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Wirtschaft heißt wählen

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Unser Fortschritt wird weitgehend von der Wirtschaft bestimmt. Man beruft sich auf eherne Gesetze. Daß diese Sicht zu relativieren ist, zeigt folgender Beitrag.

Wirtschaften bedeutet die Wahl eines Lebensstils.

Wirtschaften bedeutet die Wahl einer Technik.

Wirtschaften bedeutet die Wahl eines Rechnungswesens.

Was mit der Verwendung des Wortes Wahl in diesen drei Aus- sagen bekundet werden soll, das meine ich auch wörtlich so!

Zum Thema Lebensstil:

Freilich zunächst heißt wirtschaften entscheiden in Knappheitssituationen, jedoch steht wirtschaftliches Handeln in engem Kontext zur kulturellen Identität. Wirtschaftliche Entscheidungen auf allen Ebenen sind wohl kurzfristig abhängig von Zwängen ökonomischer Entwicklungstendenzen, langfristig aber nicht ablösbar von gesellschaftspolitischen Visionen.

Visionen nämlich entscheiden über Strebungen! Die identitäts-

begründenden Träume und Pläne erzwingen mit Urgewalt jene Tendenz, die letztlich als ökonomische Nachfrage Realität werden!

Die Chronologie ist hier klar: der Wille zu gotischen Domen oder aber zur Massenmobilität oder zum weltumspannenden Fernsehen schuf sich die Verwirklichungsökonomie hiefür!

Zugleich überrascht diese Woche die Nachricht, daß Österreich mit seiner Herz-Kreislauf-Welt- spitzentodesrate die WHO-Nor- men für Herzkathederplätze um 57 Prozent verfehlt; daß man hierzulande nachts und zum Wochenende die entscheidenden ersten sechs Stunden nach einem Infarkt nicht adäquat versorgt werden könne: von einer ökonomisch rationalen Mittelzuweisung kann also nicht die Rede sein. Der Kärntner Amerikaner Watzla- wick wird nicht müde, uns daran zu erinnern, daß unsere „Wirklichkeit“ eine selbstgeschaffene Konstruktion, eine Konvention ist, der gegenüber wir uns unserer Souveränität bewußt bleiben müssen.

Der Mega-Trend-Autor John Naisbitt führt die Vision auf den Punkt: Weltfrieden durch weltweiten Freihandel innerhalb selbstgenerierender Informationsgesellschaften! Dem schließe ich mich an, wenn der Begriff Information wirklich so umfassend verstanden wird, wie er theoretisch gemeint ist: einschließlich der ethisch-kreativen Impulse aus Nichtwissen!

Zum Thema Technik:

Technologien und die mit ihnen verbundenen Produkte bestimmen den Lebensstil und damit den Lebensstandard innerhalb einer Wirtschaft.

Doch so deterministisch Naturwissenschaft erscheinen mag, die Entwicklung der Technik bis hin zur Welt der Maschine ist nicht zwangsläufig, sondern bereits Ausdruck eines seelischen Bevorzugungssystems, das Arbeit, Leistung, Rationalität anderen Daseinsmöglichkeiten vorordnet (zum Beispiel der vita contempla- tiva).

Die Entgrenzung einer alten mythischen Scheu, die Freisetzung und Manipulation unermeßlicher Energien, die Wertung des Konstrukteurs als des neuen Heros, der zunächst spielerische, dann besessene Fertigungsdrang erzeugen die Kulturmacht Technik, die ihrerseits die einheitliche Weltzivilisation erzeugt. So fordert aber das technische Zeitalter die sittliche Entscheidungskraft des Menschen ganz neu heraus.

Explizit oder implizit dokumentierte Präferenzen für bestimmte Technologien generieren unter Wettbewerbsbedingungen jenes Preissystems, das die selektierten Technologien auch wirtschaftlich erscheinen läßt (zum Beispiel das von allen Seiten her hochsubventionierte Privatauto— abschreibungslose Ausbeutung der Rohölvorräte, Bau und Erhaltung der Straßen, sanktionslos umweltverschmutzende Autofabriken, anderweitig verbuchter Sicherheits-, Gesundheits- und Wrackentsorgungsdienst - versus der Lebensqualität äußerst zuträglicher frei gewählter Immobilität oder schienengebundener öffentlicher Mobilität).

Reicht die Koordination des Marktes nicht aus, was in den meisten Fällen mangels Informationsschärfe und Verrechnungskausalität zu erwarten ist, dann ergeben sich Koordinationsaufgaben für die Wirtschaftspolitik. Umweltrettende Technologien werden meistens dann betriebswirtschaftlich vertretbar, wenn eine gesellschaftliche Akzeptanz der neu geordneten Kosten vorliegt.

Zum Thema Rechnungswesen:

Daß die bestehenden Bewer- tungs- und Berechnungssysteme, Kostentheorien, Preispolitiken,

Bilanzgesetze, Besteuerungsmethoden, Zoll- und Subventionsregeln unvollkommene „Konventionen“ sind, die viel Mißweisung, Fehl verhalten und Schäden bewirken, ist fachbekannt.

