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Wo Kara Mustafa die Zeit verlor

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Kara Mustafa erreichte beim Marsch nach Wien am 2. Juni 1683 Esseg und verlor zwölf Tage Zeit. Die > FURCHE-Leserreise kam dort am 3. Juni an - nur 300 Jahre später.

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Kara Mustafa erreichte beim Marsch nach Wien am 2. Juni 1683 Esseg und verlor zwölf Tage Zeit. Die > FURCHE-Leserreise kam dort am 3. Juni an - nur 300 Jahre später.

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Am 14. Juli 1683 ging das Schottenkloster auf der Wiener Freyung in Flammen auf. Mit Mühe konnte ein Ubergreifen des Feuers auf das nahegelegene Pulvermagazin abgewendet werden. Wer weiß, welchen Verlauf sonst die Belagerung vor 300 Jahren genommen hätte.

Anfang Juni 1983 war die Freyung Ausgangspunkt unserer FURCHE-Leserreise auf den

Spuren der Türkenkriege vom 16. bis in das 18. Jahrhundert: Jene Heerstraße, auf der die osmani- sche Armee eroberungshungrig zweimal vor die Tore Wiens zog, ist aber ebenso der Weg, den später Prinz Eugen siegreich gegen Osten nahm.

Apropos Prinz Eugen: Unterwegs nach Bratislava (Preßburg) führt die Fahrt durch Petronell. Louis von Savoyen, der ältere Bruder des Prinzen, wurde dort bei einem Zusammenstoß mit der gegen Wien anrückenden Streitmacht Kara Mustafas tödlich verwundet. Das gab den Ausschlag, daß der Savoyer freiwillig in kaiserliche Dienste eintrat.

Befürchtungen, die scharfen Reaktionen der CSSR auf den Sudetendeutschen Tag zu Pfingsten in Wien könnten sich in einer schleppenden Grenzabfertigung niederschlagen, treten nicht ein. Freundlich weist der Grenzer den Weg nach Preßburg, jener Stadt, die ab 1541 für 145 Jahre Hauptstadt jenes habsburgischen (Rest-) Königreiches Ungarn war, das nur mehr als schmaler, sichelförmiger Landstreifen zwischen Österreich und den Osmanen lag.

Die Bemühungen, das alte Preßburg zu erhalten, sind — schon wegen der Gerüste — unübersehbar, offenkundig wird aber auch das schmale Budget für diese Zwecke. Aber nicht an Geld, sondern an Geschmack hat es gemangelt, wie unterhalb der Burg haarscharf am St. Martins-Dom, in dem zwischen 1563 und 1830 die Habsburger die Stephanskrone, aufs Haupt gesetzt bekamen, die Einfallsstraße über die neue Donaubrücke vorbeigeführt wurde.

Auf der Weiterfahrt nach Ungarn lädt Györ (Raab) zu einer kurzen Station ein. Am romantischen Hauptplatz steht eine 1691 zur Erinnerung an die Befreiung Budas errichtete Mariensäule, zum Verwechseln jener ähnlich, die in Wiener Neustadt steht. In der Benediktinerkirche am Platz dankt ein Seitenaltarbild ungarischen Schutzheiligen für die Türkenbefreiung.

Kara Mustafa wählte 1683 den Weg von Raab über Gran nach verlorener Entsatzschlacht um Wien zur Flucht. Und angespornt durch den Sieg bei Wien erober ten die Kaiserlichen mit ihren 1 Verbündeten noch im gleichen Jahr die alte Festung über der Donau.

Im Jubiläumsjahr belagern Touristen aller Zungen den Burghügel, auf dessen Kuppe die Kuppel der Kathedrale von Esztergom weit ins Land grüßt. Eisenstädter Baumeister haben diese größte Kirche Ungarns, heute wie in der Türkenzeit Sitz des Primas, geplant.

65 Kilometer donauabwärts erreicht die Reise Budapest und eine Stadtführerin, die besonders das Nėpstadion für sehenswert hält - gleich nach der Besichtigung der Stephanskrone im Ungarischen Nationalmuseum. Dort ist die Zahl der Bewacher größer als unsere Reisegruppe.

Die Sammlungen über die Türkenzeit sind freilich seit geraumer Zeit gesperrt. Österreicher können sich trösten: Viele Exponate wurden an die derzeit im Wiener Künstlerhaus laufende Ausstellung verliehen.

Die Burg von Buda (Ofen), ab dem ersten osmanischen Ansturm bis 1686 fest in Türkenhand, leidet noch heute unter Kriegsspuren: jenen des Jahres 1945.

Der Doppeladler, der zuvor über den Halbmond siegreich blieb, zeigt sich heute noch als altes Hausschild am Weg durch das malerische Burgviertel hinauf zur neugotischen Matthiaskirche, in der noch 1916 der österreichische Kaiser Karl zum ungarischen König gekrönt wurde.

Die Stephanskrone fiel den Habsburgern nach der Schlacht bei Mohäcs zu: 1526 wurde hier an der Donau Ludwig II. mit seinem ungarischen Heer von der türkischen Übermacht vernichtend geschlagen. Sehenswert wie das Museum im Ort ist die eindrucksvolle Gedenkstätte auf dem Schlachtfeld südlich des Ortes: Markante Holzskulpturen symbolisieren die nationale Niederlage.

Jenseits der nahen Grenze nach Jugoslawien erreicht die Reise Osijek (Esseg) in Slawonien. Kara Mustafa traf hier beim Anmarsch auf Wien am 2. Juni 1683 ein und saß zwölf Tage fest: weil die Donaubrücke nicht fertig war. „Diese Verzögerung“, meint der amerikanische Historiker Thomas M. Barker, „kostete Kara Mustafa vermutlich den Preis, den er anstrebte.“

Nach der nächsten Station Peterwardein, der mächtigen Festung, vor deren Mauern Prinz Eugen gegen die türkische Übermacht 1716 siegreich blieb, führt die Fahrt in die Weiße Stadt, nach Belgrad.

Hier in der alten Festung Kale- megdan wurde Kara Mustafa 1683 zum Oberbefehlshaber des osmanischen Heeres ernannt, hier wurde er am Christtag 1683 erdrosselt. Von der Eroberung Belgrads durch Prinz Eugen 1717 singen wir noch heute.

Nahe dem umkämpften Belgrad liegen auch zwei historische Friedensorte der Türkenkriege: Passarowitz (1718) und Karlowitz (1699), ehemals politisches und geistiges Zentrum der Serben in der Donaumonarchie.

Die Heimfahrt über Zenta, wo Prinz Eugen 1697 den Türken eine schwere Niederlage zufügte, hat nur am jugoslawisch-ungarischen Grenzübergang Tompa eine Verzögerung erfahren: Rund zwei Stunden braucht der ungarische Grenzer, um bei den 32 Reiseteilnehmern zwischen Vor- und Nachnamen zu unterscheiden. Hätte je die Heerschar Süleyman des Großen diese Grenzstelle passieren müssen — nie wären die Türken nach Mitteleuropa vorgedrungen: Sie hätten den Papierkrieg verloren.

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