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Wirklich und ganz christlich war Europa nie

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Wenn Papst Johannes Paul II. immer wieder zur Evangelisierung, speziell zur Neuevangelisierung Europas, aufruft, nimmt er, auch wenn das manche nicht wahrhaben, ein zentrales Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils auf.

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Wenn Papst Johannes Paul II. immer wieder zur Evangelisierung, speziell zur Neuevangelisierung Europas, aufruft, nimmt er, auch wenn das manche nicht wahrhaben, ein zentrales Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils auf.

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FURCHE: Herr Erzbischof, was bedeutet “Evangelisierung“, was bedeutet ‘‘Neuevangelisierung“?

ERZBISCHOF ALOIS SUSTAR: Evangelisierung bedeutet die erste Verkündigung des Evangeliums oder auch Missionierung. Neuevangelisierungbedeutet entweder eine neue Evangelisierung, die einmal unterbrochen wurde, oder eine wiederholte Evangelisierung der Christen mit mehr Intensität, auf eine neue Art und Weise und unter Berücksichtigung der neuen Situation.

In seinem Gespräch mit dem ORF am 11. April 1989 sagte Papst Johannes Paul H., bei der Neuevangelisierung gehe es darum, die heute aktuelle menschliche Wirklichkeit mit der von Gott geoffenbarten Wirklichkeit zu konfrontieren. Daher sei es Aufgabe der Christen, die soziale, ökonomische, kulturelle und ethische Wirklichkeit in der heutigen Welt zu studieren, sie zu verstehen und im Geiste der Offenbarung Gottes zu verändern. Dies sei vor allem deshalb notwendig, weil sich die heutige Wirklichkeit sehr unterscheidet von der vor 2000 Jahren; allerdings sei es - damals wie heute - die selbe Schöpfung Gottes, der Jesus durch Tod und Auferstehung eine neue Wirklichkeit geschenkt habe.

FURCHE: Ist Europa schon einmal evangelisiert worden?

SUSTAR: Seit bald 2000 Jahren wird es evangelisiert. Die Evangelisierung erfolgte in verschiedenen Etappen, zeitlich wie auch geographisch, mit vielen Rückschlägen, besonders wegen der Ausbreitung des Islams, der Glaubensspaltung, der Religionskriege und verschiedener ideologischer und philosophischer Strömungen, besonders des Marxismus und Kommunismus. Heute spricht man oft von einem säkularisierten, nachchristlichen und sogar unchristlichen Europa.

FURCHE: Muß diese Evangelisierung wiederholt werden, weil sie nicht ausreichend war oder nicht angehalten hat?

SUSTAR: Sie muß aus verschiedenen Gründen wiederholt beziehungsweise fortgesetzt, verbessert, vertieft und weitergeführt werden. Denn mit der Evangelisierung ist es ähnlich wie mit der Bildung. Jeder Mensch und jede Generation müssen neu evangelisiert werden. Mit der Evangelisierung geht es nicht so wie mit der Kultivierung des Bodens oder mit dem Straßenbau, die ein für allemal oder wenigstens für lange Zeit erfolgen.

FURCHE: Ist Evangelisierung nicht ein ständiger Prozeß, der nie abgeschlossen ist und dessen Durchs führung daher keiner besonderen Erwähnung bedarf, weil sie eben ständig stattfindet?

SUSTAR: Sicher ist die Evangelisierung ein ständiger Prozeß, sowohl von seiten der Verkünder, die nie damit aufhören dürfen, wie auch von seiten der Empfänger, die sich das Evangelium immer neu aneignen müssen.

Der Inhalt der Evangelisierung bleibt sich allerdings gleich. Trotzdem bedarf die Evangelisierung immer neu der besonderen Erwähnung, damit sie nicht erlahmt oder vergessen wird. Es müssen immer wieder Rufer und Propheten auftre- ten wie im Alten Testament. In der Kirchengeschichte sind es vor allem Heilige, die immer neu durch ihr Vorbild, ihr Zeugnis und durch ihre Aufrufe die Evangelisierung belebt haben. ,

FURCHE: War Europa je wirklich christlich?

SUSTAR: Was heißt “wirklich christlich“? Man kann fragen, ob ein Einzelmensch wirklich christlich, eine Familie wirklich christlich sei. Vermutlich wird man antworten müssen, sie sind nur mehr oder weniger christlich. Dies gilt um so mehr für Europa. Es war und es ist sowohl geschichtlich wie auch geographisch, im Glauben, in der Lebensweise und in der Nachfolge Christi nur mehr oder weniger christlich. Das Christentum hat sich im privaten und im öffentlichen Leben mehr oder weniger ausgewirkt.

