7009657-1988_03_01.jpg
Digital In Arbeit

Wo ist eine Alternative ?

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Jahr ist diese Koalitionsregierung jetzt im Amt. Der Welt hat sie — wie man in Wien sagt — auch keinen Haxen ausgerissen. Enttäuschend?

Enttäuscht muß sein, wer in der irren Hoffnung gelebt hat, daß der Problemberg, auf dem seit gut zwei Jahrzehnten erfolglos herumgeklettert wird, über Nacht — nämlich in zwölf Monaten — bezwungen werden kann. Pensionsreform, Spitalsfinanzierung, ÖBB-Ref orm, Verstaatlichte, Steuerreform: Es löhnt sich ein Blick in alte Zeitungsjahrgänge, der zeigt, daß wir konsequent vorwärts im Kreis gehen. Keine Warnung, die nicht schon ausgesprochen, keine Idee, die nicht schon geboren worden wäre. Ein bisserl herumdoktern hat nichts an der jahrelangen Stagnation geändert.

Mitreißender und ansteckender Erneuerungswille hat auch die letzten zwölf Monate nicht geprägt, selbst die Aufbruchsstimmung des Jänner 1987 ist verflogen.

Auch wenn sie es weder hören noch sagen wollen: Die Koaliti-onsaushandler haben sich die Arbeit einfacher vorgestellt. Und sie haben den ökonomischen Schutthaufen unterschätzt. Hätte doch schon früher einer mit der Sorgfalt eines Greißlers gewirtschaftet!

Gelingt es, im Laufe dieser Legislaturperiode in einzelnen Bereichen aus diesem Kreistrott auszubrechen, ist das schon ein Erfolg. Bei der Budgetsanierung gibt es solche Ansätze, bei der Verstaatlichten ebenso. Es muß mit Wasser gekocht werden.

Enttäuscht muß ebenso sein, wer an irgendwelche Wunderknaben geglaubt hat, die jetzt aus der Versenkung an die Regierung kommen. Warum sollte aus Franz Vranitzky plötzlich ein Macher werden, aus Alois Mock ein dynamischer Härtling? Hat man nicht den Finanzminister, den Oppositionsführer gekannt? Es kann doch keiner aus seiner Haut heraus.

Was nicht Mache ist, das zählt. Und Vranitzky ist gutzuschreiben, daß er sich gegen die künstliche Aufgeregtheit, mit der hierzulande Politik diskutiert wird, als immun erwiesen hat. Einer, der nicht gleich hysterisch reagiert. Im Bemühen um Ausgleich trifft er sich mit Mock, dem seine Partei das als Kraftlosigkeit vorwirft. Attraktion, sagen seine Kritiker, ist er keine.

Alier was ist schon eine Attraktion? Der Kraft(wort)lackel Jörg Haider, der traut sich was. Und nicht wenige trauen ihm alles zu.

Da paßt alles zusammen: jung und aggressiv, populär im Habitus, die lebende Sprechblase seines oft zitierten „kleinen Mannes“ mit seinen Vorurteilen.

Das ist beschämend. Hingegen findet er „es beschämend, daß 180.000 Arbeitslose gemeldet sind und noch immer 140.000 Gastarbeiter im Land sind“. Kein Wort von Schwarzarbeitern, wie-jetzt feig nachgeschoben wird. Für ein anderes Publikum, versteht sich. Wenn der Mann mehr zu sagen hätte...

Gibt es da eine Alternative zur großen Koalition, rotblau oder schwarzblau gefärbt, die besser für das Land wäre? Nein. Und nochmals nein. So schlecht kann diese Regierung gar nicht sein.

So gut wie die der letzten Jahre ist sie noch allemal, auch wenn man sich über sie berechtigt ärgern darf. Uber Widersprüchlichkeit und Halbherzigkeit, über Ei-genbrötlerei und Sturheit.

Trotzdem hat sich das politische Klima verändert. Endlich kommt Bewegung in die Causa Androsch, besteht Hoffnung, daß der Fall Lucona nicht auf den Nimmerleinstag verschleppt, statt vor Gerichten von irgendwelchen Historikerkommissionen abgehandelt wird.

Diese Koalition ist auch für das Gedenkjahr 1988 von Bedeutung. Man sollte lieber nicht daran denken, welche Entwicklung die Dinge unter anderen Konstellationen hätten nehmen können.

Immerhin repräsentieren die beiden Regierungsparteien jene Lager, die der legendäre „Geist der Lagerstraße“ nach 1945 zur Uberbrückung der Bürgerkriegskluft vor 1938 zusammengeführt hat, die die eigennationale Identität Österreichs gefestigt haben.

Eine teilweise bewältigte Vergangenheit jedenfalls - auch wenn die „rote Katze“ mehr als sieben Leben und das „Bürgerblockgespenst“ mehr als ein Gewand hat — schafft die Voraussetzung, eine teilweise unbewältigte Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus offenzulegen. Wir müssen einfach (noch) lernen, mit den Konflikten aus der Vergangenheit zu leben und nicht nur damit irgendwie leben. Ohne falsche Harmonie. Aber auch ohne Falschheit den gemeinsamen Schuldschein der Jahre 1938 bis 1945 in tagespolitisches Kleingeld ummünzen zu wollen.

Daß die beiden großen politischen Gruppierungen in diesen Tagen gemeinsam Verantwortung tragen, ist ein kleiner Silberstreif am düsteren Horizont. Nicht mehr.

Eine bescheidene Bilanz, zugegeben, unbefriedigend in vielen Bereichen. Aber hat jemand Wunder erwartet? Für solche Hoffnungen ist die Politik wirklich das falsche Metier.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung