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Wo ein kleiner Gnom zum Riesen heranwuchs

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Wer Hradec-Krälove (König-grätz, FURCHE 30/1991) besucht, kann den Ausflug mit einer Fahrt zu Rübezahl und Wallenstein verbinden und das „böhmische Manchester" Liberec (Reichenberg) besuchen - eine Stadt von unvergleichlichem Flair.

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Wer Hradec-Krälove (König-grätz, FURCHE 30/1991) besucht, kann den Ausflug mit einer Fahrt zu Rübezahl und Wallenstein verbinden und das „böhmische Manchester" Liberec (Reichenberg) besuchen - eine Stadt von unvergleichlichem Flair.

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Weit schweift der Blick vom Gipfel der Schneekoppe (Snezka, 1.602 m) über den Doppelkamm des Riesengebirges (Krkonoäe) bis nach Schlesien und den Nordosten Böhmens. Bei guter Fernsicht an halbwegs klaren Tagen sieht man an die 200 Kilometer weit nach Gitschin, Trautenau, Reichenberg, Johannisbad und Hohenel-be. Die Schneekoppe kann man selbstverständlich erwandern, etwa über Spindlermühle (Spindleruv Mlyn, rund 7 km) oder bequemer mit dem Sessellift in zwei Etappen ab Petzer (Pec p. Snezkou) „befahren". Der Sessellift ist grundsätzlich ganzjährig geöffnet, da im Riesengebirge auch im Winter ein lebhafter Fremdenverkehr herrscht.

Einer der ersten, die den Berg bestiegen hatten, soll ein Venezianer gewesen sein. Die Annalen sprechen vom Jahre 1456. „Welsche Schatzsueher" versuchten nach dem Venezianer ihr Glück. Ein Chronist schreibt 1558: „Dahaben wir viel berggruben, kreize und zeichen funden und die jarzahl MD2 an einer buchen zusambt einer großen hand, die gegen morgen weist."

Rübezahl heißt Krkonost

Diese Zeichen und Markierungen des 16. Jahrhunderts kann man auch noch heute mit einiger Mühe finden. In derersten deutschen Riesengebirgs-dichtung des Martin Opitz aus dem Jahre 1690 („Schäffery von der Nim-fen Hercinie") zählt der Autor die Reichtümer dieses Gebirges auf: „der weiße Chalcedonier, der schwartze Cristall, der violbraune Amethist, der blaue Saffir, die tunckhelroten Granaten..."

Der Name des mächtigen Felsrükkens, Jiesengebirge" scheint das erste Mal in den schlesischen Annalen (Gentis Silesiae Annalesdes Melanch-thon-Schülers Joachim Cureus/ „Montes Gigantaei") auf.

Wer die wunderbare Welt des Riesengebirges besucht oder erwandert, kommt an dem guten/bösen Berggeist Rübezahl nicht vorbei. Auch tschechische Kinder spielen heute mit „Krkonost" (wie der Berggeist auf tschechisch genannt wird) und lesen mit glühenden Wangen die Sagen und Schwanke.

Die Rübezahl-Figur hatten Bergleute des 16. Jahrhunderts aus dem Harz mitgebracht. Ursprünglich war er ein kleiner, kuttentragender Gnom, der die Bergleute vor allerhand Unbill bewahren sollte. In der urtümlichen Riesenhaftigkeit der Bergwelt wuchs er jedoch zu jenem furchteinflößenden und doch gutherzigen Berggeist heran, so wie er eben in den, JCin-dermärchen der Deutschen" 1786 beschrieben wurde.

In der Sommerfrische Hohenelbe (Vrchlabi) am Eingang zum Riesengebirge findet man in einem prächtig renovierten Heimatmuseum (drei alte Riesengebirgshäu-ser wurden dafür miteinander verbunden) eine ausgezeichnete Dauerausstellung über den Berggeist.

Zum Abschied von den schroffen Felsen, den engen Tälern und den dunklen Tannen -es gibt sie noch - des Riesengebirges gedachte ich des Freiheitsdichters Theodor Kömer, der über das Riesengebirge schrieb: .„Hoch auf dem Gipfel

Deiner Gebirge

Steh ich und staun ich.

Glühend begeistert.

Heilige Koppe,

Himmelanstürmerin."

Wer sich der Mühe der weiten Anreise in das ehemalige Sudetenland unterzieht, sollte auch den Weg nach Friedland (Frydlant) nicht scheuen. Im nördlichsten Zipfel, am Rande des Isergebirges (Jizerske hory) liegt Friedland. Von der ehemaligen Tuch-und Textilstadt aus dem 13. Jahrhundert blieben nur wenige historische Denkmäler nach dem verheerenden Bombenangriff vom 5. Mai 1945 verschont.

Vor Jahren bereits renoviert, bietet sich nun das Neue Rathaus aus dem Jahre 1888 wie ehedem dar. Von den mittelalterlichen Stadtbefestigungen und der alten Siedlungsanlage hat der Bombenhagel nicht viel übrig gelassen. Im Stadtturm befindet sich ein Heimatmuseum mit Bildern des Prager Akademie-Rektors Franz Thiele.

Am Fluß Witigg (Smedä) findet sich jedoch ein wahres Juwel der gotischen Baukunst, die Dekanal-Kir-che Kreuzauffindung, ein dreischiffi-ger Saalbau von Gasparo und Marco aus Mailand (1501-1555). Nördlich am Chor das großartige Grabdenkmal des Patronatsherren Melchior von Redern, Feldmarschall gegen die Türken vor Großwandein. Die Reder waren die Herren auf Schloß Friedland von 1558 bis 1621 bevor Albrecht von Waldstein (Wallenstein) das enteignete Schloß übernahm.

Verkleinertes Wien

Die Geschichte des Schlosses und seiner Besitzer (Biberstein, Redem Wallenstein, Gallas und Clam-Gallas bis 1945) wird im Rahmen einer (einstündigen) Schloßführung hervorragend dokumentiert.

Verläßt man das Schloß, dann begleitet einem eine Inschrift des schwedischen Besetzersaus dem Jahre 1647: „Der Friede ist stärker als der Krieg, ich folge dem fortziehenden Schicksal."

Nur wenige Kilometer sind es von Friedland nach Reichenberg(Liberec) der ehemals größten Stadt im Sudetenland. Die reiche Tuchmacher-Stadt - das „böhmische Manchester" - hat auch heute noch Flair, läßt Vergleiche anstellen: das Reichenberger Rathaus ist eine verkleinerte Ausgabe des Wiener Rathauses (Franz von Neumann, erbaut 1888-1893) und auch das Theater, vielfach vom Teplitzer („die wer'n lachen in Teplitz!") Max Böhm, der seine Kindheit in Reichenberg verbrachte, als zweites Wiener Opernhaus zitiert, könnte tatsächlich am Wiener Opemring stehen.

Franz Kafka meint einmal ironisch als er vor dem Rathaus stand: „Er war für ein Dorf nicht zu groß und sein Rathaus macht ihn noch kleiner."

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