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Wo als letztes die Hoffnung stirbt

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Die Revolution von Nikaragua driftet weit nach links. Sorgen nehmen zu, auch wenn der Konflikt mit der Kirche wieder abgebaut wird. Die FURCHE sprach mit Politikern, Funktionären und Volk.

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Die Revolution von Nikaragua driftet weit nach links. Sorgen nehmen zu, auch wenn der Konflikt mit der Kirche wieder abgebaut wird. Die FURCHE sprach mit Politikern, Funktionären und Volk.

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In der pechschwarzen Nacht scheuchen Gekeife und Geknurr kämpfender Tiere aus dem Schlaf. Um vier Uhr beginnen Hunderte Hähne ihr Krähkonzert. Schlurfende Schritte, Hammerhiebe von nervender Monotonie, das erste flackernde Licht: eine Stadt erwacht. Eine Stadt der Armen.

Die Adresse: Barrio San Judas, Del Ceibo 3 cuadra al sur y 11/2 ar-riba, Casa 21, also „Vom Ceibo-Baum drei Straßen nach Süden und eineinhalb nach oben, Haus 21.” So findet sich jeder zurecht, der das Haus des österreichischen Entwicklungsdienstes (OED) sucht oder gar dort auch wohnt. In der Somoza-Zeit haben hier die Frauen ihre Männer vor der Polizei in Sandgruben versteckt.

Der ÖE D-Koordinator Georg Hubmer und einige seiner Mitarbeiter wohnen hier — bescheiden, aufwandsarm, fröhlich: wie das Volk, mit dem Volk: in einem Land, das durch das Erdbeben von 1972 über 10.000 Menschen verloren hat und weitere 40.000 bis 50.000 durch den Bürgerkrieg, der 1979 mit dem Sturz des Diktators Somoza durch die- Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) und ihre Bundesgenossen (von der Kirche bis zum liberalen Bürgertum) endete.

Wir fahren zum Gesundheitsministerium in einem der vielen „camionetas”: fensterlose, zugige, aber auch zügig fahrende und immer total überfüllte Klein-LKW zu Billigsttarifen.

Im Ministerium erfahren zwei österreichische Neuankömmlinge, daß sie als Krankenschwestern ins Bergland von Matagalpa kommen werden. Sie sind glücklich, die „Nicas” (Nikaraguaner) auch, denn die eigenen Leute gehen ungern aufs Land.

Fünf der 23 österreichischen Entwicklungshelfer sind im Gesundheitswesen tätig: Krankenpflege, Mütterberatung, Hygiene usw. Daß der Zugang zum Gesundheitsdienst heute praktisch kostenfrei möglich ist (nur bei Medikamenten gibt es Eigenleistungen), gehört zu den unbestrittenen Errungenschaften der san-dinistischen Revolution von 1979.

Ebenso unbestreitbare Leistungen gibt es im Bereich des Erziehungswesens. Im Anschluß an die große Alphabetisierungskampagne von 1980, als rund 100.000 Lehrer und Studenten (viele kirchliche unter ihnen, auch die Katholische Männerbewegung Österreichs half da mit) in sechs Monaten das Land geistig bearbeiteten, sind Anschlußprogramme geplant. Ziel ist, wie Unterrichtsminister Carlos Thünnermann der FURCHE versichert, die Erreichung der Viertklaß-Volksschul-bildung für alle: „Derzeit halten wir bei der zweieinhalbten Klasse. Schulpflicht gibt es seit langem theoretisch, aber auf dem Land fehlen noch Schulen für 60.000...”

Immerhin besuchen heute 45.000 „nenes” einen Kindergarten — gegen 2000 in der Zeit des Diktators Somoza. Kinderfreundlichkeit äußert sich auch in vielen anderen Bereichen — vom Spielzeug bis zu Verkehrsplakaten.

Auch die ÖED-Entwicklungs-helfer stellen drei Kindergärtnerinnen und acht Lehrer, die teilweise auch bei der Ausarbeitung von Unterrichtsmodellen mitarbeiten und nicht zuletzt in Behindertenschulen Pionierarbeit leisten.

Was sonst hat die Revolution gebracht? Gewisse bescheidene, aber wichtige soziale Mindestrechte, Beschwerdemöglichkeiten gegen Behördenwillkür und alimentationsflüchtige Väter.

Aber hier beginnen schon die Probleme: Wie soll, ein armer Schuhputzer oder Straßenhändler Alimente zahlen—noch dazu in einer Gesellschaft, in der trotz einer „tiefen, aber vielleicht ungebildeten Religiosität” (ein Bischof zur FURCHE) die meisten Paare ungetraut zusammenleben und viele junge Frauen ohne Anspruch auf materielle Gegenleistung einfach Kinder haben möchten?

„Die vielleicht wichtigste Errungenschaft der Revolution ist, daß niemand mehr Angst hat, wenn er Soldaten sieht”, sagen viele. Man sieht viele Soldaten, wobei schwer zu überprüfen ist, ob die ständig beschworene Kriegsgefahr von Honduras her wirklich droht.

