch am Wochenende sollte nicht der schöne alte Stadtkern entleert und zur Geisterstadt werden. Hier könnte die Bezirksplanung wertvolle Initiativen setzen.

In Simmering etwa gibt es Leute, die sich vehement für einen Simmering- Entwicklungsplan einsetzen. Der Entwurf soll von der Stadtplanung zur Detailkritik in den Bezirk kommen, bevor er endgültig beschlossen wird.

Der Stadtrat will bis Herbst konkrete Ziele formulieren, unter welchen Voraussetzungen die Stadterneuerung durchgeführt werden kann. Er ist nicht nur Stadtplaner, er ist auch Politiker. Zehn Jahre möchte er bleiben, das heißt, gewählt werden, um seine Ziele verwirklichen zu können. Seine Entscheidungen sind daher auch unter diesem Aspekt zu sehen.

Er meint, ein detaillierter Plan hätte dafür zu sorgen, daß eine attraktive Stadt, die wieder junge Leute anzieht, auch die Industrie nicht aus der Stadt treibt, und daß Arbeitsplätze garantiert werden. Wohnbezirke, Grünflächen, Gewerbe- und Industriestandorte sollen nach einem festgelegten Plan in einer Broschüre der Bevölkerung zur Einsicht vorgelegt werden. Gummiparagraphen über dicht und locker verbautes Gebiet müssen genau erfaßt werden, um keine Fehlspekulation aufkommen zu lassen.

Zu einer attraktiven Stadt gehört neben Lebensqualität auch ein anziehendes Stadtbild. Architektenwettbewerbe, Publikumsbefragungen und eine öffentliche Enquete über die Fußgängerzone Graben - Kohlmarkt geben Hoffnung auf eine Lösung, die nicht nur den Wünschen einer breiten Öffentlichkeit, sondern auch den Empfehlungen des Kunstsenates Rechnung trägt: Womöglich keine „Möblierung”, eine elegante, dem hier vorherrschenden Baustil des 19. Jahrhunderts angepaßte Beleuchtung und eine nicht zu auffällige, fußfreundliche Bodengestaltung.

Das Loch auf dem Stephansplatz hat Stadtrat Wurzer, so heißt es, nicht verhindern können, dies fallt in die Kompetenz eines anderen Stadtrates. Für eine „würdige Lösung” bei der Verbauung des Minoritenplatzes will er sich einsetzen, wieviel tatsächlichen Einfluß er aber nach einem abgeschlossenen Wettbewerb auf Fassadengestaltung und Baumaterial - statt bloß Glas und Metall soll das Gebäude, um dem Ensemblecharakter gerecht zu werden, auch Mauerwerk aufweisen - noch nehmen kann, wenn der Bauherr die niederösterreichische Landesregierung ist, wird sich noch erweisen.

Auf dem leider ziemlich verpfuschten Karlsplatz in letzter Minute noch zu retten, was zu retten ist, bemüht er sich seit Monaten. Was aber wird schließlich mit dem Haus zwischen Freyung und Herrengasse, dem ehemaligen Cafe Central, geschehen? Ein längeres Zuwarten könnte die im Prinzip beschlossene Sanierung eines Tages unmöglich machen! Bei der Roßauer Kaserne meint der Stadtrat mit einem Kompromiß die divergierenden Meinungen befriedigen zu können und doch als Stadtplaner ein Optimum zu erreichen. Er will die Fassade gegen den Schlickplatz erhalten, während die bald nutzlosen desolaten Kasemenräume einem modernen Bau weichen sollen.

Chaos Praterstern

Aber auch größere Projekte warten dringend auf eine städtebauliche Lösung. Das Chaos Praterstem ist geradezu katastrophal: Der U-Bahn-Bau, die Schnellbahn, die verschiedenen Unterführungen, die nicht mehr ganz zeitgemäß sind, ganz zu schweigen von dem markanten Tegetthoffdenkmal, das zwischen all dem heute unterzugehen scheint.