Hiezu einige Beispiele: Die fälschlich als Fixkosten anfallenden Autosteuern und Versicherungen bewirken einen unökonomischen Mißbrauchsdruck, der unterbliebe, wenn diese Kosten kausal und proportional mit der Nutzung im Verhältnis des Treibstoffverbrauchs verrechnet würden.

Die Akkumulation von Sozialansprüchen des Individuums im Verhältnis zum Verbleib bei einem einzigen Unternehmen zwingt durch sachlich völlig abwegige Pönalisierung zum Vermeiden von Firmenwechsel, der im übrigen durchaus wünschenswert wäre.

Der mörderische Raubbau auf den amerikanischen „plains“ zur Weizenproduktion bewirkt jenen katastrophal niedrigen Weizen weltmarktpreis, der weltweit, auch bei uns, die Landwirtschaft ruiniert.

In unseren volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen fehlen total die Abschreibungen von einem Vermögensbestand oder Kapitalstock an Rohstoffen, Grund und Boden, Wasser, Luft, Stille. Die Makroökonomie kennt keine Abschreibungen, daher sind alle ihre Auskünfte über Mengendurchsätze irreführend und bewirken niedrige Preise für weniger lebenswichtige Güter mit impliziter Subventionierung durch kostenfreie Zerstörung lebenswichtiger Güter.

In dem soeben erschienenen Buch Gerhart Bruckmanns, „Mega-Trends für Österreich“, schlägt er ein weiteres Mal vor, aufkommensneutral für den Staat anstelle der Arbeit den Einsatz von Rohstoff und Energie zu besteuern. Mit einem Schlag würde die Arbeit billiger—alle derzeit wegen der hohen Arbeitskosten vernachlässigten Dienstlei- stungs- und Sozial- und Kulturbereiche würden belebt — und die materialintensiven Aktivitäten würden wünschenswert teurer, was einen Trend zu Qualität, Langlebigkeit, Korrosionsschutz, Energierationalität mit sich brächte.

Arbeitslosigkeit würde sinken, Schadstoffe und Müll fielen wesentlich geringer an. Bruckmann schlägt vor, in fünf Etappen mit jeweils zwei Jahren Abstand diese Umstellung vorzunehmen.

Für einen Ökonomen unbedingt erinnernswert ist der Begriff der Mißtrauenskosten, von denen alle unsere Lebensbereiche durchsetzt sind - mechanische Sicherungssysteme, Rechtskosten, Polizei, Gericht, Strafanstalt, Resozialisierungskosten — die letztlich unser aller Lebensqualität nutzlos mindern und ihre Ursache in ökonomiefernen psychologischethischen Bereichen haben.

Schließlich noch der Hinweis auf radikale Studien über systemimmanente Vergeudungen in den Gebieten Werbung, Landwirtschaft, Energie, Pharmazie, Versicherungen, die mit zehn Prozent des Bruttonationalprodukts (BNP) beziffert werden und weitere 20 Prozent werden den Bereichen Militär, Politik, Diplomatie, Steuerwesen, Kreditsektor, Arbeitsunfälle, Arbeitslosigkeit, Hausfrauenisolation und Lumpenproletariat zugerechnet.

Dieses runde BNP-Drittel nutzloser Systemselbstschädigung, also Kosten ohne Beitrag für individuelle Endzwecke — Lebensglück, erfüllte Charakterreife, dankbare Anschauung — erscheint dem geschärften Auge des Wirtschafters sehr plausibel.

Und nicht ersparen dürfen wir uns schließlich Hinweise auf Zusammenhänge zwischen unserem allzu wohlfeilen Fleischkonsum und der Umlenkung von zwei Drittel bis drei Viertel aller Getreideernten zur Viehmast — vor den Augen hungernder Menschen; sowie auf weiteres implizites Unrecht, das unsere Weltwirtschaft mit Tee, Kaffee, Zucker, Bananen, Erdnüssen, Eiern, Fischen, Zigaretten, Saatgut, Blumen und Blut begeht.

Somit dürfte aber auch klar sein, daß wir nicht nur mehr oder weniger kompetente Objekte eines technisch determinierten eigengesetzlichen Wirtschaftssystems unter unveränderlichen Sachzwängen sind, sondern wahlberechtigte, wahlfähige, mitwirkende, mitentscheidende, leitende Subjekte. Die Führuftgskräfte der Wirtschaft sollten also mit hinlänglicher Sichtschärfe und Informationsausstattung umsichtig und mittelfristig die drei eingangs genannten Wahlen treffen, jene des Lebensstils, der zu bevorzugenden Technik und des — der Intelligenz und moralischen Sensibilität entsprechenden — Verrechnungssystems.

Prof. Harald Mandl ist Direktor der Waag- ner-Birö AG in Wien, sein Beitrag ein Auszug aus dem Festvortrag anläßlich des zehnjährigen Bestehens des „Wirtschaftsforums der Führungskräfte“ am 10. Jänner in Graz.

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