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Wo die Avantgarde zu Hause ist

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Msgr. Professor Otto Mauer, der vor kurzem seinen 65. Geburtstag beging, ist der Leiter der Galerie nächst St. Stephan. Wir sprachen mit ihm über einige aktuelle Fragen auf dem Kunstsektor. Das Gespräch führte Linda de Elias Blanco.

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Msgr. Professor Otto Mauer, der vor kurzem seinen 65. Geburtstag beging, ist der Leiter der Galerie nächst St. Stephan. Wir sprachen mit ihm über einige aktuelle Fragen auf dem Kunstsektor. Das Gespräch führte Linda de Elias Blanco.

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FURCHE: Ist die Galerie nächst St. Stephan eine konzessionierte Galerie oder eine Künstlergemeinschaft?

MSGR. MAUER: Die Galerie nächst St. Stephan ist weder eine konzessionierte Galerie noch eine Künstlergemeinschaft. Wohl stehen gewisse Künstler der Galerie näher und werden auch immer wieder ausgestellt. Als die Galerie gegründet wurde, gab es am Team, zu dem Hollegha, Pra-chenski, Mikl und Rainer gehörten. Dieses Team besteht heute nicht mehr, doch hat die Galerie zu einzelnen dieser Künstler weiterhin nähere Beziehungen.

FURCHE: Haben Sie Künstler im Vertrag?

MSGR. MAUER: Die Künstler, die hier ausstellen, stehen in einem vollkommen freien Verhältnis zur Galerie. Sie verhilft Künstlern, vor allem jungen, ihre Werke auszustellen, sie übernimmt Ausstellungen von anderen, auch ausländischen Galerien und Museen und stellt thematische Expositionen zusammen.

FURCHE: Pflegen Sie Beziehungen zu anderen Galerien?

MSGR. MAUER: Ja, es gibt immer befreundete Galerien, mit denen man zusammenarbeitet, in Österreich und im Ausland, schon allein wegen der enormen Höhe der Transportkosten, Versicherungen, Kataloge usw. Größere Ausstellungen wandern heute von Galerie zu Galerie. Zusammenarbeit ist heute unerläßlich.

FURCHE: Pflegen Sie nähere Beziehungen zu ausländischen Galerien und Künstlern?

MSGR. MAUER: Das Musee des Beaux Arts in Lausanne veranstaltet eine Biennale der „Gale-ries pilotes“, die sich besonders für die Avantgarde interessieren. Dort haben wir einmal auf Einladung ausgestellt. Das Kommerzielle steht dort nicht im Vordergrund. Diese Biennale hat staatliche oder kantonale Zuschüsse. — 1970 waren wir auf den Kunstmärkten in Basel und Berlin. Kunstmärkte nehmen in letzter Zeit sehr stark überhand. Der erste und immer noch größte Kunstmarkt für die Moderne findet jährlich in Köln statt. Eine Reihe fortschrittlicher Galerien hat sich dort erstmals zusammengeschlossen und diese Messe veranstaltet. Andere Städte haben das nachgeahmt, so Berlin, Basel, Bochum und andere. Diese Kunstmärkte multiplizieren sich förmlich. Man kann dort fast alles sehen, was neu ist; diese Kunst-megsen haben internationalen, zum Teil übereuropäischen Charakter. Jede Galerie, die teilnimmt, muß ihren Stand selbst bezahlen. Unsere Galerie verkauft immer nur auf Rechnung der Künstler.

FURCHE: Haben Sie einen Bilderhandel?

MSGR. MAUER: Das Interesse, auch eines breiteren Publikums, ist stark angestiegen. Die Situation hat sich in den letzten Jahren ungemein gebessert. Es ist ein enormer Verkaufsanstieg zu verzeichnen. Unsere Galerie ist jedoch ein ideelles, kein kommerzielles Unternehmen. Wir verkaufen nicht, um Gewinne zu erzielen, sondern verkaufen auf Rechnung der Künstler. Ihm werden beim Verkauf 33 Prozent für die Erhaltung der Galerie abgezogen. Das ist natürlich nicht kostendeckend, sondern bloß ein Regiebeitrag. Ohne Subventionen könnte die Galerie nicht existieren. Es ist ein Spezifikum dieser

Galerie, kein Geschäftsunternehmen zu sein.

FURCHE: Stellen Sie neben einzelnen Künstlern auch unter einem Motto aus? Stellen Sie nach einer gewissen Stilrichtung aus oder gibt es auch andere objektive Themenstellungen?

MSGR. MAUER: Wir haben Einmannausstellungen, thematische und solche über gemeinsame Tendenzen wie zum Beispiel monochrom, abstrakt, projekt art, concept art, je nach der Situation der Kunst, die pluriform geworden ist. Es gibt keinen einheitlichen „Stil“ mehr wie etwa im Biedermeier oder im Barock. Von Sammelausstellungen sind wir eher abgekommen, da sich in vergangenen Jahren gezeigt hat, daß in den meisten Galerien die gleichen Leute auftauchen. Das hat dann zu einem Sammelsurium und zu einer Verlangweiligung der Sache geführt.

FURCHE: Es heißt, Sie lehnen die phantastischen Realisten und die neuen Surrealisten ab, warum?

MSGR. MAUER: Unsere Galerie hat früher verschiedene Künstler gezeigt, die ihr heute jedoch nicht mehr interessant vorkommen. Andere Galerien haben sich inzwischen auf diese Künstler spezialisiert. Wir hatten zum Beispiel eine der ersten Ausstellungen von Ernst Fuchs gebracht. Eine Zeitlang war sie schlechthin die Galerie für abstrakte Kunst, es existiert hier aber absolut keine Exklusive. Tauchen doch immer neue Tendenzen auf. Es liegt im Interesse der Galerie, diese neuen Strömungen sichtbar zu machen und besonders jungen Künstlern zum Start zu verhelfen. Wir suchen die Künstler nach Qualität und dem Auftauchen neuer Tendenzen aus. Die vorhin genannten Künstler und viele andere bekannte Leute kommen aus unserer Galerie.