Der ÖVP-Gemeinderat Peter Meyr hat ganz konkrete Fragen, zu denen der Planungsstadtrat Stellung nehmen müßte, denn sie betreffen nicht nur kleine Stadtteile, sondern verlangen in eine größere Konzeption einbezogen zu werden: Was geschieht mit den Bahngründen entlang der Lassallestraße? Wie wird die Donaukanallandschaft gestaltet? Auf welche Weise wird der Flötzersteig in die Westautobahn eingebunden, wenn diese reine Wohngegend in bezug auf Lärmschutz und Umweltgestaltung gebührende Berücksichtigung erfahren soll? Wird sich die Stadtplanung auch mit der Sanierung gewisser Teile Ottakrings befassen oder will sie dies alles den Bürgerinitiativen überlassen? Wird das Schienennetz der Bundesbahnen im Wiener Raum für den Schnellbahnverkehr wieder belebt und genützt werden? Der Stadtplaner wird auch ein Generalverkehrskonzept vorlegen müssen. Wird er das so oft zitierte Schlagwort vom „Vorrang des öffentlichen Verkehrs vor dem Individualverkehr” durchsetzen wollen? Über die Gürtelautobahn will sich der Stadtrat auch noch nicht äußern, doch glaubt er, daß man in den achtziger Jahren auf sie nicht wird verzichten können.

Für alle diese Projekte und noch einige mehr sind große Geldmittel erforderlich. Erst wenn Klarheit auf dem finanziellen Sektor geschaffen ist, können die Schwerpunkte für die nächsten Jahre angepeilt werden.

Inzwischen versucht man, „Verschandeltes zu pntschandeln”, das belastet den Säckel der Gemeinde nicht allzusehr. Es kann nicht nur das Gemüt so mancher Wiener beruhigen, sondern tatsächlich viele künstlerische Details im Stadtbüd retten und ins rechte Licht rücken. Ob die ominösen Peitschenleuchten etwa auf dem Rathausplatz tatsächlich entfernt werden und wieder Kandelaber aufgestellt werden, darüber wollte Wurzer auch keine bindende Aussage machen. Die Beleuchtungskörper der Kärntnerstraße allerdings werden trotz unzähliger Proteste nicht ausgetauscht. Professor Wurzer steht auf dem Standpunkt, daß man trotz des großen Sturms 1910 gegen das Looshaus sich schließlich daran gewöhnt habe. Das Haus füge sich heute ausgezeichnet in das Stadtbild ein. Ebenso werde es anderen modernen architektonischen Gestaltungen ergehen. Erst die nachfolgende Generation werde sie akzeptieren. Er zieht auf alle Fälle eine moderne Gestaltung einem „Neubarock” vor. Allerdings will er doch immer wieder auch die Meinung der Wiener hören. Wie weit er sich aber dann tatsächlich davon beeinflussen lassen wird, ob dies nicht nur ein Dampfablassen sein soll, auch das wird sich erst erweisen.

Ein neuer Otto Wagner?

Wie dieses nun schon vielgelästerte Wien aussehen soll, müßte eigentlich nun ein Professor Wurzer als ein neuer Otto Wagner in einem „Generalsanierungsplan” niederlegen. Es müßte ein städtebauliches Konzept sein, nicht nur eine Summe von Einzelprojekten und Sonderwünschen. Eine Vision wäre notwendig, die den Ausblick auf die Zukunft von der Vergangenheit her öffnet und den Stil der Stadt neu prägt, nicht nur sozusagen eine „Fassadenkosmetik” betreibt Dazu wird auch ein zähes Durchsetzen gegenüber der Rathausfilzokratie gehören.

Die Frage über die Neukonzipierung der Stadtplanung und ihre Durchsetzungsmöglichkeiten geht aber nicht nur an den Stadtrat Wurzer. Sie ist auch und vor allem an den Bürgermeister Gratz gerichtet Ob er willens ist, und ob er überhaupt die Möglichkeit hat sich hinter den von ihm berufenen Fachmann zu stellen, ihm die nötige Rückenstärke zu gewähren und die finanziellen Mittel dafür aufzutreiben. Ansonsten würde auch der beste Plan zu einer Illusion!

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