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Wirklich ein Sieger?

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Nun gibt es endlich wirkliche Sieger und auch wirkliche Verlierer. Nach dem zweiten Wahl- gang der ersten freien Wahlen in der Nachkriegsgeschichte Ungarns steht unwiderruflich fest, daß das Demokratenforum mit 42,4 Prozent der Stimmen - das sind 164 Parla- mentssitze - die stärkste Partei im Lande ist. Sie kann und will auch eine „Koalition der Mitte" bilden, als mögliche Partner gelten da die Kleinen Landwirte (23,8 Prozent) und die Christlich Demokratische Volkspartei (5,4 Prozent). Was al- lerdings auf einmal so gut wie ungewiß zu sein scheint, ist das Programm der künftigen Regierung. Darüber gibt es nämlich gar keine Auskunft.

Der siegesbewußte Forums-Vor- sitzende Jözsef Antall, der seit Wo- chen das staatsmännische Gehabe seines eigenen Wahlplakats so gut imitiert, daß er den tiefblickenden und sauertöpf erischen Gesichtsaus- druck anscheinend nicht mehr los werden kann, hatte schon in der „Siegesnacht" keine Worte für die Zukunft. Der Liberale Bund freier Demokraten, der die 24,2 Prozent Niederlage gelassener hingenom- men hat als die Forums-Führung den Sieg, ist freilich etwas irritiert. Er möchte als eine konstruktive Op- position arbeiten. Doch dazu müß- te er zuerst mehr über die Vorstel- lungen der künftigen Regierung wissen.

Im Moment geht es aber nicht. Es sind einzig und allein die Kleinen Landwirte, die an ihrem Agrarpro- gramm - das die Rückgabe des verstaatlichten Bodens an die Bau- ern und überhaupt die Wiederher- stellung der bis 1974 herrschenden Eigentumsverhältnisse beinhaltet- konsequent festhält. Die Christli- che Demokratische Volkspartei hat es noch am besten. Als „die einzige weltanschauliche Partei im Lan- de", so ihre Selbstdefinition, braucht sie sich weder um ein poli- tisches Profil noch um ein Pro- gramm zu kümmern. Es reicht ihr, als christlich und moralisch in der Nähe der Macht zu wirken. Auch die Wähler erwarten nichts ande- res. Zur künftigen Opposition wird auch noch der Radikale Verband junger Demokraten (5,4 Prozent) gerechnet, der zwar die Treue zu den Liberalen halten will, doch dabei „sollen auch die Möglichkei- ten der Zusammenarbeit mit ande- ren Parteien erforscht werden". Auch das klingt eher noch nichts- sagend. In der Opposition gibt es noch die USP mit 8,4 Prozent, de- ren Führungsmannschaft es nicht einmal für nötig erachtete, in der Wahlnacht ins Hauptquartier zu kommen; der Öffentlichkeit stellte sich die dritte Garnitur, an der Spitze ein müder Wissenschaftler mit Sinn fürs Moralisieren. Von Politik hat man da auch nicht viel geredet. Ein eigenartiger Teufels- kreis scheint sich hier aufgetan zu haben. So lange es keine Koalition gibt, könne man auch kein Pro- gramm erörtern, heißt es. Die Bür- ger möchten sich so lange gedul- den. Wahrlich sind die Bürger in diesem Land schon einiges ge- wöhnt, so soll es ihnen nicht auf diese paar Tage ankommen. Auch die Weltöffentlichkeit solle sich in Geduld üben, meint der Vorsitzen- de Antall in der Wahlnacht und lobte gleich die ausländische Pres- se, das heißt nur die,,,die uns freundlich gesinnt ist". Sie wird auch warten können. Die ungari- sche Megalomanie ist also wieder im Anmarsch. Und so kommt, daß der Wähler am Montag aufwacht und auf einmal nicht weiß, was er eigentlich gewählt hat. Der Rest ist vorläufig Schweigen. Doch davon war irgendwie nicht die Rede.

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