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Wo bleiben die Steuerzahler von morgen und übermorgen?

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1963 wurden in Österreich 134.809 lebende Kinder geboren, 1975 waren es (trotz der beträchtlich gestiegenen, in die Statistik einbezogenen Zahl der Ausländergeburten) nur noch 93.757, also fast um ein Drittel weniger. Dagegen kletterte die Sterberate nahe an die 100.000-Grenze. Die Zahl der Österreicher nimmt nun langsam, aber sicher ab. Ange sichts dieser Situation tauchen naturgemäß immer wieder Fragen nach der künftigen Bevölkerungsentwicklung und ihren wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen auf. Besonders die Schlagworte „Überalterung” und „Gefährdung der Pensionen” geistern ständig durch die Medien und das Bewußtsein der Öffentlichkeit.

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1963 wurden in Österreich 134.809 lebende Kinder geboren, 1975 waren es (trotz der beträchtlich gestiegenen, in die Statistik einbezogenen Zahl der Ausländergeburten) nur noch 93.757, also fast um ein Drittel weniger. Dagegen kletterte die Sterberate nahe an die 100.000-Grenze. Die Zahl der Österreicher nimmt nun langsam, aber sicher ab. Ange sichts dieser Situation tauchen naturgemäß immer wieder Fragen nach der künftigen Bevölkerungsentwicklung und ihren wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen auf. Besonders die Schlagworte „Überalterung” und „Gefährdung der Pensionen” geistern ständig durch die Medien und das Bewußtsein der Öffentlichkeit.

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Von mehreren Stellen, die sich mit demographischen Untersuchungen befassen, liegen bereits Bevölkerungsprognosen vor, die in gewissen sachbedingten Grenzen ein erhellendes Licht auf den genannten Problemkreis zu werfen vermögen. Die im wesentlichen übereinstimmenden Ergebnisse zeigen, daß die Weichen - zumindest für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte - schon gestellt sind.

Erwerbstätige kontra Pensionisten

Sind die Pensionen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gesichert? Um diese häufig gestellte Frage zu beantworten, teilen die Demographen die Bevölkerung in drei große Gruppen ein und untersuchen deren derzeitiges und zukünftiges Verhältnis zueinander. Die erste Gruppe, die „Jugendlichen”, reicht bis zum 15., nach der Studie des Institutes für Versicherungsmathematik an der Technischen Universität Wien sogar bis zum vollendeten 20. Lebensjahr. Trennmarke zwischen den darauf folgenden „Erwerbstätigen” und den „Pensionisten” ist in allen Prognosen der 60. Geburtstag. Die Problematik dieser Einteilung besteht zwangsläufig darin, daß nicht alle Personen der mittleren Altersgruppe wirklich erwerbstätig sind, anderseits aber einzelne aus den beiden anderen Blöcken.

Bestimmende Faktoren für die Altersstruktur einer Bevölkerung sind Sterblichkeit (Mortalität), Fruchtbarkeit (Fertilität) und Wanderung (Migration). Die Wanderungsbilanz ist davon am wenigsten vorhersehbar, für Österreich aber erfahrungsgemäß ziemlich ausgeglichen. Auch der Einfluß der Sterblichkeit ist, wie Univ.- Prof. Dr. Gustav Feichtinger vom Institut für Unternehmensforschung der Technischen Universität Wien betont, gering: „Die Überalterung hängt nicht, wie demographische Laien vielfach glauben, von der gestiegenen Lebenserwartung ab. Ob eine Bevölkerung durch Mortalitätsrückgang jünger oder älter wird, hängt entscheidend vom altersmäßigen Verlauf der Sterblichkeitsabnahme ab.” Insgesamt ist nämlich die Lebenserwartung in den letzten Jahren nicht mehr wesentlich gestiegen - in einzelnen Altersgruppen durch Unfälle und Streß sogar gesunken - und hegt nun für Männer bei 67, für Frauen aber, die um fünf Jahre früher in Pension gehen, bei 74 Jahren. Recht deutlich erhöhten sich freilich die Uberlebenschancen von Säuglingen und Kindern, wodurch sich eigentlich ein verjüngender Effekt auf die Bevölkerung einstellen müßte.

Geburtenrückgang seit 1964 feststellbar

Wenn das Durchschnittsalter der Menschen dennoch ständig steigt, ist dafür der seit 1964 feststellbare starke Geburtenrückgang verantwortlich. Der Ursachen für dieses nur die Industriestaaten betreffende Phänomen sind sicher mehrere. Bestimmt haben vor allem das neue Rollenverständnis der Frau, die nicht länger „nur” Hausfrau und Mutter sein will und zunehmend erwerbstätig ist, und der gehobene Lebensstandard dazu beigetragen. Die Pille ist nach Ansicht der Demographen zwar ein wirksames und bequemes Mittel zur Empfängnisverhütung, aber nicht die Ursache dafür, daß die Leute derzeit weniger Kinder wollen (oder waren alle Kinder, die früher mehr zur Welt kamen, „ungewollt”?), denn - so Prof. Feichtinger — „Geburtenrückgänge hat es schon früher gegeben, und entscheidend ist nicht die Existenz eines Verhütungsmittels, sondern die Absicht, es anzuwenden.”

Kurzfristig mehr Geburten zu erwarten.

