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Wo es keinen Wein und kein Stück Brot gibt

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Mehrere Wochen lang hielt sich der Dominikaner P. Manfred Kniewasser im A uftrag der Caritas in Mittel- und Südamerika auf. Ander Grenze von Honduras zu El Salvador konnte ersieh dabei ein konkretes Bild vom Flüchtlingselend’ machen, das der nun schon übereinJahr tobende Bürgerkrieg in El Salvador verursacht hat.

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Mehrere Wochen lang hielt sich der Dominikaner P. Manfred Kniewasser im A uftrag der Caritas in Mittel- und Südamerika auf. Ander Grenze von Honduras zu El Salvador konnte ersieh dabei ein konkretes Bild vom Flüchtlingselend’ machen, das der nun schon übereinJahr tobende Bürgerkrieg in El Salvador verursacht hat.

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Es war kein normaler Sonntagsgottesdienst, jedenfalls nicht für mich. Während wir in der Kirche feierten, hörten wir das dumpfe Grollen der Detonationen, dazwischen Maschinengewehrsalven. Als wir aus dem Gotteshaus traten, sahen wir jenseits der Grenze Rauchfahnen aufsteigen: in El Salvador brannten etwa 20 Dörfer und Ansiedlungen.

Kurz danach kamen sie herüber nach Honduras, ins Dorf La Virtud in der Diözese St. Rosa de Copan: armselige, kranke, unterernährte. Gestalten, hauptsächlich Kinder, Frauen und Greise, die vor den Greueln, die sie erlebt hatten, flüchteten.

Die Flüchtlinge kommen nicht immer so schnell: Meistens sind sie tagelang unterwegs, um die rettende Grenze zu erreichen, viele von ihnen sogar wochenlang. Und vielfacį werden sie auch noch von der Armee in El Salvador verfolgt.

Sprunghaft angestiegen ist die Zahl der Flüchtlinge, seit die USA der regierenden Junta in El Salvador durch Waffenlieferungen und die Entsendung von Militärberatern an die Seite gesprungen sind und damit in den Konflikt unmittelbar eingegriffen haben.

Die Frauen, die sich von El Salvador nach La Virtud herüberretten, sind in der Mehrzahl schwanger; im Durchschnitt hat jede Frau sieben Kinder, dazu kommen noch Fünf Waisenkinder.

Es ist eine unwirtliche Gegend, die sich die Flüchtlinge aus El Salvador als Zufluchtsstätte aussuchen mußten: wasserarm und nur schwer zugänglich. Das erschwert die notwendigste Versorgung der Flüchtlinge immens.

Dabei ist das Elend in La Virtud kaum vorstellbar: Seuchen grassieren, Tuberkulose und Malaria, Parasiten fressen an den Kindern. Trinkwasser gibt es überhaupt keines. Oben, an den Quellen in den Bergen, wird das Vieh getränkt. Das übrige Wasser speist dann die Brunnen in den Dörfern, aus denen die Menschen schöpfen.

Zu den körperlichen Leiden der Flüchtlinge kommen die seelischen:

Die Flüchtlingskinder aus El Salvador sind durch die Bürgerkriegserlebnisse in ihrem Land geradezu traumatisiert. Das drückt sich vor allem in ihrer großen Angst vor allem Soldatischen aus.

In ihrem Heimatland mußten sie oft genug furchtbare Grausamkeiten miterleben: Soldaten kamen in die Dörfer, mordeten, folterten und brandschatzten. Andererseits wollten sie die Guerilla-Kämpfer zwingen, den Kampf gegen die Junta mitzumachen und drückten ihnen Waffen in die Hand, um zu töten.

Etwa drei Viertel der Flüchtlinge sind Angehörige von Guerilleros, ein Viertel jedoch ist vor der Guerilla geflüchtet. Das heißt aber nicht, daß sie deswegen Anhänger der Junta sind. Und: Die Prozentverteilung kennzeichnet sicherlich nicht die politischen Sympathien in El Salvador selbst.

Auffallend ist, daß die Flüchtlinge in Gesprächen niemals von Greueltaten rechter Killerbanden berichten. Demnach ist eindeutig, daß die Grausamkeiten vor allem auf das Konto der Armee und der Junta gehen.

Daß der Großteil der Flüchtlinge mit den oppositionellen Widerstandsgruppen sympathisiert, daß Untergrundkämpfer selbst nach Honduras kommen, um ihre Familien zu besuchen, daß hier auch Waffen über die Grenze zu den Guerilleras geschmuggelt werden - diese Situation hat dazu geführt, daß das Internationale Rote Kreuz es abgelehnt hat, die Verantwortung für diese Lager zu übernehmen.

Von den großen Organisationen ist nur die Caritas präsent, um sich um die Flüchtlinge (in Honduras sind es nach jüngeren Schätzungen immerhin schon um die 30.000) zu kümmern, außerdem die beiden Hilfsorganisationen „Medians sans frontičre“ und „Medicins du Monde“. Bei der medizinischen Versorgung hilft ein Ärzteteam der Universität Tegucigalpa mit. Tätig sind hier auch noch die kleine protestantische Kirche des Landes, die Mennoniten und die US-Organisation „World Vision“.

