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Wirtschaft im Vordergrund

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In der politischen Beilage einer New Yorker Sonntagszeitung erschien kürzlich eine Zeichnung, die Nixon und Breschnjew in intensiver Konversation darstellt. Die Staatsmänner stehen vor dem gespenstischen Riesenporträt des Watergate-Kronzeugen Dean, das die Szene überschattet.

Diese Emblematik ist jedenfalls für die amerikanische Presse zutreffend. Denn die Woche des Breschnjew-Besuches in den USA stand — trotz bunter Darbietungen des sowjetischen Staatsmannes, trotz hochklingender Beschlüsse — im Schatten der Watergatehearings.

Dabei wurden diese Hearings auf Wunsch der Obmänner beider Parteien im Senat auf eine Woche ausgesetzt, um den Präsidenten bei seinen Verhandlungen mit Breschnjew nicht zu beeinträchtigen. Trotzdem war diese Pause erfüllt von den Schüssen des innenpolitischen Stellungskrieges und ließ den Umfang der den Präsidenten beschuldigenden Aussagen des ehemaligen Rechtsberaters des Weißen Hauses, Dean, ahnen.

An der Oberfläche wurde Breschnjew jedenfalls viel und durchaus günstige Publizität gegeben. Man sah ihn mit dem Präsidenten vor den Fernsehkameras in vergnügter Unterhaltung, man sah ihn in einer Camp-David-Uniform, mit verstecktem Gesicht hinter Champagnerkelchen, man sah ihn Hollywoodstars umarmen und Industrieführer auf die Schulter klopfen. Kurz, Breschnjew erfüllte seine erste große Aufgabe mit Erfolg — er „vermenschlichte“ sich vor dem amerikanischen Publikum. Höhepunkt dieser Publizitätsoffensive war dann eine lange Fernsehansprache an das amerikanische Volk, die in dem Aufruf kulminierte: „Laßt uns den kalten Krieg begraben, sichern wir für unsere Kinder eine Welt des Friedens und des Wohlstandes.“

Was Breschnjew unter „Verbindendem“ verstanden wissen will, ist ein massiver Ausbau der amerikanisch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen. Er fand zu diesem Thema einen interessanten Kommentar, der nur bestätigte, was man schon wußte: daß nämlich der Übergang zu einer zivilen Konsumgüterwirtschaft in der Sowjetunion weder mit den verfügbaren Produktionsmitteln, noch mit dem existierenden System bewältigt werden kann. So sagte Breschnjew: „Wir Männer sind ja kein Problem. Wir tragen einen Anzug früh und abends, solange er eben hält. Aber die Frauen. Die wollen sich umziehen und neue Toiletten tragen, oft mehrmals am Tag!“

Dieses bemerkenswerte Eingeständnis einer „Verzivilisierung“ des sowjetischen Alltags hebt sich drastisch von dem Bild sowjetischer Arbeitsbrigaden ab, die bisher als für den Fortschritt der Arbeiterklasse und nicht für materielle Güter robotend dargestellt wurden.

Das sowjetisch-amerikanische Abschlußkommunique widmet daher dem Ausbau der Handelsbeziehungen ein langes Kapitel. Darin figuriert nicht nur das Bestreben, das Handelsvolumen in den nächsten drei Jahren auf mehr als zwei Milliarden Dollar auszuweiten, sondern auch das Projekt zur Erschließung sibirischer Gasvorkommen mit Hilfe amerikanischen Kapitals für die mit Energieengpässen ringende amerikanische Wirtschaft. Keine Rede mehr vom Dollarimperialismus. Im Gegenteil. Breschnjews Pressesprecher meinte, Investitionen festigten das Vertrauen. Abkommen über erweiterte Flug- und Schiffahrtslinien, ein Doppelbesteuerungsabkommen und andere technische Verträge garnieren diese großzügigen Pläne. Um die amerikanischen Widerstände in Wirtschaft und Politik auszuschalten, hatte Breschnjew zwei große Empfänge gegeben: einen für Industrielle und Bankiers — hier ging es vor allem um Kredite — und einen für Parlamentarier, die darüber abzustimmen haben werden, ob man der Sowjetunion die Zoll-Meistbegünstigung einräumen soll, wie sie alle Staaten des Westens genießen. Während aber die Industrieführer von ihrer Zusammenkunft mit Breschnjew beeindruckt zu sein schienen, bewahrten verschiedene Parlamentarier ihre Reserve.

An der Spitze dieser Gruppe steht der rechtsorientierte demokratische Senator Jackson, erfolgloser demokratischer Präsidentschaftskandidat von 1972 und Hauptsprecher gegen eine Detente mit der Sowjetunion. Er versucht, die sowjetische wirtschaftliche

Notlage auszunützen, indem er die Liberalisierung der Emigration russischer Juden aus der Sowjetunion verlangt und ist mit den bisherigen Konzessionen der Sowjets keineswegs zufrieden. Da aber jüdische Interessen im Kongreß stark vertreten sind, ist die Gewährung der Meistbegünstigungszölle bei sowjetischen Importen nach Amerika keineswegs sicher.

