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Wo Geistliche auftanken

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Seit 1991 führt die Benediktinerabtei Münsterschwarzach bei Würzburg ein „Recollectio-Haus", das jeweils 16 Weltpriestern, Ordensgeistlichen und -frauen die Chance gibt, sich während eines dreimonatigen Aufenthaltes geistig-spirituell und seelisch zu sammeln. Der Leiter der spirituellen Begleitung, P. Anselm Grün, hielt jüngst in Oberösterreich mehrere Vorträge.

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Seit 1991 führt die Benediktinerabtei Münsterschwarzach bei Würzburg ein „Recollectio-Haus", das jeweils 16 Weltpriestern, Ordensgeistlichen und -frauen die Chance gibt, sich während eines dreimonatigen Aufenthaltes geistig-spirituell und seelisch zu sammeln. Der Leiter der spirituellen Begleitung, P. Anselm Grün, hielt jüngst in Oberösterreich mehrere Vorträge.

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FURCHE: Wie sieht das Konzept des Recollectio-Hauses aus?

PATER ANSELM GRÜN: Es ist ein ganzheitliches. Unser Ziel ist, die Menschen wieder mit ihren inneren Quellen in Berührung zu bringen. Wir gehen dabei von einem Begriff der Psychologie aus, der ganzheitlich orientiert ist. Die letzte Quelle ist letztlich der Geist Gottes selber in uns. Wir arbeiten sowohl mit Einzelgesprächen wie mit therapeutischer Begleitung, mit Gruppengesprächen und Gruppenarbeit, mit kreativer Arbeit wie Malen, Töpfern, wo die inneren Prozesse dargestellt werden, damit man besser darüber reden kann; mit Leibarbeit, Entspannungsübungen, freiem Tanzen, mit freien Bewegungen und ähnlichem. Ganz wichtig ist für uns die Gemeinschaft, weil untereinander sehr viel geschieht.

FURCHE: Aus welchen Gründen kommen die Menschen zu Ihnen?

P. ANSELM: Das ist sehr verschieden. Manche Priester kommen, weil sie schon in einer Beziehung leben, weil sie Zölibatsprobleme haben, andere sind ausgebrannt, andere haben depressive Stimmungen oder haben auf einmal Ängste beim Zelebrieren. Andere wollen sich wieder mal regenerieren, bevor sie eine neue Aufgabe in Angriff nehmen.

FURCHE: Betriffidas Ordensfrauen ebenso?

P. ANSELM: Ja. Bei Ordensfrauen ist es manchmal eine Berufskrise. Manchmal sind es Blockaden, einfach depressive Stimmungen oder überhaupt Lähmungen, und, was immer häufiger vorkommt, sexueller Mißbrauch in der Kindheit.

FURCHE: Wie erfolgreich ist aus Ihrer Sicht das Programm ?

P. ANSELM: Fast alle Gäste, die da waren, sind sehr gestärkt nach Hause gekommen. Bei psychosomatischen Erkrankungen hat unser Haus natürlich Grenzen.

FURCHE: Neben weiblichen Gästen haben Sie auch weibliche Mitarbeiter in Ihrem Team, zum Beispiel eine Ordensschwester, eine Psychologin, eine Ärztin als medizinische Leiterin. Wiefunktioniert diese gemischtgeschlechtliche Gemeinschaft?

P. ANSELM: Wir haben bewußt Männer und Frauen genommen, weil es einfach ganzheitlicher ist und mehr Dynamik in eine Gruppe hineinkommt. Wir versuchen auch immer zu schauen, daß Männer und Frauen gleich gut verteilt sind, obwohl sich grundsätzlich mehr Frauen dafür interessieren.

FURCHE: Haben Frauen vielleicht mehr Mut?

P. ANSELM: Ja, sicher. Bei den Männern muß der Leidensdruck stärker sein, bevor sie kommen. Wirhaben festgestellt, daß es sehr gut ist, dieses Miteinander... Na gut, es gibt Rivalitätsprobleme, Kompetenzprobleme, wenn Männer und Frauen zusammen Küchen- oder Waschdienst machen. Aber ich denke, alleinstehende Priester haben ja oft eine unbewußt eigenartige Verhaltensweise Frauen gegenüber entwickelt: daß sie sich bewundern lassen, daß sie Frauen „benutzen". All das wird sehr offen ange-sphaut, weil Frauen eben nicht so mit sich umspringen lassen.

FURCHE: Ihr Auswahlverfahren istäußerst sorgfältig. HabenSie trotzdem viele Anmeldungen?

P. ANSELM: Mehr, als wir Leute nehmen können. Es gibt genügend Leute, die wirklich leiden. Die haben Priorität, vornehmlich aus den fünf Diözesen-Freiburg, Limburg, Mainz, Rottenburg-Stuttgart und Würzburg -, die unsere Arbeit mittragen. Aber wir nehmen auch Männer und Frauen aus anderen Diözesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz...

FURCHE: Wie zum Beispiel Pater Christian vom Stift Kremsmünster in der Diözese Linz. Was hat Sie motiviert, um Aufnahme anzusuchen?

P. CHRISTIAN: Ich wollte das halbe Jahr der mir gewährten Sabbatzeit sinnvoll nützen. Aber meine Erwartungen wurden weit übertroffen. Selbsterfahrung und geistliche Vertiefung waren nur möglich in der Distanz zu den geistlichen Aufgaben und den vielen Menschen, die man im seelsorglichen Wirken um sich hat. Als besonders wertvoll empfand ich die Gruppenerfahrung und die praktische Arbeit. Im Zusammenleben wurde mir viel bewußt gemacht im Hinblick auf die normale klösterliche Gemeinschaft.

Mit P. Anselm Grün und P. Christian sprach Margret Czenii.

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