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Wo die Phäaken schlemmten“

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„Aphrodite unter den ionischen Inseln“ nennen die Griechen sie: das Paradies des alten Schlemmervolkes der Phäaken, das Scheria des Sängers Homer, wohin Odysseus nach jahrelangen Irrfahrten verschlagen, wo er von der Königstochter Nausikaa und dem Königspaar Alkinoos und Arete gastlich aufgenommen wurde. „Smaragdinsel“ wird sie auch genannt, das immer grüne Paradies, Korfu: per griechischen Westküste, fast schon auf der 'Höhe Albaniens ist die Insel mit sechs anderen vorgelagert,

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„Aphrodite unter den ionischen Inseln“ nennen die Griechen sie: das Paradies des alten Schlemmervolkes der Phäaken, das Scheria des Sängers Homer, wohin Odysseus nach jahrelangen Irrfahrten verschlagen, wo er von der Königstochter Nausikaa und dem Königspaar Alkinoos und Arete gastlich aufgenommen wurde. „Smaragdinsel“ wird sie auch genannt, das immer grüne Paradies, Korfu: per griechischen Westküste, fast schon auf der 'Höhe Albaniens ist die Insel mit sechs anderen vorgelagert,

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Der Heptanissos heißen sie alle zusammen, und einige von ihnen sind für die Welt der Dichtung, der Sagen, für die Kunst und sogas in der politischen Geschichte zu einigem Ruhm gelangt: Ithaka zum Beispiel der Sage nach als Heimat des Odysseus, obwohl dies gar nicht mit Sicherheit belegbar ist; Lefkas durch seine Feste zu Ehren des heiligen Spyridon (11. August) und den Leukadischen Felsen, von dem aus in der Antike unglückliche Menschen sich aus unerfüllter Liebe ins Meer stürzten (zum Beispiel soll die Dichterin Sappho hier den Tod gefunden haben); prominenteste Insel ist freilich Korfu, das antike Ker-kyra, ein Land, das immerhin eine geschichtliche Vergangenheit bis zur illyrischen Besiedlung zurückverfolgt und als eines der ersten festen Geschichtsdaten 734 v. Chr. nennt, das Jahr der Eroberung der Insel durch die Korinther, die hier eine Kolonie anlegten.

Kerkyra wuchs rasch, baute seine Seefahrtmöglichkeiten aus, und wandte sich gegen die Mutterstadt Korinth, deren Flotte 665 und 435 v. Chr. allein und schließlich 433 v. Chr. zusammen mit den Athenern bekämpft wurde. 338 v. Chr. fiel Korfu den Expansionsgelüsten Philipps von Makedonien zum Opfer; Alexander der Große zog hier als Herr ein, dann König Pyrr-hos von Epiros, und seit 229 herrschten die Römer auf der Insel, die schließlich dem byzantinischen Kaiserreich einverleibt wurde. Plünderungen in der Völkerwanderungs-zeit — Kerkyra war als Sommersitz der Reichen beliebt — waren an der Tagesordnung. Schließlich eroberten die Venezianer Byzanz und 1386 auch Korfu.

Das „schwarze Gold“ von Korfu, die Oliven, > wurde zürn Haupthandelsgut der Korfiöten; die tüchtigen Venezianer setzten sogar noch besondere Leistungsprämien dafür aus und verteidigten die Insel gegen die Türken. Und während > Griechenland unter türkischer Herrschaft verarmte, ausgeplündert wurde, kulturell das meiste seiner < großen Tradition abbaute, in politischer Lethargie versank, blühte Korfu auf: auch kulturell. Ein Zustand, der erst 1815 ein Ende fand: Die Ionischen Inseln wurden ein eigener Staat unter englischem Protektorat, 1864 schließlich dem neuen griechischen Königreich der Wittelsbacher einverleibt.

Doch Byzanz und Venedig haben das Gesicht der Insel geprägt: Auf byzantinische Kirchen und Klöster stößt man hier immer wieder. Welch ein Ereignis ist etwa für den Reisenden im Platytära-Kloster die Sammlung nachbyzantinischer Ikonen, auch das Grab des Johannes Kapodistria befindet sich dort; oder im Panagia-Theotokos-Kloster aus dem 13. Jahrhundert die Wehranlagen zu sehen, Türme und weißgetünchte Brücken, eine Galerie, in der heute noch wie in vielen Klöstern eine alte Olivenpresse in Betrieb ist, in der Mitte die geräumige Kirche mit einer goldschimmernden Ikonostase ... Oder wenn man die Küsteripromenade Garitsa zu den Resten des Menekrates-Grabmals (590 v. Chr.) von Kanoni aus fährt und die auf die Mäuseinsel mitten ins ionische Meer gebaute Kirche des 16. Jahrhunderts und daneben auf einer zweiten Insel ein prächtiges Kloster bestaunt — die Anlage soll übrigens Arnold Böcklin zu seiner „Toteninsel“ inspiriert haben. Oder in Kanoni selbst steht eine wegen der Reinheit des byzantinischen Stils besonders bedeutende Kirche, Agios lasonos; beim Theodoros-Kloster finden sich die Reste eines Artemis-Tempels ...

