Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Wo Kirche erlebbar ist
Wiens Pfarre St. Stephan steht dieses Wochenende im Zeichen der Vorbereitung auf ein Taize-Jugend-treffen in Rom. Was macht den „unbeschreiblichen“ Geist von Taize aus?
Wiens Pfarre St. Stephan steht dieses Wochenende im Zeichen der Vorbereitung auf ein Taize-Jugend-treffen in Rom. Was macht den „unbeschreiblichen“ Geist von Taize aus?
Taize liegt im südlichen Burgund und hat keine großen landschaftlichen oder kulturellen Besonderheiten aufzuweisen. Die Wirkung, die von dort ausgeht, liegt zweifellos anderswo, denn seit Beginn der sechziger Jahre ist dieser kleine Ort Anziehungspunkt für Hunderte, ja Tausende Jugendliche aus aller Welt, in den letzten Jahren zunehmend auch für Erwachsene.
Sie alle kommen nach Taize, um an dem teilzunehmen, was Frere Roger Schutz, der 1949 hier eine ökumenische Bruderschaft ins Leben gerufen hat, „ein Gleichnis der Gemeinschaft“ nennt. Der Communaute von Taize gehören mittlerweile katholische und evangelische Brüder aus etwa zwanzig Ländern an, ein Teil von ihnen lebt in kleinen Fraternitäten in den Elendsvierteln der Welt.
Taize-Heimkehrende berichten in der Regel nicht viel mehr als „es ist unbeschreiblich, das muß man selbst erlebt haben“. Man muß tatsächlich selbst erlebt haben, wie zwei- bis dreitausend Menschen unter einfachsten Bedingungen auf dem Hügel außerhalb des Ortes zusammenleben: Zelte, Baracken, kalte Duschen, nicht einmal ein Spiegel überm Waschbecken. Einfaches, aber doch schmackhaftes Essen, das nicht an Tischen, sondern vom Tablett auf den Knien verzehrt wird, und zwar im Freien. Bei Schlechtwetter in den großen Zelten, in denen auch die verschiedenen Zusammenkünfte stattfinden.
Eine durchdachte Organisation bezieht die Besucher in den reibungslosen Ablauf der notwendigen Arbeiten mit ein, Jugendliche übernehmen zum Teil auch größere Aufgaben, wie die tägliche Reinigung der Sanitäranlagen oder die Müllabfuhr. Die Kosten für den Aufenthalt sind Selbstkosten, es werden keinerlei Spenden angenommen. Die Preise richten sich nach der Kaufkraft der einzelnen Länder, im Prinzip kann sich aber jeder selbst einstufen.
Man muß vor allem erlebt haben, wie mühelos die Verständigung so vieler verschiedensprachiger Menschen funktioniert. Um sich in Taize zurechtzufinden, braucht man keinerlei Fremdsprachenkenntnisse, obwohl besonders in den Sommermonaten Menschen aus sechzig und mehr Ländern hier zusammentreffen. Die Bibeleinführungen, die einen Teil des Tagesprogramms bilden, werden von sprachkundigen Teilnehmern simultan vom Englischen in alle erforderlichen Sprachen übersetzt. Wenn es an Ubersetzern mangelt, übernimmt der vortragende Bruder ohne Schwierigkeit die Ubersetzung, gegebenenfalls auch die Korrektur, wenn Fehler gemacht werden.
Verständigung und Uberbrük-kung von Gegensätzen ist eines der zentralen Anliegen, die in Taize geradezu greifbar sind. In den Gebeten, Gesprächen und Bibeleinführungen ist immer wieder davon die Rede. Es geht nicht nur um die Gegensätze zwischen den Religionen, sondern auch um die Schwierigkeiten zwischen den Generationen, zwischen den einzelnen Menschen und um den Kampf, den der einzelne mit sich selbst auszutragen hat.
Im besonderen Maße geht es aber um den Gegensatz zwischen den reichen und den armen Ländern der Welt. Man hat auch ausreichend Gelegenheit, mit Menschen aus anderen Kontinenten in Kontakt zu kommen. Beim Tee am Nachmittag, einem fixen Bestandteil des Tagesprogramms, stellen Jugendliche aus der Dritten Welt ihre Länder vor und stehen für Fragen und Diskussionen zur Verfügung. Die Sprache ist auch hier keine Barriere.
Obwohl sich immer ein Dolmetsch findet, verständigen sich viele Jugendliche unabhängig vom sprachlichen Kontakt einfach musikalisch. Uberall auf dem weitläufigen Gelände trifft man Gruppen an, die miteinander musizieren, Zuhörer singen, klatschen mit, manche tanzen.
So bunt, lebhaft und fröhlich die Verständigung verläuft, so absolut ist die Stille, die zur persönlichen Begegnung mit Gott gehört. Man kann sich vom Getriebe der Menge in eigene Stillezonen zurückziehen, um sich auf sich selbst zu besinnen und die Texte der Bibel, die von den Brüdern interpretiert werden und über die man auch in Kleingruppen diskutiert, auf sich wirken zu lassen. Es besteht auch die Möglichkeit, die Tage in Taize ganz im Schweigen zu verbringen.
Ein Ort der vollkommenen Stille ist die Kirche. Dreimal täglich trifft man hier mit den Brüdern zum Gebet zusammen. Die Intensität, mit der in allen Sprachen gebetet und gesungen wird, und das tiefe Schweigen dazwischen sind wahrscheinlich ein Teil dessen, was zu Hause als „unbeschreiblich“ definiert wird.
Die Gesänge bestehen aus sehr einfachen Melodien, in den Texten finden sich die Grundgedanken von Taize wieder. Vierstimmig gesungen, werden die Lieder immer und immer wiederholt. Besonders abends bleiben nach dem Gebet viele Gläubige in der Kirche, um noch lange zu singen. Wenn am Samstagabend in der Auferstehungsfeier und am Sonntag im Gottesdienst das Ostergeschehen nachvollzogen wird, steigern Solostimmen und Instrumentalsolisten, die das Thema kunstvoll variieren, die Stimmung tatsächlich ins Unbeschreibliche.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!