In La Virtud, dem größten Flüchtlingsexil in Honduras, müssen schon an die 13.000 Salvadorianer versorgt werden. La Virtud selber ist aber ein jämmerliches Dorf, in dem es keinen elektrischen Strom und kein Wasser gibt. Die Leute dort, Einwohner wie Flüchtlinge, leben hauptsächlich von Bohnen, sind zum Großteil unterernährt.

Was mich aber besonders überrascht, ja fasziniert hat: Es gibt keine Spannungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Die Bewohner von La Virtud nehmen die Hilfesuchenden aus El Salvador liebevoll auf, teilen ihre eigene Armut mit ihnen.

Sie haben den Flüchtlingen zum Beispiel abseits des Dorfes ihre Häuser zur Verfügung gestellt. In diesen Häusern lassen sich die Flüchtlinge nieder; aber sie sind so viele, daß sie um diese Häuser herum aus Laub und Bambusstäben Notunterkünfte errichten müssen.

Etwa 200 Flüchtlinge leben dann in diesen Ansammlungen. Feste Unterkünfte können sie sich keine errichten, die Militärjunta von Honduras hat es ihnen verboten.

Einen Pfarrer gibt es in La Virtud keinen. Der Leiter der Pfarre ist der junge Lehrer des Ortes, der 20jährige Fernando, der gleichzeitig auch Leiter der Caritas ist und die Hilfsaktionen an der Basis organisiert.

Als ich ankam, war die Freude über das Eintreffen eines Priesters groß. Jedoch, die geplante Messe am Sonntag konnte ich nicht zelebrieren: Im ganzen Ort gab es keinen Wein und kein Stück Brot. So haben sie dann am Sonntag in der Früh ihre „Celebration de la pala- bra“ gefeiert. Einheimische und Flüchtlinge strömten in das armselige Gotteshaus, um ihre „Feier des Wortes“ zu begehen.

Eine Frau trug das Evangelium vor: „Macht euch keine Sorgen um das, was ihr essen und trinken werdet. Ihr habt einen Vater, der für euch sorgt. Schaut auf die Lilien des Feldes, die sind prachtvoller als Salomon.“

Als ich diese Sätze inmitten dieser leidgeprüften Menschen hörte, die nichts zu essen haben und nur faules Wasser trinken, war ich zutiefst schok- kiert. Aber dann legten sie in einem Gespräch, an dem die ganze Kirche teilnahm, dieses Wort aus. Sie sagten:

„Das bedeutet für uns, daß wir keine Egoisten sein sollen, daß wir gemeinsam für einander sorgen müssen, daß wir füreinander da sind.“

Und nach einem einstündigen Gespräch kamen sie zu dem konkreten Schluß, daß sie gemeinsam daran gehen müßten, die miserable Zufahrtsstraße nach La Virtud auszubessern. Denn diese Straße bedeutet für die Menschen dort wirklich Leben und Überleben, zumal die ganze Versorgung über sie abgewickelt wird.

Für mich war dies das tiefste Erlebnis meiner ganzen Reise: zu sehen, wie diese bitterarmen Menschen zueinander stehen, wie sie das Evangelium praktizieren, in die Tat umsetzen; ein gelebtes Christentum.

Diese Menschen in der Kirche von La Virtud konnten an jenem Sonntag keine Kommunion empfangen. Sie empfingen aber einander und ihr Einstehen füreinander als Geschenk ihres himmlischen Vaters.

Die Caritas integriert in La Virtud die Flüchtlinge in ihre Arbeit, einer „pastoral social“. Dabei sollen die entrechteten Menschen ihre Situation erkennen lernen und gemeinsam nach Wegen suchen, um ihre Lage zu verbessern, ohne daß ihnen von oben etwas aufgezwungen wird.

Diese Arbeit ist auch Hinweis auf die tatsächlichen Ursachendes Bürgerkrieges in El Salvador, der tiefe soziale Wurzeln hat. Ein Flüchtling in La Virtud erklärte mir: „Wir sind so arm und so unterentwickelt in El Salvador, daß wir uns mit fremden Waffen für fremde Ideen gegenseitig töten."

Die Flüchtlingshilfe und die „pastoral social“ der Caritas, mit denen diesen Menschen kurz- und langfristig aus diesem Elend herausgeholfen werden soll, sind indes stets gefährdet. Die Junta in Honduras betrachtet die Arbeit der Caritas mit großem Mißtrauen, ausländische Geistliche, die daran mitarbeiten, sind stets von der Ausweisung bedroht. Und die Kirche von Honduras insgesamt hat - ebenso wie in El Salvador - schon einen hohen Blutzoll zahlen müssen.

Es muß die Hoffnung eines jeden Christen sein, daß das Blut dieser Märtyrer zum Simenkorn für einen Frieden wird, der aus der Gerechtigkeit kommt.

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