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Wird eine ganze Branche liquidiert?
Die Attacke kam überfallsartig. Mitten im Sommer, am 1. August bekam die Bundeswirtschaftskammer vom Sozialministerium den Entwurf zu einer Novelle des Arbeitsmarktförderungsgesetzes für sechs Wochen - die nun auf acht verlängert wurden - zur Begutachtung. Harter Kern: Verbot der Personalbereitstellungsagenturen, die bekanntlich davon leben, von ihnen unter Vertrag genommene Arbeitskräfte - meist nur für jeweils kurze Zeit - diversen Betrieben zwecks dortiger Beschäftigung zur Verfügung zu stellen.
Derzeit gibt es 165 derartige Unternehmen mit rund 7000 Arbeitskräften, denen - so der „Verband für Interimsarbeit und Personalbereitstellung“ - meist nur an einer kurzfristigen Arbeit gelegen ist. Diese Agenturen, die alle auf Grund einer Gewerbeberechtigung tätig sind, sind nicht „Arbeitsvermittler“, sondern „Überlasser“ von Arbeitskräften. Vom Gesetz her ist vorgesehen, daß sie die Arbeitskräfte fix einstellen und auch dann bezahlen, wenn sie jene gerade nicht in einem Beschäftigerbetrieb unterbringen können.
Gerade in diesem Punkt ist es - so Walter Geppert von der Wiener Arbeiterkammer - häufig und vor allem gegenüber Frauen und minder qualifiziertem Personal zu Gesetzesverletzungen gekommen. Die Arbeiterkammer betreibt daher schon seit 1973 ein Verbot dieser Branche, 1975 hat auch der österreichische Gewerkschaftsbund auf seinem Bundeskon greß ein solches gefordert. Man beruft sich dabei auf die Grundsätze der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und die Sozialenzyklen „Rerum novarum“ sowie „Quadragesimo anno“, wonach Arbeit keine Ware sein dürfe.
Eine im Auftrag der Arbeiterkammer vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES) 1974 hergestellte Studie hat nach Auskunft von Geppert ergeben, daß außer ständigen Verletzungen der Gesetze in dieser Branche auch eine schlechtere Bezahlung gegenüber vergleichbaren Arbeitskräften des Beschäftigerbetriebes festzustellen ist. Betriebsräte fehlen, Lockinserate vermitteln ein falsches Bild vom Anstellungsverhältnis, Weihnachtsgelder und ähnliches werden oft adäquat auf Stunden- oder Wochenlöhne aufgeschlagen, wodurch Steuernachteile entstehen.
Dr. Andreas Mirtl-Golja von der Allgemeinen Bundesinnung der Bundeswirtschaftskammer leugnet keineswegs Mißstände, plädiert auch für strengere gesetzliche Regelungen, wehrt sich aber vehement gegen ein Verbot: „Das wäre so, wie wenn man einen Grippekranken umbringt statt ihm ein Aspirin zu geben!“ Diese Branche, die sich auf kurze Arbeitsverhältnisse spezialisiert hat, schließe zweifellos eine Marktlücke. Auch Vorwärts-Verlag, Arbeiter-Zeitung, Konsum und Ministerien machen davon Gebrauch.
Die IFES-Studie lehnt er völlig ab. Erstens, weil er „von einer loyalen Ar beitskraft“ weiß, daß Suggestivfragen gestellt wurden, zweitens scheint ihm verdächtig, daß die Studie, als er sie anforderte, „nicht mehr greifbar“ war. Die Bundeskammer hat inzwischen eine eigene Studie an zwei verschiedenen Universitätsinstituten für Sozialwissenschaften in Auftrag gegeben.
In drei Ländern Europas ist Arbeitskräfteverleih derzeit verboten, in Spanien, Italien und Schweden. In Schweden sind nicht einmal mehr Stelleninserate in Zeitungen erlaubt. Für Mirtl-Golja ist das deutsche Arbeitsüberlassungsgesetz Modell. Er strebt auch in Österreich einen Kollektivvertrag an, sieht zum Unterschied von Geppert durchaus Möglichkeiten für Betriebsräte („Die Bewacher etwa sind eine ähnlich zusammengewürfelte Berufsgruppe“) und nennt es schlicht „unsozial, wenn 7000 Menschen auf einen Schlag arbeitslos werden“.
Während Geppert rechnet, daß der Entwurf bald Gesetz wird, fordert Mirtl-Golja eine Enquete des Sozialministeriums mit Zuziehung von Wissenschaftern. Die Fronten sind derzeit verhärtet. Hier der Ruf nach möglichst totaler Arbeitsmarktkontrolle, dort die Forderung den - eingestandenermaßen- auf Gewinn bedachten privaten Unternehmern Aufgaben zu belassen, die der Staat wohl nicht so eifrig und erfolgreich zu lösen bemüht ist. Wer wird sich durchsetzen?
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