Ebenso energisch wie gegen die Theorie vom „Pillenknick” wendet sich Prof. Dr. Heimold Helczmanovski, Leiter der Abteilung Bevölkerungsstatistik des österreichischen Statistischen Zentralamtes, gegen den in deutschen Illustrierten nun häufig verwendeten Ausdruck „Baby- Boom”: „Daß die Geburtenzahl in der Bundesrepublik gegenwärtig leicht zunimmt, stellt eine völlig natürliche Entwicklung dar, weil dort jetzt starke Jahrgänge ins Heiratsalter kommen.” Aus dem gleichen Grund dürfte es auch in Österreich in einigen Jahren wieder mehr Geburten geben, ob sie aber die weiterhin hohe Sterberate ausgleichen können, bleibt abzuwarten.

Auf das Verhältnis der Erwerbstätigen zu den Pensionisten wirken sich die derzeitigen niederen Geburtenraten erst um die Jahrtausendwende aus. Bis dahin zeichnet Josef Juch vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ein optimistisches Bild: „Einer abnehmenden Zahl von Pensionisten steht eine wachsende Gruppe von Beschäftigten gegenüber. 1976 kamen auf 1000 Erwerbstätige 424 Personen über 60 Jahren, 1998 werden es nur 323 sein.

Gleichzeitig müssen voraussichtlich immer weniger Jugendliche erhalten werden.” Kann man also aus demographischer Sicht bis zum Jahr 2000 zuversichtlich sein, stellt sich vorläufig mehr das ökonomische Problem, die nun immer stärker auftretende Gruppe der Zwanzig- bis Sechzigjährigen mit genügend Arbeitsplätzen zu versorgen, um tatsächlich das errech- nete günstige Verhältnis zu erreichen.

Das Chaos droht in 50 Jahren

In rund 30 Jahren bahnt sich jedoch eine echte Überalterung der Bevölkerung an, wenn laufend starke Jahrgänge das Pensionsalter erreichen, während ausschließlich schwache in die Erwerbstätigkeit nachrücken. Selbst wenn die Fruchtbarkeitsraten nicht weiter sinken, sondern, wie die meisten Prognosen erwarten, von 1980 an konstant bleiben, wird der aktive Teil der Österreicher für die Pensionisten immer tiefer in die Tasche greifen müssen. Die Belastungsquote, deren Maximum das Institut für Versicherungsmathematik nach der wahrscheinlichsten Variante für das Jahr 2032 mit 531 Pensionisten auf 1000 Erwerbstätige errechnet hat, wird dann bis zum Ende des 21. Jahrhunderts ziemlich hoch bleiben.

Man könnte nun derart weitreichende Prognosen als bloße Rechenexempel abtun und sich darüber freuen, daß die Fachleute kurz- und mittelfristig etliche Vorteile in der gegenwärtigen Entwicklung sehen. Denn einerseits kann jetzt bei den Ausgaben für den noch nicht und nicht mehr erwerbstätigen Teil der Bevölkerung gespart, auf der anderen Seite die volle Konzentration der Lage auf dem Arbeitsmarkt gewidmet werden, wo in einigen Jahren, wenn die ersten schwächeren Jahrgänge ins Berufsleben eintreten, ebenfalls mit einer Entspannung zu rechnen ist. Gegen diese Unterschätzung der Relevanz einer langfristigen Vorausschau wendet sich Prof. Feichtinger, wenn er sagt: „Gerade in der Demographie sind im Gegensatz zur Ökonomie relativ verläßliche Prognosen über längere Zeiträume durchaus möglich.”

Wo bleiben die Maßnahmen?

Falls die Geburtenrate weitere 10 bis 20 Jahre sinkt oder auch nur gleich niedrig bleibt, ist also die Gefahr einer ungeheuren Belastungswelle im 21. Jahrhundert zweifellos gegeben, denn dann sind die Weichen bereits bis zum Jahr 2100 weitgehend gestellt Natürlich sollte man bald etwas dagegen tun, etwa bevölkerungspolitische Aktionen setzen, um die Geburtenhäufigkeit zu steigern. Erfolgen nämlich solche Maßnahmen, die erfahrungsgemäß nur langsam Wirkung zeigen, zu spät, sind erstens bereits weniger potentielle Eltern da und zweitens die Aufwendungen für die Pensionisten womöglich schon wieder so groß, daß kaum noch der Wunsch zu wecken sein dürfte, zusätzlich für mehr Kinder aufzukommen.

Finanzielle „Zuckerln”, wie erhöhte Geburten- und Kinderbeihilfen, sind wohl erst von einem rfecht stolzen Betrag an Anreiz, denn die Erhöhung der Geburtenbeihilfe auf 16.000 Schilling hat keine Abschwächung des starken Geburtenrückganges gebracht Ihr folgte allerdings die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches - über die Auswirkungen davon liegen keine genauen Zahlen vor - auf dem Fuße.

Die Politiker müssen sich jedenfalls schon heute gut überlegen, was im einzelnen geschehen kann und ob sie sich im Interesse oder auf Kosten späterer Generationen entscheiden wollen. Dabei kann man gar nicht behaupten, daß die Österreicher ihre Kinder nicht lieben. Der Trend geht jedoch eindeutig zum Einzelkind, das man besser fördern kann und das weniger Belastung für die’ Eltern darstellt Um so mehr Belastung aber könnten die Eltern von heute dereinst für ihre Kinder bedeuten.

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