Und all diese Bauten inmitten blühender Pracht: zwischen züngelnden Zypressen, blühenden Oleandern, endlosen auf Terrassen gepflanzten Ölbaumhainen, Mandel-

bäumen, sich dick aufplusternden Kakteen. Eine üppig wuchernde Landschaft, in die nicht von ungefähr Kaiser und Könige ihre Sommerresidenzen verlegt haben: die griechischen Könige zum Beispiel, die hier die Sommerresidenz Mon-repos errichteten; oder Kaiserin Elisabeth von Österreich, die hier in einer üppigen Parklandschaft ihren Sommersitz „Achilleion“ 1890 bis 1892 von August von Bucovich erbauen ließ:

Freilich, an die Kaiserin erinnern nur noch Gedenkstücke, Kamine, Deckenbilder, ein paar Gemälde. Das Achilleion, das nach Elisabeths Ermordung von Kaiser Franz Joseph 1907 an den deutschen Kaiser Wilhelm II. verkauft wurde, ist längst zu einem Geschäftsartikel geworden: zum Spielkasino, wo griechische Magnaten Roulette und Che-min de fer spielen, zur Touristenattraktion, wo in ein paar Vitrinen Briefe, Bilder, Fächer, ein paar Ge-dichtautographe, Porzellane der Kaiserin zu sehen sind.

Was heute noch den Stempel der Persönlichkeit Elisabeths trägt, ist die prächtige Gartenanlage mit dem „Sterbenden Achill“ von 1884 auf der großen Terrasse, einer Marmorplastik, vor der sich photographieren zu lassen heute kaum ein Tourist versäumt. Eindrucksvoll, aber sehr dem wilhelminischen Geschmack von 1912 entsprechend, ist der riesige „Siegende Achill“ in Bronze, der über das Meer schaut, ungeheuer prunkvoll das Gemälde „Achilles in Troja“, das die Prunkstiege zur Dachterrasse schmückt; die Atmosphäre römischer Villen umgibt einen in den Säulengalerien mit den zahlreichen Kopien antiker Dichterbüsten. Ein Paradies, in dem Elisabeth sooft sie konnte geritten und spazierengegangen ist, das sie zu Gedichten spirierte und wo sie ihre

Rheümatismusanfälle loszuwerden versuchte. Ein Paradies, das heute auch den Griechen noch mehr ist als nur irgendein prunkvolles Schloß.

Und wie zur Zeit der Phäaken ist auch heute Gastlichkeit in Korfu Trumpf: Auf den Plätzen der Stadt Kerkyra, unter den schönen alten Arkaden mit den Kaffeehäusern, die meist den Charakter venezianischer Lokale haben, in den alten Tavernen, die zu Touristenattraktionen geworden sind. In der berühmten „Tripa“ zum Beispiel, der besten Taverne der Insel, wie die Einheimischen versichern. Aber Nachtmahl heißt da natürlich nicht einfach Essen, Abspeisung. Der Abend ist für den Griechen die Krönung des Tages. Tanz ist das Zauberwort, und Gesang und Schaukunststücke gehören dazu. Kaum daß Bauernsalat, Oliven, Moussaka, Souflaki und der geharzte Retsinerwein aufgetragen sind, finden sich auch schon zwei

Männer, die zum Sirtaki antreten. Jeder Kellner seine eigene Show-Firma, scheint fast Devise zu sein. Sie fassen einander an den Schultern und das Spektakel geht los. Das Publikum feuert an, prostet ihnen zu, man spart nicht mit Bravos, wenn die Sprünge und Tanzfiguren in Hockstellung toll sind, klatscht im Takt mit... Die beiden wirbeln dahin, balancieren Gläser auf dem Kopf, einer nimmt einen Tisch, klemmt ihn zwischen die Zähne, und tanzend stemmt er das Möbel. Und wenn es ganz festlich zugehen soll, muß es auch krachen und scheppern. Scherben bringen auch in Griechenland Glück. Also ist Tellerwerfen ein Nationalspaß, bei dem früher mancher an einem Abend seinen Wochenlohn zertrümmert haben soll. Weshalb die Polizei das' muntere Abreaktionsspiel jetzt verboten hat.

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