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Wirtschaft braucht Antworten für heute

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Die Auseinandersetzungen um die zukünftige Entwicklung verschärfen sich. Festhalten an „bewährten” Zielen wird vehement bekämpft. Die Nachkriegsgeneration, Trägerin des Wiederaufbaus, fühlt sich dadurch desavouiert. Der Autor versucht Brücken zu schlagen.

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Die Auseinandersetzungen um die zukünftige Entwicklung verschärfen sich. Festhalten an „bewährten” Zielen wird vehement bekämpft. Die Nachkriegsgeneration, Trägerin des Wiederaufbaus, fühlt sich dadurch desavouiert. Der Autor versucht Brücken zu schlagen.

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Vor wenigen Jahrzehnten noch gab es in Deutschland nicht genug zu essen. Wie sich die Zeiten geändert haben, zeigt ein spektakuläres Projekt der Hamburger Umweltschutzbehörde: Landwirte, die ihre Äcker verwildern lassen, statt sie zu bebauen, sollen nunmehr mit Geldprämien aus Steuermitteln dafür belohnt werden, daß sie keine Landwirtschaft mehr treiben.

Durch diese Aktion soll aber nicht etwa nur die Anhäufung eines der bekannten Berge verhindert werden, durch welche die landwirtschaftliche Produktion den Bedarf übertrifft. Ziel der Aktion ist es vielmehr, im Hamburger Ballungsraum „ökologische Nischen” zu schaffen, in denen Wildpflanzen und Tiere leben können, welche in den sterilisierten Wirtschaftsräumen keine Uberlebenschancen mehr hätten.

Wie sich die Zeiten geändert haben, zeigt sich auch daran, daß seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie so viel nach „Alternativen” gefragt worden ist wie in letzter Zeit. Ist es ein Zufall, daß die Sterilisierung der natürlichen Lebensgrundlagen durch die industrielle Wirtschaft uns in eins mit der Frage bewegt, wieweit die Erträge dieser Wirtschaft überhaupt noch unseren heutigen oder gar den zukünftigen Bedürfnissen entsprechen?

Jede Zukunft ist die Zukunft einer Gegenwart und die Zukunft der achtziger Jahre nicht mehr die von 1945. Wer hungert und friert, hat keine Wahl und fragt nicht nach Alternativen. Wer den Krieg überstanden hat und sieht, wie alles zerstört worden ist, fragt ebenfalls nicht lange, was zu tun sei. Bis in die sechziger Jahre hinein hatte dabei auch der Grundsatz: „Je mehr, desto besser”, seine Berechtigung.

Zum Beispiel waren doppelt so viele Autobahnen und Hochhäuser wie 1950 wohl tatsächlich doppelt so gut und bedarfsgerecht wie der Bestand von 1950.

Viele oder sogar die meisten von denen, die zunächst den Zweiten Weltkrieg geführt und danach alles wieder aufgebaut haben, hätten vermutlich vor dreißig Jahren ein Bild der heutigen Situation als eine Zielvorstellung des seinerzeit Anzustrebenden akzeptiert. Mit Recht ist diese Generation stolz auf die Leistungen der Nachkriegszeit. •

Diese Ziele sind nun aber erreicht und sind insoweit die Ziele von gestern. Deutlicher als in der Aufbauphase zeigt sich heute auch, daß in der technischen Welt nicht immer alles neu ist, sondern daß alle Dinge im Fließgleichgewicht sozusagen jederzeit halb heil und halb kaputt sind.

Keynes hat einmal gesagt, daß zwei Pyramiden und zwei Totenmessen zwar doppelt so gut sind wie jeweils nur eine, nicht jedoch zwei Eisenbahnen von London nach York. Weil doppelt so viele Güter und Dienstleistungen wie 1980 keine Verdopplungen unseres Wohlstandes mehr wären, entsteht der Wunsch nach einem mehr „qualitativen Wachstum”. Weitere Verdopplungen können heute sogar nur noch als ausgesprochene Bedrohungsvorstellungen angesehen werden.

Daß die Ziele der Nachkriegszeit nunmehr die Ziele von gestern sind, wird von denen, deren

Lebenswerk ihr Beitrag zur Erfüllung dieser Ziele ist, häufig als eine Abwertung der vollbrachten Leistung aufgefaßt. Ich halte dies für ein Mißverständnis.

Das Mißverständnis wird dadurch nahegelegt, daß die Frage nach der Zukunft häufig nach einer Schlußform, die ich den „kulturkritischen Syllogismus” nennen möchte, mit einer Kritik an der Gegenwart verbunden wird.

Der kulturkritische Syllogismus besagt: Wenn etwas fehlt, so folgt daraus noch lange nicht, daß das, was da ist, nicht gut ist. Dieser Schluß ist aber offenbar nicht allgemein zulässig.

Wer z. B. genug und gut zu essen hat, jedoch ein Gespräch oder ein Konzert vermißt, klagt damit nicht über das Essen.

Diejenigen, deren Lebenswerk das Erreichte ist, sollten deshalb getrost die Frage ertragen können, welcherlei noch nicht Erreichtes das Lebenswerk der Nachkommen sein könnte. Und die Nachkommenden sollten gelten lassen, daß es eine einzigartige Chance ist, einmal fern aller materiellen Not überhaupt die Wahl zu haben, wie wir sinnvollerweise in Zukunft leben möchten.

Lasse man uns also in den achtziger Jahren auch die Fragen der Achtziger Jahre stellen. Die Ziele der Nachkriegszeit sind erreicht, und wie geht es nun weiter?

Diese Frage wird heute allerorten gestellt und findet vielfältige Antworten, zumeist in Gestalt von Entweder-Oder-Alternativen. In der öffentlichen Diskussion wird allerdings oft nur jeweils die eine von zwei Möglichkeiten als die „Alternative” bezeichnet.

Ist z. B. von alternativen Energiequellen die Rede, so meint man damit in der Regel die verschiedenen Stadien desjenigen energiepolitischen Weges, auf dem unsere Bedürfnisse mit Hilfe der Sonnenenergie gedeckt werden, wohingegen der andere mögliche Weg, der der Kernenergienutzung in ihren verschiedenen Stadien, dann nicht als „alternativ”, sondern sozusagen als das Normale gilt.

Was ist „alternativ”?

Diese Auffassung ist keineswegs selbstverständlich, denn die fossilen Energieträger können langfristig gleichermaßen auf die eine wie auf die andere Weise ersetzt werden.

Wenn Lebensformen gesucht werden, in denen Produktion und Konsum, Arbeit und Erfolg oder Weg und Ziel nicht mehr so weit auseinanderfallen wie heute, gelten in der öffentlichen Diskussion ebenfalls oft nur diese Lebensformen als „alternativ”, nicht jedoch die heutigen Verhältnisse. In diesem Fall werden die heute herrschenden Strukturen oder die Fortsetzung einer Trendentwicklung für das Normale gehalten, relativ zu dem eine Alternative als die andere Lösung zu rechtfertigen wäre.

Geschichtlich ist es demgegenüber normal, daß die Verhältnisse sich ändern und daß sogar Strukturbrüche eintreten.

Der Autor ist Professor für Naturphilosophie an der Universität Essen und seit 1979 Mitglied der Enquete-Kommission „Energiepo-litik” des deutschen Bundestages, der Text ein Auszug aus WIE MÖCHTEN WIR IN ZUKUNFT LEBEN. Von K. M. Meyer-Abich und B. Schefold. Beck Verlag, München 1981. 239 Seiten, öS 140,-.

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