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Wo der Bauer nicht Millionär ist…

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Mit Zahlen läßt sich allenthalben trefflich streiten. Während die Regierung meint, sich im Glanze propagandistisch geschickt dargestellter Leistungen für die Landwirtschaft in regional benachteiligten Gebieten sonnen zu können, zerpflückt die Opposition die Bilanzen des zuständigen Ministeriums durch Vorlage „indexbereinigter“ Zahlen und spricht von einer Verschlechterung der Lage der Landwirte, vor allem der Bergbauern, in den letzten Jahren.

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Mit Zahlen läßt sich allenthalben trefflich streiten. Während die Regierung meint, sich im Glanze propagandistisch geschickt dargestellter Leistungen für die Landwirtschaft in regional benachteiligten Gebieten sonnen zu können, zerpflückt die Opposition die Bilanzen des zuständigen Ministeriums durch Vorlage „indexbereinigter“ Zahlen und spricht von einer Verschlechterung der Lage der Landwirte, vor allem der Bergbauern, in den letzten Jahren.

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Einigkeit herrscht bei allen Parteien insofern, als man allen Entsiedlungs- tendenzen entgegenwirken will, als man die Agrarwirtschaft in Berggebieten als wertvoll anerkennt. Uber das Ausmaß und die Methoden der notwendigen Förderung gibt es naturgemäß Auseinandersetzungen. Was sind nun die Hauptprobleme in diesen Regionen? Wie stellen sich die verschiedenen Gruppen die in Zukunft zu setzenden Maßnahmen vor?

Wer als Bergbauer zu betrachten ist, das legt eine entsprechende Verordnung fest. Entscheidend für die Aufnahme in den Berghöfekataster sind Hanglage, Höhenlage, klimatische Bedingungen sowie die innere und äußere Verkehrslage. Unter letzterer versteht man die Arbeitsmöglichkeiten mit Fahrzeugen auf der genutzten Fläche, aber auch, ob eine für einen Lkw befahrbare Zufahrt zum Hof vorhanden ist.

Sie sichern die Ernährungsbasis

Derzeit sind 35 Prozent - etwa 125.000 - der rund 360.000 landwirtschaftlichen Betriebe Österreichs Bergbauernhöfe, die nach drei „Erschwerniszonen“ gegliedert werden. Dipl.-Ing. Rudolf Strasser, Direktor des österreichischen Bauernbundes, skizziert die wichtigsten Leistungen der Bergbauern: „Sie bearbeiten rund die Hälfte der gesamten in Österreich bewirtschafteten Nutzfläche. 30 Prozent der landwirtschaftlichen Wertschöpfung gehen auf ihr Konto. Im Bereich Forstwirtschaft bewirtschaften die Bergbauern 60 Prozent der gesamten Waldfläche.“ Wie Strasser, hebt auch Dipl.-Ing. Rupert Huber, Bergbauernreferent der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, die viel zu schlecht bewerteten Verdienste der Bergbauern um die Gestaltung und Erhaltung der Besiedlungsdichte hervor und ergänzt: „Der Anteil an der Produktion von Nahrungsmitteln und Holz darf nicht übersehen werden. Im Berggebiet kommt an erster Stelle die Rinderwirtschaft, gefolgt von der Milchwirtschaft, schließlich die Holzproduktion. In Österreich werden, nicht zuletzt dank des Anteiles der Bergbauern, 92 Prozent der Nahrungsmittel im Inland erzeugt, in der Schweiz zum Vergleich nur etwa 60 Prozent.“

Mit Hinweis auf die Statistik, auf die reale Entwicklung des landwirtschaftlichen Einkommens zwischen 1966 und 1975 pro Familienarbeitskraft im Hochalpengebiet, resümiert Strasser: „In der Einkommensentwicklung sind die Bergbauern in den letzten Jahren noch mehr als die übrigen Bauern zurückgeblieben.“ Tatsächlich: 1966 betrug das Durchschnittseinkommen - pro Jahr! - ganze 22.888 Schilling, 1975 waren es zwar 34.087 Schilling, deren Kaufkraft machte aber nur mehr 91 Prozent von jener des Einkommens von 1966 aus. Nominell war das Durchschnittseinkommen 1973 mit 37.752 Schilling am höchsten, die größte Kaufkraft ließ sich bereits 1972 - 20 Prozent höher als 1966 - feststellen.

