7211545-1992_32_10.jpg
Digital In Arbeit

Wo die große Stunde des Bauernbefreiers schlug

19451960198020002020

Ländliche Behaglichkeit und fürstliche Eleganz sind hier an der March harmonisch vereint. Gemeinsame Geschichte ist gegenwärtig. Und ein Mann hat hier Geschichte geschrieben: der junge Hans Kudlich.

19451960198020002020

Ländliche Behaglichkeit und fürstliche Eleganz sind hier an der March harmonisch vereint. Gemeinsame Geschichte ist gegenwärtig. Und ein Mann hat hier Geschichte geschrieben: der junge Hans Kudlich.

Werbung
Werbung
Werbung

„Über der Ebene aber hebt sich die Stadt. Ihre Türme ragen und man hat den Eindruck von Macht und Größe, weit mehr als sie hernach zu rechtfertigen vermag.... Hier ist nämlich ein guter und geachteter Teil der Städter immer noch Ackerbürger. Und man hat sich im Schloßpark ergangen, den man einmal so geliebt. Man ist über Jugendland gegangen. Das heißt, man hat den Boden wieder einmal begrüßt und gesegnet, der einen so viel reicher beschenkt, als man damals ahnen konnte..."

Der österreichische Dichter Jakob Julius David schrieb die Zeilen über Kremsier, jene Stadt, in der er das erzbischöfliche Gymnasium besuchte. Erschienen sind sie am 1. September 1906 in der „Wiener Abendpost". In wenigen Zeilen und mit schlichten Worten hat der Dichter das Wesen

dieser Stadt auf den Punkt gebracht: trifft sich doch hier an der March am Rande der fruchtbaren Hanna (Hanä) ländliche Behaglichkeit und fürstliche Eleganz, die bis auf dem heutigen Tag spürbar sind. Auf der einen Seite die mächtige Schloßanlage mit zwei weitläufigen Parkanlagen und Gärten, voll von festlicher Architektur des 18. und 19. Jahrhundert verschönt durch den Kuppelbau der Pia-ristenkirche. Auf der anderen Seite bürgerlich-mährische Heimeligkeit, ein nahezu quadratischer Marktplatz, umstanden mit niedrigen Bürgerhäusern, deren Lauben zum kühlen Verweilen einladen.

Kromeffz (Kremsier) vereint liebevoll ein Stück kaiserliches Wien mit dem ländlichen Gepränge einer ehemals reichen mährischen Kleinstadt. Sie war jahrhundertelang die Schwesterstadt von Olmütz, wurde von dort kolonisiert und von seinen Bischöfen regiert. Das heutige Barockbild verdankt Kremsier dem Bischof Bruno von Schaumburg und seinen Nachfolgern auf demOlmützer Bischofsthron.

Der Bischof wählte sich die bis dahin alte, bedeutungslose Marchsiedlung zur Sommerresidenz und ließ sie nach deutschem Vorbild ausbauen. Nach

den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges waren vor allem die Bischöfe Karl II. Lichtenstein-Kastel-korn, Wolfgang H. Schrattenbach und Leopold F. Egkh für ihr heutiges Gesicht verantwortlich. Mit dem bischöflichen Schloß hat sich Lichten-stein-Kastelkorn ein ewiges Denkmal gesetzt. Er selbst war es, der nach seinem Amtsantritt im Jahre 1664 erste Entwürfe für einen neuen Schloßbau zeichnete, um die vom Krieg „inhabi-table Residenz" zu erneuern.

Untertänigkeit aufgehoben

Zwischen 1686 und 1711 entstand der heutige vierflügelige Baukomplex, der nur den markanten Turm und Eckrisaliten vom Vorgängerbau übernahm. Für die Neugestaltung zeichneten die im ganzen Habsburgerreich tätigen Architekten Philiberto Luc-chese und Giovanni Pietro Tencala. Karl II. überwachte persönlich den Baufortschritt und die Umsetzung seiner Ideen. Als leidenschaftlicher Kunstfanatiker ließ er von überall Kunstgegenstände, Möbel und Gemälde zur Ausschmückung seiner Sommerresidenz heranbringen. Die fachkundig angelegte Sammlung ist bis zum heutigen Tage erhalten geblieben und kann während einer Schloßbesichtigung bestaunt werden. (Besichtigungen des Schlosses nur mit Führung, auch deutschsprachig; täglich außer Montag.)

Die „Galerie" im

zweiten Stock des

Schlosses beinhaltet eine der größten Sammlungen des Landes: Cranach der Ältere, Tizian, Anton van Dyck, Brueghel, Ve-ronese, um nur einige zu nennen.

Das bischöfliche Schloß ist allerdings trotz seiner vielfältigen Kunst und seiner Kost-

barkeiten in erster Linie für die Geschichte unserer Heimat von Bedeutung: ein Stockwerk unter der Galerie tagte hier im großen Festsaal 1848 und 1849 der Reichstag, das erste österreichische Völkerparlament der neuen Konstitution. Wir alle wissen, daß der Reichstag als politisches Instrument scheiterte, ja scheitern mußte, was aber blieb, war die Bauernbefreiung und möglicherweise der Aufschub eines Weltbrandes um fast 70 Jahre.

Ende August 1848 - und wirksam mit 7. September - wurde im Reichstagsaal des erzbischöflichen Schlosses auf Antrag des Abgeordneten Hans Kudlich aus dem mährischen Lobenstein (Üvalno) die Erbuntertänigkeit der Bauern aufgehoben (siehe Faksimile). Den Antrag Kudlichs vom 24. Juli 1848 haben sämtliche Abgeordnete der slawischen Völker Österreichs unterstützt. Führend war neben dem jungen Kudlich auch der tschechische Abgeordnete Frantisek Brauner beteiligt.

Man sollte allerdings nicht nur in Kremsier Geschichte „schnuppem", sondern die Kunstwerke - wie man

sie in einer solchen Pracht vielleicht nur noch in Wien oder Prag findet -auf sich einwirken lassen. Nirgends kann man die Welt des Barock besser verstehen lernen, als im Lehenssaale des Schlosses, wo sich der Bischof Graf Leopold Egkh auf dem Deckenfresko eines Maulbertsch selbst verewigen ließ, nicht als Erzbischof oder geistlicher Herr, sondern - als Herakles. Eine bischöfliche Spielart von der „Leichtigkeit des Seins".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung