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Wo die Welt brennt

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Christoph Bertram ist Direktor des International Institute for Strategie Studies (London) seit 1974. In Kiel geboren, promovierte er als Doctor iuris und arbeitete 1969170 im Planungsstab des Bonner Verteidigungsministeriums. Das angesehene Londoner Institut für strategische Studien feierte vergangenen November sein 20jähriges Bestehen. Es ist ein regierungsunabhängiges, privates Forschungszentrum zu Fragen der Sicherheitspolitik und der Rüstungskontrolle, dem über 2000 Politiker, Wissenschafter, Diplomaten, Bürokraten, Journalisten und Soldaten aus 60 Ländern angehören. Mit Direktor Christoph Bertram führte Burkhard Bischof in London dieses Gespräch.

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Christoph Bertram ist Direktor des International Institute for Strategie Studies (London) seit 1974. In Kiel geboren, promovierte er als Doctor iuris und arbeitete 1969170 im Planungsstab des Bonner Verteidigungsministeriums. Das angesehene Londoner Institut für strategische Studien feierte vergangenen November sein 20jähriges Bestehen. Es ist ein regierungsunabhängiges, privates Forschungszentrum zu Fragen der Sicherheitspolitik und der Rüstungskontrolle, dem über 2000 Politiker, Wissenschafter, Diplomaten, Bürokraten, Journalisten und Soldaten aus 60 Ländern angehören. Mit Direktor Christoph Bertram führte Burkhard Bischof in London dieses Gespräch.

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FURCHE: Herr Dr. Bertram, was würden Sie vom strategischen Standpunkt aus zur Zeit als das brennendste Problem ansehen, das auf lange Sicht gesehen die geopoliti-sche Situation in irgendeiner Weise entscheidend aus dem Gleichgewicht bringen könnte?

BERTRAM: Ich glaube, die größte Gefahr beruht auf einer Kombination von drei Faktoren: Der erste Faktor ist, daß das internationale Ordnungssystem, das nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend als ein von der Bereitschaft der USA zum Eingreifen abhängiges System entstand, nicht mehr intakt ist. Nun müssen die Regeln internationaler Sicherheit und Ordnung erst wieder neu entwickelt werden. Dazu kommt die wachsende Konfliktneigung außerhalb des traditionellen Ost-West-Bereiches, insbesondere in der Dritten Welt Dieser Faktor wiederum wird verstärkt durch die Verfügbarkeit von Zerstörungsmitteln in einem Ausmaß, wie es das früher nicht gab. Und ein Konfliktmanagement fehlt.

FURCHE: Betrachtet man die internationale Situation, wie sie sich in jüngster Zeit entwickelt hat, haben sich vor allem vier weltpolitische Konfliktherde herausgebildet, die unseren Planeten in eine riesige Zeitbombe verwandelt haben; Südostasien, der chinesisch-sowjetische Konflikt, Nahost und Afrika. Zu Südostasien: Handelt es sich dabei um einen Stellvertreterkrieg?

BERTRAM: Nein, ich halte diese These für falsch. Sie stammt aus einer anderen Zeit als der unserigen. Sie verkennt, daß viele Konflikte, nicht nur in Südostasien, eben nicht von außenstehenden Mächten geschaffen worden sind. Der Konflikt zwischen Kambodscha und Vietnam ist jahrhundertealt. Er beruht auch nicht auf dem Gegensatz zwischen Moskau und Peking. Dieser Gegensatz mag den Krieg und die Heftigkeit der Kämpfe verstärken. Aber die Gegensätze sind gerade deswegen aufgeflammt, weil außenstehende Mächte die Situation nicht mehr kontrollieren können.

FURCHE: Dennoch sind die sowjetischen Anstrengungen in diesem Raum nicht zu übersehen. Welche strategischen Ziele verfolgen die Sowjets in Asien überhaupt?

BERTRAM: Die Interessen der UdSSR sind von drei Überlegungen bestimmt: Die erste ist die Erkenntnis, daß auf absehbare Zeit eine volle Versöhnung mit China nicht möglich ist. Der zweite Grund ist die Erkenntnis, daß für die Sowjetunion die Erschließung der Rohstoffreserven in Sibirien wahrscheinlich eine drängende Aufgabe in den nächsten zwei Jahrzehnten sein wird. Und drittens gibt es ein Interesse Moskaus, entlang aller Grenzen Länder zu haben, die den sowjetischen Interessen nicht feindlich gesinnt sind. Dieses sowjetische Interesse an den Anrainerstaaten ist erkennbar in der Mongolei, in Afghanistan, gegenüber dem Iran, in der sowjetischen Indienpolitik, in den Bemühungen um die Türkei, in der Politik gegenüber Finnland usw.

Hinzu kommt noch etwas: Die Sowjetunion ist ein Vielvölkerstaat und viele Minderheiten, die dort leben, haben Verwandte in der Türkei, in Afghanistan, in Indien, Pakistan, im Iran. Mir scheint es auf Dauer ausgeschlossen, daß die politischen Ideen, die etwa die Türken, Iraner oder Afghaner in ihren eigenen Ländern beschäftigen, auf die Minderheiten in der Sowjetunion keinen Einfluß haben werden. Das muß für Moskau be-

sorgniserregend sein. Glauben Sie etwa, daß der Aufbruch des Fundamentalismus des Islam, der zur Zeit vor allem im Iran, in Pakistan und in der Türkei feststellbar ist, an den sowjetischen Grenzen haltmacht? Und die muslimische Bevölkerung in der Sowjetunion wächst!

FURCHE: Warum haben die Sowjets nach Maos Tod nicht ernsthaft versucht, die Beziehungen zu Peking zu verbessern?

BERTRAM: Die Sowjets haben das auf ihre Weise versucht. Sie haben gehofft, daß die neue Führung in Peking in ihrem Sinne pragmatischer wäre und nach rund sechs Monaten festgestellt, daß diese Hoffnung nicht berechtigt war. Die Attacken nach Maos Tod sind ja nicht in erster Linie von der Sowjetunion ausgegangen, die Polemik wurde von China gestartet.

FURCHE: Auch in Südasien und im Nahen Osten scheint sich die Situation durch die kommunistische Machtübernahme in Afghanistan und durch die Unruhen im Iran geo-politisch zu verschärfen.

BERTRAM: Ich glaube nicht, daß die maßgebliche Sicherheitsgefahr in diesen Ländern - und das gilt auch für andere Staaten der Dritten Welt -darin besteht, was die Sowjetunion unternimmt oder nicht unternimmt. Die Hauptgefahr der Sicherheit in diesem Bereich liegt darin, daß in-

nenpolitische Veränderungen die Stabilität der Staaten selbst in Frage stellen. Denken Sie daran, daß im Iran oder Pakistan und nun auch in der Türkei der Versuch der Modernisierung Gefahr läuft, an religiösem Fanatismus und an der Unfähigkeit zu scheitern, Geschichtsabläufe, die bei den Europäern mehrere Jahrhunderte gedauert haben, in einigen Jahrzehnten durchzuziehen.

Ich halte es für wahrscheinlich, daß wir auf absehbare Zeit mit einem erheblichen Grad innerer Unruhe und innerer Kam pfe - möglicherweise gar bis zu bürgerkriegsähnlichen Ausmaßen - leben müssen. Das bedeutet aber auch, daß Geländegewinne für die Sowjets im strategischen Bereich - etwa in Äthiopien, in Afghanistan oder in Angola mit sehr viel Skepsis zu betrachten sind. Es ist nicht so, daß dort, wo man einmal Einfluß gewonnen hat, dieser Einfluß auch von Dauer ist. Es ist letztlich auch nicht so, daß der neue Verbündete, nur weil er von einer marxistischen Partei regiert wird und marxistisches Vokabular benutzt, auch ein verläßlicher Verbündeter ist.

Das heißt freilich nicht, daß die militärische Präsenz und Intervention der Sowjetunion ohne strategischen Belang wäre. Sie ist natürlich in Afghanistan von Belang, wo die Verstärkung des sowjetischen Einflusses

einen zunehmenden Druck auf den Iran und die ölreichen Länder bedeutet. Natürlich bringt der Ausbau strategischer Stützpunkte durch die Sowjetunion auch die Zunahme der Effizienz ihrer militärischen Mittel. Die Sowjetunion hat in den letzten Jahren sehr gezielt ihr militärisches Potential zur globalen Intervention ausgebaut. Und die Instabilität in vielen Ländern der Dritten Welt wird der Sowjetunion oft Möglichlichkeiten zum Eingreifen bei verhältnismäßig geringem Risiko bieten.

FURCHE: Zur Situation im Nahen Osten: Wird die Zusage der Vereinigten Staaten, Ägypten und Saudiarabien modernste Kampfflugzeuge zu liefern, die militärische Balance in diesem Raum entscheidend verändern?

