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Wo blieb der Vorrang für die Bildung?

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Ist die Bildung wirklich nur einer unter vielen Punkten, die den Wähler bei der Suche nach seiner Wahlentscheidung am 6. Mai interessieren sollten? Auf der Wahlplattform der Regierungspartei rangiert die „moderne Schule“ erst an elfter Stelle unter 14 Anliegen. Die ÖVP setzt die „menschliche Schule“ als siebten unter neun Schwerpunkte. Die Freiheitlichen beziehen Bildung nach Familie und Gesellschaft unter die Aufgaben zugunsten einer „lebendigen Gemeinschaft“ ein. Wo sind die Zeiten, da Bildung und Forschung in allen Regierungserklärungen und Parteiprogrammen Vorrang genossen?

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Ist die Bildung wirklich nur einer unter vielen Punkten, die den Wähler bei der Suche nach seiner Wahlentscheidung am 6. Mai interessieren sollten? Auf der Wahlplattform der Regierungspartei rangiert die „moderne Schule“ erst an elfter Stelle unter 14 Anliegen. Die ÖVP setzt die „menschliche Schule“ als siebten unter neun Schwerpunkte. Die Freiheitlichen beziehen Bildung nach Familie und Gesellschaft unter die Aufgaben zugunsten einer „lebendigen Gemeinschaft“ ein. Wo sind die Zeiten, da Bildung und Forschung in allen Regierungserklärungen und Parteiprogrammen Vorrang genossen?

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Das war in der zweiten Hälfte der sechziger und noch in der ersten Hälfte der siebziger Jahre der Fall. Damals, als die Große Koalition in einem letzten Aufbäumen ihrer Kreativität unter Minister Drimmel das große Schulgesetzge-bungswerk von 1962 schuf; damals, als die ÖVP-Alleinregierung unter Minister Piffl die Hochschulreform einleitete; damals auch noch, als Minister Hertha Firnberg die Hochschulreform einem Abschluß zusteuerte und Minister Sinowatz die unter seinen Vorgängern Mock und Gratz begonnene Arbeit der Schulreformkommission in weitere Bereiche vortrieb.

Damals wuchsen die Parolen von der „Chancengleichheit“, dann „Chäncengerechtigkeit“, und dem „lebenslangen Lernen“; damals setzte der Sturm auf Mittel- und Hochschulen ein, damals stellten die jeweiligen Finanzminister bereitwilliger als heute die von den Kollegen aus den Bildungsressorts angeforderten hohen Mittel zur Verfügung.

Für die Kinder, die heute durch die in den vergangenen Jahren errichteten und neugestalteten Schulen gehen, ist es gleichgültig, welcher Minister einst den Grundstein gelegt hat. Nicht gleichgültig aber kann sein, nach welchen Methoden, nach welchen Lehrplänen, nach welchen Grundsätzen diese Kinder unterrichtet und erzogen werden. Was ihnen die Schulreform in diesen 17 Jahren gebracht hat. Was ihren jüngeren Geschwistern in den nächsten zehn und zwanzig Jahren aus dieser Schulreform erblühen wird. Darüber steht in den Wahlplattformen der Parteien relativ wenig.

1962 brachte den Verfassungsrang für Schulgesetze. Seither mußten die beiden Großparteien einen gemeinsamen Weg suchen. 1962 hatten die Sozialisten diese Bindung durchgesetzt, um nicht vom „schwarzen“ Unterrichtsminister überrannt zu werden. Inzwischen dürften sie so manches Mal bedauert haben, sich damit selbst gebunden zu haben. Zumindest die Radikalen in den Reihen der

SPÖ sähen gerne mehr „sozialistische“ Schulpolitik.

Die FPÖ war von Anfang an gegen die Schulgesetze von 1962 und kann daher heute mit Befriedigung feststellen, daß so manche ihrer Warnungen inzwischen auch von anderen Skeptikern übernommen worden sind. Die härteste Kritik außerhalb der Parteien kommt vom Katholischen Famüienverband: Die Konsenspolitik der Großparteien sei auf Kosten des Schwächsten gegangen -auf Kosten des Kindes. Man habe in Strukturen, in Organisationsformen experimentiert und vergessen, die Lehrpläne auf das Kind auszurichten.

