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Wo Journalisten gefährlich leben…

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Der Libanon ist. das freieste Land des Nahen Ostens, außer Israel die einzige parlamentarische Demokratie, und nennt sich gern die „Schweiz des Vorderen Orients”. Die Meinungsfreiheit gehört hierzulande, im Gegensatz zu den meisten anderen arabischen Staaten, zu den Verfassungsgrundsätzen. Beirut entwik- kelte sich infolgedessen zur lebendigsten Zeitungsstadt dieser Region. Hier gibt es linke und rechte, konservative und fortschrittliche, muselmanische und christliche, proägyptische und antiägyptische, proirakische, prolibysche, prosyrische, guerillafreundliche und guerillafeindliche Blätter. Viele Regierungen und Interessengruppen „halten” sich hier sogar regelrechte’ „Sprachrohre”.

Der Libanon wurde dadurch zum erstrangigen Nachrichtenzentrum und aussichtsreichsten Beobachtungsposten. Hier prallen die historischen, politischen, religiösen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze der „arabischen Welt” offen aufeinander, und man nennt das Levanteland deshalb manchmal auch ,;nahöstliches Überdruckventil”.

Für Journalisten gehört also scheinbar nicht viel dazu, hier seine Meinung zu sagen. Kein Zensor behindert, kein Gefängnis bedroht ihn.

Und trotzdem leben Jounalisten hier gefährlich. Die Regierungen, Interessengruppen und Terrororganisatoren, die hier die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen suchen, begnügen sich nämlich nicht immer damit, daß sie das — auf Zeitungspapier — ungehindert tun dürfen. Manchmal versuchen sie, Andersdenkende gewaltsam zu ihren Ansichten zu bekehren oder gar physisch auszuschalten.

Als vor ein paar Jahren der Gründer, Verleger und langjährige Ch?i- redakteur der beiden Beiruter Tageszeitungen „el-Haijat” und „Daily Star”, Kamai Murruwe, an seinem Schreibtisch erschossen wurde, wies die Spur nach Kairo. Nildiktator Ga mal Abdel Nasser hatte den Mordbefehl gegeben, doch seine Handlanger kamen nie vor ein Gericht. Außenpolitische Rücksichtnahme zwang dazu, sie laufen zu lassen. Heute verzehren sie ungestört ihren Judaslohn.

Diese Milde, angesichts der exponierten inneren und äußeren Lage des kleinen Levantelandes verständlich, ermutigte allerdings Erpresser aller Richtungen. Die Zahl heimlicher Pressionsversuche und aktiver und passiver Bestechungsfälle, über die man in Joumalistenkreisen nur hinter vorgehaltener Hand ■ spricht, sind Legion. Die wenigsten kommen ans Tageslicht. Und selbst wenn auf offener Straße geschossen wird, schweigt man besser über die mutmaßlichen Hintergründe. Die Gegner der den Libanesen so sehr am Herzen liegenden Meinungsfreiheit unter den arabischen Diktatoren aller Richtungen, den aggressiven Terrororganisationen und den im lebenslustigen „Paris des Ostens” stationierten Geheimdiensten jeglicher Couleur bescheiden sich nicht immer mit haarscharfen Warnschüssen.

Das erfuhr jetzt erst wieder der angesehene Chefredakteur eines der besten Beiruter Blätter. Abou Jaoudė ist der wohlinformierte Leiter der Tageszeitung „en-Nachar”, mit rund 40.000 Auflage eines der größten arabischsprachigen Blätter der libanesischen Hauptstadt. Wenn man weiß, daß man im Orient Zeitungsabonnements unseres Vorbildes fast überhaupt nicht kennt und die tägliche Abstimmung über die Zeitungsqualität ausschließlich im Straßenhandel stattfindet, kann man die hinter dieser in europäischen Augen relativ kleinen Auflage steckende journalistische Leistung erst richtig ermessen.

Abou Jaoudė ist das Musterbeispiel eines ebenso neutralen wie engagierten Jounalisten. In seinem Blatt kommen gewöhnlich alle Richtungen der nahöstlichen Politik ausgewogen zu Wort, die Kommentare sind mehr

Erläuterungen als Wertungen. Nur in einem kennt Abou Jaoudė keinen Kompromiß. Der gläubige maronitische Christ ist ein glühender Anhänger der Libanesischen Unabhängigkeit, und er verteidigt die auf dem friedlichen Zusammenleben zwischen Moslems und Christen beruhende nationale Souveränität überzeugend als Zukunftsmodell für die ganze Region.

Einigen Leuten scheint das gar nicht zu passen. Sie kidnappten ihn auf offener Straße und hielten ihn drei Tage lang in einem geheimen Versteck. Nur der vorbehaltlose Einsatz aller Machtmittel von Staatschef, Regierung, Armee und Polizei sowie der Einsdcht der „Palästinensischen Befreiungsorganisation” (PLO) verdankt er wahrscheinlich seine unversehrte Rückkehr auf den Chefredakteursessel. Nachdem Augenzeugen ausgesagt hatten, das Entführerauto gehöre einem radikalen Guerrillaführer, kam es im ganzen Land sofort zu Unruhen. Die Menschen bewaffneten sich, Straßen wurden blockiert und es gab Demonstrationen. PLO-Chef Jassir Arafat ver- ordnete für seine eigenen Sicherheitskräfte „Alarmstufe Eins” und es begann ein Wettlauf mit der Zeit. Den Beiruter Verantwortlichen wie der PLO-Führung war augenblicklich klar, daß die Radikalen nichts geringeres wollten als den offenen Bürgerkrieg zwischen Moslems und Christen im Libanon.

Abou Jaoudė schwieg nach seiner Rükkehr eisern über die Hintergründe der Entführungsaffäre. Die Regierung erließ ein befristetes Waffenverbot, und inzwischen herrscht wieder Ruhe im Lande der Zedern, des Schnees und der Badefreuden. In Beirut ist man stolz über diesen Ausgang. Die Libanesen sehen in ihm einen Beweis für die Überlebensfähigkeit ihrer Demokratie, die Palästinenser einen Beweis für die Isolierung der Radikalisten und die Macht der PLO-Führung.

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