BERTRAM: Im Verhältnis zu seinen potentiellen Gegnern ist Israel militärisch überlegen. Dieser Vorsprung wird für die nächsten Jahre bestehen bleiben. Ägypten wird auch mit den F-5 daran nichts ändern können. Die ägyptischen Streitkräfte sind mit dem Gerät, das sie derzeit

- haben, nicht in der Lage, militärisch aktiv zu werden. Saudiarabien hat

, sehr moderne Flugzeuge zugesagt bekommen, die theoretisch gegen Ziele in Israel eingesetzt werden können. Es sind jedoch Flugzeuge, die dafür nicht ausgerüstet sind und eine Umstellung auf eine Angriffs-

rolle wird bei der technologischen Basis Saudiarabiens nicht einfach sein. Ein saudiarabischer Angriff ist theoretisch nicht auszuschließen, praktisch jedoch unwahrscheinlich. Syrien ist von der Sowjetunion in erheblichem Maße neu ausgerüstet worden, ist aber im Libanon voll engagiert. Und Syrien allein kann gegen Israel keinen Erfolg haben. Ähnliches gilt für Irak und Jordanien.

Auf absehbare Zeit bleibt also das militärstrategische Kräfteverhältnis derart, daß es Israel begünstigt. Das Problem für Israel ist nicht, ob es in den nächsten Jahren, sondern ob es auch nachher seinen militärischen Vorteil halten kann.

FURCHE: Warum engagieren sich die Sowjets in Afrika wie sonst fast nirgend außerhalb ihres Machtbereiches und welche Rolle spielen dabei die Kubaner?

BERTRAM: Für das Engagement der Sowjets in Afrika gibt es meiner Meinung nach drei Gründe. Erstens: Die Sowjets sind nach Afrika gekommen, weil sie von Regierungen oder Befreiungsbewegungen in Afrika dazu eingeladen wurden. Zweitens: Die Sowjetunion hat bisher in Afrika ohne erhebliches Risiko militärisch operieren können. Sie hat das in Somalia Mitte der sechziger

Jahre tun können, in Angola und am Horn von Afrika. Das Risiko blieb verhältnismäßig gering und dies begünstigte opportunistisches Vorgehen. Verstärkt wird das durch die Tatsache, daß auf absehbare Zeit gerade im Süden Afrikas der Westen seine politische Handlungsfähigkeit zu verlieren droht. Er kann nicht mehr im gleichen Maße gegenüber den Staaten Schwarzafrikas glaubhaft sein und seinen Versuch einer diplomatischen Lösung im Süden Afrikas vorantreiben. Die dritte Motivation liegt darin, daß die Sowjetunion für sich in Anspruch nimmt und es auch für völlig legitim hält, daß sie in der Welt mitreden muß. Die militärische Intervention in Afrika bedeutet, daß afrikanische Politik auf absehbare Zeit ohne den sowjetischen Faktor nicht denkbar ist.

Wieweit die Kubaner ein Werkzeug in der Hand der Sowjets sind oder nicht, dazu gibt es verschiedene Auffassungen. Vieles spricht dafür, daß sie aus eigenem Antrieb in Afrika sind. Ein Antrieb, der natürlich sowjetischen Interessen zugute kommt, der aber nicht auf einer Weisung aus Moskau beruht. Kuba sieht sich in der ideologischen Avantgarde der Dritten Welt. Und schließlich haben die Kubaner durch ihre afrikanischen Abenteuer ja eine erstaunliche internationale Position erlangt. Kuba wird heute in der Börse der Meinungen gehandelt, als sei es ein machtvoller Staat - nicht zuletzt auch deshalb, weil wir alle dazu geneigt haben, die Rolle der Kubaner zu überschätzen.

FURCHE: Welche weltpolitischen Konfliktzonen sehen Sie außerhalb der bereits besprochenen? Wie steht es mit Lateinamerika?

BERTRAM: Nein, Lateinamerika ist keine weltpolitische Konfliktzone. Es ist ja auch nicht so, daß nun alle Konflikte den Weltfrieden gefährden müßten: Der Weltfrieden hat eine dicke Haut! Allerdings spricht vieles dafür, daß in Zukunft Konflikte in der Dritten Welt sehr viel stärker auf den Weltfrieden durchschlagen werden, einfach weil die Mechanismen des Konfliktmanagements so unterentwickelt sind und auch, weil die Sowjetunion ja im wesentlichen auf militärische Machtmittel zur Einflußnahme in der Dritten Welt angewiesen ist.

Sowjetischer Einfluß wird immer dann wachsen, wenn die Konfliktneigung wächst. Sowjetischer Einfluß wird immer dann abnehmen, wenn die Konfliktneigung abnimmt. Dazu kommt die wachsende Abhängigkeit der industrialisierten Welt von Rohstoffen aus der nichtindu-strialisierten Welt, deren Konflikte Rückwirkungen in der Industriewelt auslösen müssen.

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