Graphik — das große Geschäft

FURCHE: Was sagen Sie zu dem starken Anwachsen der Graphik? Glauben Sie, entspricht das dem Trend, daß sich der Durchschnittsbürger leichter eine Graphik als ein anderes Kunstwerk leisten kann? Oder ziehen die Künstler diese Art aus irgendeinem Grund vor?

MSGR. MAUER: Das Uberhandnehmen der Graphik ist eine rein kommerzielle Angelegenheit. Sicher sollte sie der Demokratisierung der Kunst dienen, doch die Druckgraphik, die Multiplikationsgraphik mit ihren riesigen Auflagen ist ungebührlich teuer geworden. Sie dient heute in Wirklichkeit dem erhöhten Geschäftsbedürfnis der Künstler und wird allmählich gerade für den, der nicht so viel investieren kann, unerschwinglich. Wenn eine Graphik 3000 bis 10.000 Schilling kostet, hat das bereits die Grenzen des Moralischen erreicht. Der Erwerb einer Graphik ist Mode und auch zu einem gewissen gesellschaftlichen Statussymbol geworden, wenn man auf das richtige Pferd setzt, kann man große Gewinne erzielen und Werte anhäufen. Dieser Trend des Publikums wird reichlich ausgenützt. Das Bedauerliche daran sind die asozialen Preise, die immer noch weiter steigen werden. Ich habe den Künstlern immer abgeraten, diesen Weg zu gehen, allerdings kann eine Galerie dem Künstler die Preise nicht vorschreiben. Die maßlose Uberschätzung der Graphik hängt zum Teil mit der Berichterstattung der Zeitungen zusammen, die dann kritiklos weiter tradiert wird. Nur auf diese Weise ist dieses Phänomen möglich.

FURCHE: Arrangieren Sie auch Ausstellungen für Architektur, Kunstgewerbe usw.?

MSGR. MAUER: Das moderne Kunstgewerbe liegt prinzipiell im Blickfeld der Galerie, noch mehr Architektur, die ja ebenfalls „angewandte Kunst“ ist. Es wird etwas nicht dadurch als Kunst ausgewiesen, daß es „nutzlos“ ist, es kann auch zweckgebunden sein. Man kann etwa in Kunst wohnen, Kunst kann eine Kultfunktion haben, das Plakat kann der Werbung dienen. Kunst wird nicht degradiert, wenn sie einem Zweck dient, außer der Zweck wird so vordringlich, daß Kunst nicht mehr Kunst, sondern reine Propaganda ist. — Ebenso kann auch „psychopathologische“ Kunst Kunst sein, ebenso die von Kindern, obwohl ich beide nicht in vollem Sinn als Kunst ansehe, weil hier gewisse Komponenten fehlen. Die Galerie hat eine enge Zusammenarbeit mit Primarius Dr. Navratil in Klosterneuburg-Gugging gefunden. — Wir haben art brut gezeigt, das sind Produkte von Geisteskranken und von zeitgenössischen Künstlern, die eine enge Beziehung zu den Produzenten psychopathologischer Kunst haben, ebenso wie etwa gewisse Werke von Arnulf Rainer, die unter Drogeneinfluß entstanden sind.

Kontakte mit den Nachbarkünsten

FURCHE: Sie veranstalten auch Dichterlesungen und bringen musikalische Darbietungen. Aus welchem Grund beschäftigen Sie sich auch mit anderen Kunstgattungen?

MSGR. MAUER: Wir haben bereits in den fünfziger Jahren Dichterlesungen veranstaltet und diskutiert. Die Galerie wollte die Entfremdung zwischen bildender Kunst, Literatur und Musik durchbrechen und sich vor allem nicht einseitig ausrichten. Es sollen Kontakte, Parallelismen und Verwandtschaften sichtbar gemacht werden. Wir haben eine Dokumentation über land art und über Beuys gezeigt, auch experimentelle Filme von Kubelka, einem bahnbrechenden Mann des österreichischen Experimentalfilms. Besonders möchte ich noch unsere seit 18 Jahren stattfindenden Kunstgespräche erwähnen. Da wird über Kunst theoretisiert, werden aber auch konkrete Tendenzen wahrgenommen. Außer der Galerie nächst St. Stephan und dem Museum des 20. Jahrhunderts hat sich noch niemand der Verbalisierung der Kunst gewidmet. In den meisten Galerien wird nicht geredet. Bei uns werden die Werke analysiert, wir veranstalten Diskussionsabende.

FURCHE: Welche Aufgaben stellt sich die Galerie nächst St. Stephan?

MSGR. MAUER: Die Galerie nächst St. Stephan sieht es als ihre Aufgabe an, den geistigen Strömungen der Zeit nachzugehen, immer wieder neue Künstler zu entdecken. Sie sieht ihre Aufgabe in der Repräsentation der entstehenden Kunst der Gegenwart. Sie dient der jeweils neuen Kunst. Sie will nicht nur mit den Strömungen der Zeit gehen, sondern sie mitbestimmen. Sie will nicht nur Kunst vorführen, sondern auch darüber theoretisieren und deren Analyse betreiben. Sie versucht, den Zusammenhang der Künste aufzuzeigen, wenngleich sie im wesentlichen auf die bildende Kunst ausgerichtet ist.

Münchner „Musica Viva“

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