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Wirkung und Gegenwirkung

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„Die Fackel“ (1899—1936) und „Der Brenner“ (1910—1954) haben viel miteinander gemein, das weiß jeder, der auch nur eine der beiden österreichischen Zeitschriften einigermaßen genau gelesen hat. Wieviel sie aber gemein hatten, das geht erst aus dem Band II der Brenner-Studien hervor: „Der Brenner und die Fackel“ von Gerald Stieg führt den Untertitel „Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte von Karl Kraus“, und das will besagen, daß „Der Brenner“ von dem Innsbrucker Ludwig von Ficker zwar für Carl Dallago gegründet wurde, jedoch bewußt den Ideen verpflichtet, in deren Verfolgung der Wiener Karl Knaus „Die Fackel“ herausgab. Der junge Ludwig von Ficker (1880—1967) kannte bereits den Satiriker Karl Kraus (1874—1936), dieser jedoch wußte zunächst nichts von jenem. Schon im Heft 2 veröffentlichte Ficker einen Essay über Kraus, der erst im Sommer 1911 durch Zufall davon erfuhr.

Es begann sogleich eine Korrespondenz, die bis ins Jahr 1934 reicht und ungefähr 150 Briefe nebst zwei Dutzend Telegrammen umfaßt, vor allem aber begann eine Freundschaft, die sich lebenslang bewährte, weil sie auf absoluter Hochschätzung basierte. Es gab nämlich, vor» den zwanziger Jahren an, deutliche weltanschauliche Differenzen (Unterschiede), die nur durch gegtnwdttfren Respekt zu überbrücken waren. Eben diese Unterschiedlichkeit mag der Grund gewesen sein, daß in der bisherigen Kraus-Forschung „die Beziehung zum Brenner höchstens am Rande berührt“ worden ist, wogegen es in der (noch schmaleren) Brenner-Forschung „einige Ansätze zur Behandlung dieser Frage“ gibt, die sich aber mit zeitlichen oder thematischen Teilaspekten begnügten. Gerald Stiegs Arbeit ist als „Versuch einer Gesamtdarstellung“ konzipiert.

Der Verfasser hat alle ihm erreichbaren gedruckten und ungedruckten Quellen ausgeschöpft: das Gesamtwerk von Karl Kraus, das Kraus -Archiv der Wiener Stadtbibliothek, selbstverständlich die Briefe an Sidonie Nädherny und die Sekundärliteratur, ferner alle Brenner-Bände sowie die Publikationen des Brenner-Verlags, das Brenner-Archiv, die Bibliothek Ludwig von Fickers und fallweise mündliche Berichte als Ergänzung. Er beginnt mit einem „Vorbericht über die Forschungs- und Quellenlage“ und mit einer ,,Skizze der Geschichte der Beziehungen zwischen der Fackel und dem Brenner'; es folgen kapitelweise „Die Beziehungen zwischen Karl Kraus und Ludwig von Ficker“, „Karl Kraus und Carl Dallago“, „Karl Kraus und Theodor Haecker“, ,,Karl Kraus und Ferdinand Ebner“, „Exkurs: Erich Messing“, „Exkurs: Antisemitismus im Brenner“, „Karl Kraus und Georg Trakl“, „Der Brenner als .Provinzfackel'“, „Exkurs: Abfall und Wahnsinn“ und als „Anhang“ am Ende ..Anmerkungen“, „Dokumentation“. „Bibliographie“ und „Namensregister“. Der Apparat macht etwa

75 Seiten aus, ein Fünftel des Buch-umfangs.

„Der Brenner“ hat, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, „Die Fackel“ nicht nachgeahmt — sie diente ihm als Vorbild, schon in dem kommerziell waghalsigen Umstand, daß er wie sie keine bezahlten Anzeigen annahm, sondern nur freiwillig inserierte, was er einer Befürwortung für wert hielt. Inhaltlich war er geistig oppositionell wie „Die Fackel“, es wurde polemisiert und satirisch attackiert. Das änderte sich , bald nach dem Ersten Weltkrieg. ] INicht nur war der wichtige Brenner-Mitarbeiter Theodor Haecker 1921 <vom Protestantismus zum Katholizismus konvertiert, es konvertierte unter dem übermächtigen Einfluß einer persönlichen Beziehung des Herausgebers sozusagen die Zeitschrift, wonach ,die Frage der Position des Satirikers innerhalb des j Christentums aufgeworfen“ war. I Privat sprach man ,,Kraus die Fähig- I keit zur Liebe ab“. Trotzdem war H.die Bedeutung Kraus' für den Bren- i ner nicht erloschen“, wiewohl er aus ; .seiner Antiposition zum herrschen- : den Christentum in die Verteidiger- : rolle gewechselt hatte. Es gab — in &#9632; großen Abständen — lange Nachtge- j spräche zwischen Ficker und Kraus über den ethischen Stellenwert der ' Satire: Der eine hat den anderen nie , aufgegeben.

All das wurde tatsächlich noch nie derart vielseitig behandelt und do- ! kumentarisch belegt. Gerald Stieg bat, wie er im Vorwort bekennt, im Laufe seiner langjährigen Arbeit an dem Buch eine für ihn und das Er- 1 igebnia entscheidende Entwicklung durchgemacht: Er hatte eine „Huldiigung“ für Karl Kraus vor und endette bei einer „kritischen Distanz“. Das hat sich an manchen (wenigen) Stellen im Vokabular niedergeschlagen, das dann besagte Distanz, die gar nicht so groß au sein scheint, überbetont. Doch darum geht es nicht bei der Bewertung de.i Werkes. Es hilft ein dem Ausmaß nach bisher unterschätztes Kapitel österreichi-ischer Geistesgeschichte richtig bewerten, bietet eine wissenschaftlich solide Grundlage, auf der sich (da und dort korrigierend) weiter aufbauen lassen wird.

DER BRENNER UND DIE FACKEL. Von Gerald Stieg, Otto Müller-Verlag, Salzburg, 383 Seiten, öS 315.—.

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