Harter Kern der Kritik ist jener Bereich, auf den die SPÖ ihre intensivsten Bemühungen setzte: die „Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen“ als schamhafte Umschreibung der angepeilten Gesamtschule, die wiederum die Fortentwicklung der einstigen Einheitsschule - wenn auch mit Differenzierung - sein sollte.

Es begann damit, daß schon 1962, um eine größere Durchlässigkeit zu erreichen, die Lehrpläne der Hauptschule an jene der Unterstufe des Gymnasiums angeglichen wurden. Mit dieser Angleichung aber, die inzwischen bis zur Wortgleichheit fortgesetzt wurde, setzte man den Maßstab kognitiven Lernens, wie er für den Gymnasiasten angebracht ist, auch für den Hauptschüler fest - und wunderte sich, daß dieser in vielen Fällen damit unter die Räder der Schulmaschinerie kam.

Man wollte die Diskriminierung des zweiten Klassenzugs beseitigen und führte Leistungsgruppen ein, sicherlich mit manchem Erfolg - aber wieder waren jene Schüler benachteiligt, die eben nicht nur in einem Fach in der dritten Gruppe blieben.V sondern in mehreren.

Man wollte die Leistungsbeurteilung - im Schulunterrichtsgesetz -objektivieren, und erreichte dadurch, daß es dem Lehrer unmöglich gemacht wurde, auf subjektives Bemühen positiv zu reagieren. Ein Erfolgserlebnis in musischen Fächern oder im Turnen zum Ausgleich für Mißerfolge in Lernfächern ist kaum noch möglich.

Familienverbands-Präsident Leopold Kendöl hierzu: „Ständiger Mißerfolg bringt Frustration. Diese führt den einen zur Aggression - siehe Schülervandalismus -, den andern zur Flucht aus der Welt - siehe Drogenmißbrauch -, den dritten zur Depression - siehe Schülerselbstmorde.“

Ist die Blaßheit der Bildungsaussagen in den Wahlprogrammen ein Zeichen dafür, daß man auch in den Großparteien die Bemühungen der vergangenen 17 Jahre zu überdenken beginnt? In der SPÖ-Plattform, die verspricht, die moderne Schule schaffen zu wollen, kommt die Gesamtschule nicht mehr vor, die im Parteiprogramm noch als ausschließliche Mittelstufenform, in späteren Erklärungen wenigstens noch als Alternative gefordert worden war.

Die ÖVP legt stattdessen in ihren Alternativen ein eigenes Heft über die „neue Hauptschule“ vor, die mit

„Lerngruppen“ (statt Leistungsgruppen) manches aus den Schulversuchen übernimmt und das Ziel hat, die von 80 Prozent der Kinder gewählte Schultype aufzuwerten.

In der Forderung nach einer Neugestaltung der Lehrpläne sind sich alle einig - ohne daß bisher konkret gesagt worden wäre, was man jeweils darunter versteht. Gemeinsame Anliegen sind auch die Verbesserung der Schulbahn- und Berufsberatung, der Ausbau der berufsbildenden Schulen - hierzu legt die ÖVP ein eigenes Papier vor - und eine Verbesserung der Gymnasiallehrerausbildung im pädagogischen und methodischen Bereich. Die Herabsetzung der Schülerzahl pro Klasse auf etwa 25 wird von ÖVP und FPÖ gefordert. Auch der Familienverband schließt sich dem an - vorausgesetzt, daß dabei die Privatschulen durch entsprechende Förderungsmaßnahmen mitziehen können.

Aber kein Wort von der höheren Schule, an der ebenfalls seit etlichen Jahren experimentiert wird - teilweise in einer Richtung, die in Deutschland längst als Fehlleitung erkannt worden ist. Die Universitäten klagen über die geringere Lernfähigkeit der Maturanten - sie zu verbessern, hat man noch keine Vorstellungen.

Kein Wort auch von den außeruniversitären Bildungseinrichtungen des tertiären Sektors, die in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung genommen haben. Sind sie so uninteressant, daß man sie „gar nicht ignorieren“ braucht? In einer Zeit, da die Hochschulen übergehen und zusätzliche Bildungsmöglichkeiten außerhalb gesucht werden?

Kein Wort schließlich über die Universitätsbildung, der eine Novelle zum Allgemeinen Hochschulstudiengesetz ins Haus steht. In keiner der Wahlplattformen ein Wort darüber. Bildungspolitik rangiert offenbar tatsächlich nur noch unter „ferner liefen“.

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