Natürlich ist das Gesamteinkommen pro Betrieb größer, denn meist arbeiten mehrere Familienarbeitskräfte mit, und oft kommt ein Nebenoder Zuerwerb hinzu. So belief sich das mittlere Jahreseinkommen pro Betrieb im Hochgebirge 1966 auf 79.310 Schilling, und die 145.773 Schilling von 1975 - das bis dahin größte nominelle Einkommen - besaßen immerhin 4 Prozent mehr Kaufkraft, das Einkommen von 1972 hatte dagegen schon 20 Prozent mehr als jenes von 1966. Kann man über einen längeren Zeitraum also bestenfalls von einem Einkommensstillstand sprechen, so brachten die letzten Jahre offensichtlich einen Verlust für die Bergbauern.

Trend zum Nebenerwerb

Verbringt das „Betriebsleiterehepaar“ mindestens 90 Prozent der Arbeitszeit im eigenen Betrieb, so spricht man von „Vollerwerbsbauem“, bei zwischen 50 und 90 Prozent Arbeitsaufwand von Zuerwerbsbauern, bei weniger als 50 Prozent von Nebenerwerbsbauern. Schon 1971 waren nur mehr 47 Prozent der Landwirte Vollerwerbsbauem, seither hat ihre Zahl sicher weiter abgenommen. Österreich besitzt heute bereits rund 160.000 Nebenerwerbsbetriebe, und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Kein Wunder also, daß politischen Parteien den Nebenerwerbsbauern erhöhte Aufmerksamkeit schenken.

Im Hochgebirge bietet vor allem der Fremdenverkehr eine gute und oft genützte Chance zu einem Nebenverdienst. Daß sich das Verhältnis des Tourismus zur Berglandwirtschaft auch in Österreich problematischer gestalten könnte als bisher, klang kürzlich in Wien bei einem Vortrag des Schweizer Fremdenverkehrsfachmannes Univ.-Prof. Dr. Jost Krippendorf an. Auf Grund von Erfahrungen aus seiner Heimat betonte Krippendorf, daß der Fremdenverkehr in wirtschaftlicher Hinsicht der Bergland- wirtschaft durch größere Einnahmen und erhöhten Absatz von Produkten sicher dienlich sei. Anderseits sind in ökologischer Beziehung negative Wirkungen, wie Zersiedlung, erhöhte Immissionen, Gewässerverschmutzung und dergleichen, zu befürchten, in sozialer Beziehung bringt der schnellere Kontakt der Bergbevölkerung mit den Errungenschaften der modernen Zivilisation alle damit verbundenen Vor- und Nachteile mit sich.

Abschließend stellte Krippendorf einige Postulate auf:

• ganzheitliche Entwicklungs- und Bauplanungen unter Mitbestimmung der ansässigen Bevölkerung in den ländlichen Gebieten,

• Erhaltung und Stärkung der Berglandwirtschaft durch Einkommenzuschüsse zur Abgeltung ihrer landschaftspflegerischen Leistungen für die Allgemeinheit,

• gezielte Information der Bauernbevölkerung, der Tourismusverantwortlichen und einer weiteren Öffentlichkeit über die Wechselwirkungen zwischen Berglandwirtschaft und Fremdenverkehr und die Notwendigkeit zu einer gemeinsamen Politik.