Gespannte Beziehungen

Was aber sind die Minuspunkte der nachrevolutionären Entwicklung? Erzbischof Miguel Obando y Bravo zählt sie im Gespräch mit der FURCHE auf: ständig wieder Verlängerung des Ausnahmezustandes, Pressezensur, Einschränkung der Bewegungsfreiheit für nichtsandinistische Parteien, Zensur auch bei Radio Cato-lica, die gewaltsame Umsiedlung der Grenzland-Indianer...

Die Beziehungen der Regierung zur Kirche sind seit Monaten sehr gespannt. Vorläufiger Höhepunkt war die Verhaftung des erzbischöflichen Sekretärs im Haus einer Dame, worauf er von der Polizei nackt über die Straßen abgeführt und von „zufällig” anwesenden Foto- und TV-Reportern gefilmt wurde.

Der Sekretär gibt an, zum Mittagessen geladen und plötzlich von einem fremden Mann mit der Pistole zum Entkleiden gezwungen worden zu sein. Auch Regimefreunde, die nicht an das „Mittagessen” glauben, machen aus ihrer Verurteilung der Behandlung dieses Falls kein Hehl.

„Einer der größten Fehler, die uns unterlaufen sind”, sagte zur FURCHE P. Fernando Cardenal SJ, Bruder des Kulturministers, Alphabetisierungschef und Vorsitzender der Sandinista-Jugend. Daß zumindest ein Teil der Szene gestellt war und der Diffamierungsversuch nach hinten losging, wird heute kaum bestritten.

Leider kam es im Gefolge dieses Vorfalls zu Zusammenstößen zwischen regierungsgesteuerten Jugendbanden und Polizei, die zwei Tote forderten. Aber noch immer ist nicht aufgeklärt, wie die Erschießungen zustande kamen.

„Die Schüsse müssen aus dem Areal des Salesianerkollegs gekommen sein”, sagt~ Fernando Cardenal. „Der Lokalaugenschein ergab, daß sie aus keinem der Kollegfenster gekommen sein konnten”, kontert ein Bischof. Seltsam, daß man dergleichen nicht aufklären kann. Übriggeblieben ist nur die, Landesverweisung des Kollegleiters P. Jose Mo-rataya. Die Beschlagnahme des Instituts wurde rückgängig gemacht. Ganz offenkundig möchte der Staat die Erhitzung der Beziehungen abkühlen lassen.

„Wir sind mit der Bischofskonferenz und auch mit dem Erzbischof von Managua wieder ins Gespräch gekommen”, sagt Erziehungsminister Thünnermann, ein aufrechter Katholik und Ex-Universitätsrektor. „Wir waren zum Dialog immer bereit”, beteuert Erzbischof Ovando Bravo.

Was den Konflikt aufgeschaukelt hat, ist psychologisch erklärbar. Die Regierung ist offenkundig in Schwierigkeiten, reagiert auf Kritik gereizt und erblickt in einer geistigen Einflußmacht wie der Kirche eine Konkurrenzierung ihres Bemühens um ein Meinungsmonopol. Und Erzbischof Ovando ist ein unbestritten populärer Volkstribun.

Sein Amtssitz liegt in einer eleganten Gegend, von Palmenhainen umgeben, tiefgekühlt. Das hält ihm die „iglesia populär” vor, die „Volkskirche” der Armen. Die FURCHE tat es auch. Er lud uns zum Besuch seines Privathauses ein — auch in guter Gegend, aber inmitten einer Wohngegend auch einfacher Menschen.

„Mein Haus hat seinerzeit 3000 Dollar gekostet”, sagt der Bischof. „Das von D'Escoto kostete 60.000, das von Ernesto Cardenal mindestens soviel___”

Miguel D'Escoto ist einer der drei katholischen Priester in der Regierung (er ist Außenminister), Ernesto Cardenal ist der zweite. Der Papst hat sie zur Aufgabe ihrer politischen Ämter aufgefordert, was sie ablehnten.

Wie der Bischof lebt, irritiert auch Padre Paco S J, den Direktor des Historischen Instituts der Jesuitenuniversität von Managua. Die dort publizierten Thesen sind eindeutig naiver Marxismus reinsten Wassers.

1 Freilich lebt Padre Paco so, wie er predigt: als der Ärmsten einer. Und deshalb irritiert ihn auch der Lebensstil vieler Sandinista-Führer, die einfach in die Villen der Somozisten eingezogen sind. -Das irritiert auch einfaches Volk.

Viele haben sich die Revolution anders vorgestellt und über Nacht ein „Leben wie in den USA” erwartet, das vielen noch immer als Ideal vorschwebt. Der „neue Mensch”, von dem so viel die Rede ist, wächst sehr langsam. Preise für gewisse Güter (etwa Fernseher) sind gestiegen, Zucker und Benzin wurden rationiert.

Geht die Revolution schief? Viele, auch amtskirchentreue Katholiken, hoffen noch immer auf ihr Gelingen. Aber die Zweifel wachsen.

Woran nicht gezweifelt werden kann, ist der Nutzen der österreichischen Entwicklungshelfer in Nikaragua: Sie arbeiten auch noch in ihrer Freizeit am Bau von sechs Wohnhäusern mit, die sie aus Mitteln freiwilliger Selbstbesteuerung finanzieren, und dienen mit ihrer Arbeit nicht einem Regime, sondern einem Volk, in dem das Sprichwort Tradition hat: „Das letzte, was in Nikaragua stirbt, ist die Hoffnung.”

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