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Wo die Jugend Ideale findet

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Wenn jemand behauptet, die heutige Jugend sei schlimmer als die früherer Jahrzehnte, so scheint es mir immer, als hätte der Sprecher zu wenig mit der Jugend zu tun oder er hätte nur aus unliebsamen Begegnungen, deren es sicher manche gibt, seine Schlüsse gezogen. Die Jugend war stets anders als die ältere Generation, darüber klagten schon die alten Römer und Griechen. Doch vielleicht machen die heutigen Umstände das Verständnis noch etwas schwerer und die Situation der Jugend problematischer. Sie sucht vielleicht noch gewaltsamer, sich von alten Ordnungen und Traditionen zu befreien und selbst einen neuen Weg zu finden. Der verständnisvolle Erzieher, Lehrer, Priester und auch Arzt, weiß aber genau, daß sich dahinter auch eine starke Verunsicherung birgt, da sie einerseits den alten Rahmen nicht mehr will, anderseits aber doch neue Ordnungen braucht, neue Ideen und Ideale, die sie begeistern können.

Dabei ist von eminenter Bedeutung, welcher Weg sich ihr öffnet, ob es ein eindeutig positiver Wert ist, der ihr an-strebenswert erscheint und sie mitreißt. Zusammenfinden werden die Jungen sich jedenfalls in einer Gruppe, denn dieses starke Bedürfnis haben sie jetzt besonders, wo die Familie ihnen seelisch meist nicht mehr viel zu bieten hat und sie sich von ihr auch gerne innerlich früh lösen, oft von der

vorwiegend materiellen Gesellschaftsordnung angewidert. Irgendeine Geborgenheit brauchen sie aber doch und finden sie dann eben in der Gruppe der gleich oder ähnlich Gesinnten oder ähnlich Suchenden, ähnlich Unbefriedigten. Es ist nun Schicksal oder innere Neigung, die sie in eine losere, hippie-artige Gemeinschaft führt, zum in Gemeinschaft genossenen Suchtgift oder einer Gruppe mit Ausrichtung auf ein Ideal. Dieses kann in Sport oder der Musik liegen, politisch und „weltverbessernd“ sein oder zu den letzten Werten des Weltanschaulich-Religiösen führen, wo es keinen Haß, keine Zerstörungswut und also auch keinen Terrorismus mehr geben kann, wenn das Christentum richtig verstanden wird.

Wer am vergangenen Pfingstmontag-Vormittag im ORF die ausgezeichnete Sendung von Dolores Bauer über Taize gehört hat oder selbst schon einmal dieses kleine Dorf im Zentrum von Burgund mit seinen vielen Zelten besucht hat, um die dortige ökumenische Gemeinschaft kennen zu lernen, wird sich all diese Gedanken sicher auch schon gemacht haben: er ist ja einem erfolgreichen Versuch untendenziöser Idealgebung begegnet! Die Anziehungskraft, die Taize auf die Jugend ausübt, ist beeindruckend, waren doch im Vorjahr zu Ostern gegen 30.000 und heuer noch bedeutend mehr (vor allem

junge) Menschen dort zusammengeströmt. Sie kamen völlig freiwülig und viele schon zum zweiten oder dritten Mal.

Was können diese nicht ganz 100 Mönche aller drei großen christlichen Bekenntnisse unter Führung von Frere Roger in ihrer Gemeinschaft den Suchenden denn geben? Ich glaube, es ist erstens schon die Tatsache, daß jeder kommen kann, ob schwarzer, weißer oder gelber Hautfarbe. Auch wird er sicher einzelne Gebete und Lieder in seiner eigenen Muttersprache zu hören bekommen. Diese zutiefst christliche, völkerverbindende ökumenische Einstellung übt eine unglaublich verbrüdernde Wirkung auf die Kommenden aus, der sich auch der Erwachsene, der ältere Mensch, nicht entziehen kann. Die Stimmung tiefster Besinnung und Hingabe an das Gebet im dämmrigen Kirchensaal mit dem flackernden Lichtlein vor einer Ikone tut das ihre.

Aber nicht das Gefühlsbetonte ist für diese jungen Menschen das Wesentlichste, obwohl sie den Mut haben, sich dazu frei zu bekennen. In den sich zufällig bildenden Zirkeln fragt man nach dem Sinn des Seins, überdenkt die Leitmotive des bisherigen Lebens und debattiert über die Faszination, die der völlige Verzicht auf Macht und materielle Güter in der bedingungslosen Liebe zu Jesus Christus hier auf alle ausübt Es ist erstaunlich, welche Fröhlichkeit sie alle trotz Wind und Wetter erfüllt und welchen Ausdruck der Begeisterung und Lauterkeit die meisten Gesichtertragen. Möge dieses Leuchten ihnen erhalten bleiben auf ihrem Lebensweg und sich auch auf ihre Mitmenschen übertragen, dann war die Idee von Taize nicht umsonst.

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