Wirklich und ganz christlich war Europa nie. Die christliche Prägung Europas ging auf und ab. Diese verschiedene Prägung Europas durch das Christentum hängt auch von Konfessionen ab; dazu kommt noch die verschiedene Art und Weise der Inkulturation in den einzelnen Ländern.

FURCHE: Steht hinter dem Aufruf des Papstes zur Neuevangelisierung ein besonderes organisatori-

sches Konzept?

SUSTAR: Ich glaube kaum, wenigstens ist mir dies nicht bekannt. Das Grundkonzept der Evangelisierung bleibt nach wie vor das Evangelium und das Zweite Vatikanische Konzil. Oft wird auch die Idee eines europäischen Pastoral- konzeptes erwähnt, besonders im Rahmen des Rates der europäischen Bischofskonferenzen. Doch bleibt ein solches organisatorisches Konzept die Aufgabe der Ortskirchen, wenn es möglichst konkret sein solL

FURCHE: Gilt dieser Aufruf allen Katholiken in gleicher Weise oder bestimmten Organisationen - etwa Opus Dei oder Communione e libe- razione - in besonderer Weise?

SUSTAR: Sicher gilt dieser Aufruf zuerst einmal allen Katholiken, besonders natürlich den Bischöfen, Priestern und Ordensleuten. Die letzte Enzyklika “ Christifideles lai- ci“ über die Aufgabe und die Rolle der Laien in der Kirche nach der außerordentlichen Bischofssynode hebt aber auch die Verantwortung der Laien besonders hervor.

Allerdings gibt es bestimmte Bewegungen, die stärker auf den Aufruf des Papstes reagieren und sich für die Neuevangelisierung einsetzen. Dies ist je nach der Lage in den einzelnen Ländern verschieden. In manchen Ländern ist das tatsächlich Opus Dei oder Communione e liberazione, anderswo wieder zum Beispiel Focolarini, charismatische Bewegungen oder Neoka- techumenat. In Osteuropa sind es kleine Gruppen, die sich der Neuevangelisierung besonders annehmen.

FURCHE: Wie könnte ein Neu evangelisierungskonzept aussehen — im Westen, im Osten?

SUSTAR: Wenn man überhaupt von Konzepten spricht, dürfen sie nicht zu allgemein sein, sondern sie müssen möglichst konkret auf die Verhältnisse der Ortskirche Rücksicht nehmen. Dann sind aber nur verschiedene Konzepte möglich.

Ich möchte aber doch vier gemeinsame Elemente erwähnen, die allen Konzepten gemeinsam sein sollten. Das ist zuerst der Inhalt, das ganze Evangelium. Dann die konkrete menschliche Situation. Es geht immer um den Menschen, der im Mittelpunkt der Evangelisierung steht. Drittens muß sich die Neuevangelisierung in der Nachfolge Christi im Leben auswirken. Sie darf keine bloße Theorie bleiben. Viertens sind Grundhaltungen des Christen, Glaube, Hoffnung und Liebe, für alle wesentlich.

Die Konzepte werden einerseits sehr stark darum bemüht sein, die Einheit im Glauben und in der Kirche zu wahren, anderseits aber der legitimen Verschiedenheit der einzelnen Ortskirchen Raum zu geben. Die allgemeine Formel wird lauten: Einheit in Verschiedenheit und Verschiedenheit in Einheit. Die heutigen Konzepte der Evangelisierung müssen die ökumenische Dimension mitberücksichtigen.

FURCHE: Wo sollten Schwerpunkte gesetzt werden - im Religionsunterricht, bei den Eltern als ersten Glaubensboten für heran- wachsende Kinder, in den Medien - überall zugleich?

SUSTAR: Es ist unmöglich, auf die Frage erschöpfend zu antworten. Es kommt darauf an, ob man mehr den Inhalt, die Methode, die Art und Weise oder die Träger der Evangelisierung vor Augen hat. Der Religionsunterricht allein ist sicher ungenügend. Daß man heute im Dienst der Vermittlung des Glaubens das Elternhaus und die Gemeinde besonders betont, wie auch die Erfahrung der Gemeinschaft, ist allgemein bekannt. Gerade die Gemeinschaft hat eine wichtige Rolle bei der Evangelisierung. Hier stehen wir vor großen Aufgaben, die wir wahmehmen und erfüllen sollen.

Das Interview mit dem Laibacher Erzbischof führte Heiner Bobers lei.

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