Leider gibt es noch immer Gegenden, wo der „Urlaub im Bauernhof* eine Seltenheit ist. Dort muß der Landwirt andere Einnahmequellen erschließen. Es gibt Bauern, die als Versicherungsagenten oder Autovertreter arbeiten, mehr noch verdingen sich unter der Woche als Bau- oder Fabriksarbeiter in der Stadt, um am Wochenende ihre kleine Landwirtschaft zu betreuen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen für Nebenerwerbs bauern im ländlichen Raum wäre wichtig, sollte aber nicht wie im Burgenland dazu führen, daß die Frauen diese Stellen besetzen, während die Männer weiter ihrer Tätigkeit in großen Städten nachgehen.

Wie soll gefordert werden?

„Seit 1970 ist in der Bergbauernpolitik Klarheit eingetreten. Mit der bis dahin üblichen Preis- und Marktpolitik allein konnte man die Probleme nicht lösen. Der Bergbauer kann einfach den Wettlauf nicht mitmachen, denn seine Produktionskosten sind höher, die Bodenbonitäten schlechter, die Mechanisierbarkeit seiner Arbeit geringer.“ So sieht Ministerialrat Dipl.-Ing. Otto Groier vom Landwirtschaftsministerium die Situation. Groier erwähnt besonders den 1971 erstmals ausgezahlten, damals im Rahmen der Landwirtschaftlichen Regionalförderung finanzierten Bergbauem- zuschuß sowie das 1972 eingeführte Bergbauernsonderprogramm. Die Landwirtschaftsförderung ist für ihn - mit wenigen Ausnahmen - Ländersache.

Bauernbunddirektor Strasser hält mit seiner Kritik an der Regierung nicht hinter dem Berg: „Die Länder haben Akzente in der Bergbauernförderung gesetzt, können aber nicht das ausgleichen, was vom Bund zu wenig getan wird.“ Vordringlich wäre die Verwirklichung folgender Maßnahmen:

• Vorsorge für Absatz- und Preissicherung der von den Bergbauern erzeugten Produkte,

• Entlastung der Bergbauern von den Kosten für Infrastrukturmaßnahmen durch verstärkte Gewährung von Beihilfen beim Wegebau, Übernahme der Kosten für die Wegeerhaltung und Senkung der Kosten für Telephonanschlüsse etc.,

• Fortführung der bewährten Regionalförderungsmaßnahmen zur Modernisierung und Rationalisierung der Bergbauembetriebe, Senkung des

Zinssatzes für Agrarinvestitionskredite von 4,5 auf 3 Prozent, Ausbau der Direktzahlungen.

Daß die Standesvertretung in der Regel mehr fordern wird, als die öffentliche Hand, die in letzter Zeit immer seltener auch eine offene Hand ist, zu geben bereit ist, scheint klar. Das Los der Bergbauern, zu den einkommensmäßig schwächsten Gruppen des Landes zu gehören, ist sicher nicht von heute auf morgen zu ändern. Was aber möglich sein müßte, ist mehr Verständnis und Anerkennung für die Menschen auf diesen Höfen, von denen 17.500 noch keine Zufahrt haben, wo bei enormer Arbeitsbelastung viele notwendigste Investitionen nur unter Verzicht auf für den Durchschnittsbürger selbstverständliche Konsumgüter getätigt werden können, wo der nächste Arzt, die nächste Schule, das nächste Telephon oft weit entfernt sind.

Was die Bergbauern am wenigsten wollen und brauchen, ist Mitleid, ist eine Unterstützung, die der Geber ihnen gleichsam als Almosen zuteü werden läßt. Ein fairer Preis für ihre Produkte - dazu gehört auch die Erhaltung der Kulturlandschaft -, damit wäre ihnen am meisten gedient. Daß beim Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse oft Schwierigkeiten auftauchen, ist bekannt. Man solte den Mut haben, auch einmal völlig ungewohnte Wege zu gehen, sei es durch Förderung einer Umstellung auf andere Produkte, sei es durch Erschließung gänzlich neuer Absatzmärkte.

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