Es ist hier vielleicht am Platz, auf die Wandlung amerikanischer politischer Gruppen in ihrer Einstellung zur Sowjetunion einzugehen. Während zur Zeit des kalten Krieges und noch viel später das „liberale“ Lager für einen Ausgleich mit der Sowjetunion als einem „Fortschritt für die Menschheit“ kämpfte, zeichnen sich die gleichen Kreise heute durch große Zurückhaltung aus. Sie nehmen jetzt Anstoß an der Verfolgung Intellektueller in der Sowjetunion, an der prohibitiven Ausreisesteuer, die gegen jüdische Emigranten aus der Sowjetunion erhoben wurde, und an der russischen Intervention in der CSSR. Es sind dies interessanterweise die gleichen Kreise, die keine Träne vergossen, als in der stalinistischen und poststalinisti-schen Periode Millionen von Russen In Arbeitslagern und Strafkolonien ums Leben kamen. Dagegen sind es jetzt die traditionell antikommunistischen Kräfte, die eine empirischrealistische Politik unterstützen, weil sie eingesehen haben, daß die Kosten des kalten Krieges prohibitiv sind. Seit Nixon durch seine Chinainitiative ein besseres Verhältnis zur Sowjetunion erzwang, steht das „liberale“ Lager daher vis-ä-vis der Sowjetunion im Schmollwinkel, beleidigt darüber, daß man ihm „die Show gestohlen“ hat. Dieser Szenenwechsel ist nur wieder ein neuer Beweis dafür, wie innig in den USA Innen-und Außenpolitik miteinander verbunden sind.

Keinen Einwand gab es gegen das Abkommen zur Verhinderung eines nuklearen Krieges. Nixons Berater Kissinger bezeichnete dieses Abkommen als einen eher symbolischen Schritt, einen Mosaikstein im Entspannungsfeld.

Denn keine Atommacht, die einen atomaren Präventivschlag plant, wird vorher mit ihrem Gegner Konsultationen führen. Aber in unserer Zeit, in der Symbole wachsende Bedeutung gewinnen, ist die Abschwörung des Atomkrieges ein wichtiger Schritt zur Vorbereitung eines günstigen Abrüstungsklimas.

Außenpolitisch bemerkenswert ist, daß beide Mächte für die Beendigung des Vietnamkrieges Kredit beanspruchen, womit zum erstenmal offiziell die diplomatische Intervention der Sowjetunion in Hanoi zugegeben wurde. Eine ähnliche Entwicklung wurde für Kambodscha angestrebt. Die politische Zukunft wird den lokalen Kräften überlassen. Das wird zweifellos den kommunistischen Elementen zustatten kommen, die aus der Sowjetunion Wirtschafts- und

Militärhilfe erhalten während der amerikansiche Kongreß erst kürzlich das Ende der amerikanischen Luftunterstützung für die Regierungstruppen Kambodschas legalisierte.

Das Kommunique- äußert Befriedigung über die Entspannungspolitik in Europa und hebt die Ostpolitik der Bundesrepublik besonders hervor. Bs ist wohl außer Frage, daß dieser Passus auf besonderen Wunsch der Sowjetunion aufgenommen wurde, die damit ihren Freunden in der Bundesrepublik Schützenhilfe gewährt. Da es sich ja um ein gemeinsames sowjetisch-amerikanisches Kommunique handelt, ist dieses Dokument für Kanzler Brandt besonders wertvoll. Es zeigt aber auch, daß die amerikanische Außenpolitik in Europa viel an Profil verloren hat. Die gleiche Interpretation läßt sich für die Zustimmung zur Europäischen Sicherheitskonferenz anwenden. Durch viele Jahre von der amerikanischen Außenpolitik mit äußerster Skepsis bedacht, wird sie jetzt von beiden Signataren als Mittel zur Festigung der Stabilität und der Sicherheit in Europa angesehen. Über den Mittleren Osten wurde scheinbar viel geredet, doch offenbar kein gemeinsamer Entspannungsplan entworfen.

Inwieweit die Verhandlungen zur Einschränkung von Atomwaffen und zur reziproken Reduzierung von Truppen in Europa gediehen sind, ist dem Kommunique nicht zu entnehmen. Da es sich hier um zeitlich und inhaltlich unbegrenzte Verhandlungen handelt, wird das jeweilige Klima der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen auch diese Gespräche beeinflussen. Daß momentan Schönwetter herrscht, daß beide Großmächte an einer weiteren positiven Entwicklung ihrer Beziehungen interessiert sind, steht außer Frage. Die beiden Großmächte betrachten daher auch ihre Spitzentreffen als eine Art periodischer Einrichtung. Sie haben beide individuelle Anliegen — die Sowjetunion im Augenblick vielleicht vordringlichere, die sich kompensieren lassen — und beide zusammen zementieren ihre Großmachtpositionen in der Welt, die sich im Wettstreit niemals erhalten ließen. Was jedoch eine zu enge Zusammenarbeit verhindern dürfte, ist das langsam zum Axiom gewordene Bewußtsein, daß die amerikanische Position genau so stark ist, wie gut und wie glaubhaft ihr Verhältnis zu Rotchina ist. Nach den Gesprächen Breschnjews in Washington dürfte daher bald mit einer symbolischen Geste der USA in Richtung Peking gerechnet werden.

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