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Wo mißhandelten Kindern geholfen wird

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Man weiß nicht, wieviele Kinder mißhandelt werden, aber es geschieht. Was kann man da tun? Mit den Kinderschutz-Zentren soll bald in jedem Bundesland Hilfestellung gegeben werden.

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Man weiß nicht, wieviele Kinder mißhandelt werden, aber es geschieht. Was kann man da tun? Mit den Kinderschutz-Zentren soll bald in jedem Bundesland Hilfestellung gegeben werden.

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Monika besucht die Hauptschule. Unkonzentriert läßt sie den Unterricht an sich vorüberziehen, ihren Mitschülern begegnet sie aggressiv. Zuhause können sich die Eltern nicht über ihre Erziehungsmaßnahmen einigen. Die Mutter ist durch Haushalt und Halbtagsjob

an den Grenzen ihrer Belastbarkeit, der Vater versucht hinter der Zeitung die Probleme zu ignorieren. Ratlosigkeit bei allen Beteiligten. Im Kinderschutz-Zentrum stellt Monika die Familie mit Stoffpuppen dar: Für sich selbst wählt sie ein knallfarbiges kleines Monster. Ihre Schulprobleme beherrschen die Familie - sie thront auf einem kleinen Podest. Ihre Mutter wird zur Krake mit acht Fangarmen, der Vater

zum Kaninchen. Diese Puppenskulptur ist Ausgangspunkt für das Beratungsgespräch mit der Familientherapeutin.

Gewalt gegen Kinder hat unzählige Facetten: die „g'sunde Watschen" oft öffentlich, sexueller Mißbrauch ein Tabu hinter Wohnungstüren. Dazwischen schmerzvolle Grauzonen - auch permanente Demütigung durch Nörgelei und negative Kritik ist eine gewaltsame Einschränkung der Entwicklungsmöglichkeiten. Immer ist Gewalt jedoch das Scheitern eines Erwachsenen, Ausdruck der Unfähigkeit zur Konfliktlösung mit dem Kind. In den Arbeitskriterien der Kinderschutz-Zentren wird Kindesmißhandlung folgendermaßen definiert: „Kindesmißhandlung ist die nichtzufällige, bewußte oder unbewußte, gewaltsame, psychische oder/ und physische Schädigung, die in Familien oder Institutionen geschieht und die zu Verletzungen, Entwicklungshemmungen oder sogar zum Tod führt und die das Wohl und die Rechte eines Kindes beeinträchtigt oder bedroht."

Das erste Kinderschutz-Zentrum entstand 1968 in Berlin. In Österreich war es erst 1985 soweit.

So funktioniert es: Im Linzer Team arbeiten heute zwei Sozialarbeiterinnen, eine Juristin, die auch als Familientherapeutin tätig ist, eine Psychologin als Spieltherapeutin, ein Psychologe und der Obmann Herbert Paulischin, der nicht nur als Organisator, sondern auch als Berater fungiert.

Damit kein falsches Bild entsteht - inklusive der Halbtagssekretärin reicht das Budget nur für 170 bezahlte Wochenstunden. Das Zentrum selbst ist eine helle, geräumige Wohnung, die mit viel Liebe und wenig Geld adaptiert, Behaglichkeit ausstrahlt. Hier läßt sich's reden und zuhören.

Das Kinderschutz-Zentrum ist ein eigener Verein, der vom Land Oberösterreich, dem Familienministerium und zu einem verschwindend kleinen Prozentsatz auch von der Stadt Linz subventioniert wird. Sach- und Geldspenden tröpfeln spärlich, werden aber mit Dank entgegengenommen.

Kinderschutz-Arbeit setzt sich aus zwei, einander optimal ergänzenden Komponenten zusammen: Einerseits aus Beratung und Therapie für Familien, andererseits aus Fortbildungsarbeit für Personen, die im Lehrberuf oder in der Sozialarbeit tätig sind. Diese Berufsgruppen können auch zur Supervision ins Kinderschutz-Zentrum kommen.

Unter dem Begriff Familie werden neben den verwandtschaftlich begründeten Beziehungen auch jene Formen längerfristigen Zusammenlebens von Kindern und Erwachsenen verstanden, die durch wechselseitige emotionale und/oder wirtschaftliche Bedeutung gekennzeichnet sind. Das Angebot ist ausschließlich hilfs-orientiert. Auch grobe Mißhandlungen werden nicht angezeigt. Es schließt jedoch nicht aus, daß bei einer akuten Gefährdung des Kindes - etwa in Fällen sexuellen Mißbrauchsf dessen Trennung von den Eltern auch gegen deren Willen in die Wege geleitet wird.

Der Wunsch nach Anonymität wird selbstverständlich respektiert, sämtliche Informationen werden vertraulich behandelt. Kontakte zu Dritten

(Lehrern, Ärzten) werden nur mit dem Einverständnis der Familie aufgenommen. Sämtliche Mitarbeiter sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Unter diesen Rahmenbedingungen kann bei etlichen Fällen schon mit einem telefonischen Beratungsgespräch geholfen werden. Häufig kommt es j edoch zur Therapie, in die sämtliche Familienmitglieder eingebunden werden.

Rund 200 Menschen wenden sich jährlich ans Kinderschutz-Zentrum und nehmen die kostenlose Hilfe in Anspruch. Für unzuständig erklärt sich das Kinderschutz-Team erst dann, wenn etwa der mangelnde Studieneifer des 32jährigen Sohnes beklagt wird.

Gemäß dem Grundsatz „Wer mißhandelte Kinder schützen und ihren Familien helfen will, muß Helfer und Hilfesysteme verändern." (Reinhart Wolf f, Berlin 1985)nimmt die Fortbildungsarbeit zumindest zeitlich immer mehr Raum ein. Sozialarbeiter und -arbeiterinnen der öffentlichen Jugendwohlfahrt und andere Personen, die helfen, werden fallbezogen beraten, wenn sie mit dem Problem Kindesmißhandlung oder sexueller Mißbrauch konfrontiert sind.

Vorträge und Seminare für künftige Kindergärtnerinnen, Ärzte und Ärztinnen sollen diesen Personenkreis für die Problematik sensibili-seren.

Die Linzer Kinderschutz-Pioniere geben ihr Wissen natürlich auch an die Kollegen in den anderen Bundesländern weiter. Bis jetzt; gibt es jedoch erst in Graz und Wels ähnliche Einrichtungen. In Klagenfurt, Innsbruck und Wien bereiten Projektgruppen die Eröffnung vor.

Im Interesse der Kinder bleibt die Hoffnung, daß die Regierungsparteien ihre schönen Worte im Koalitionspapier mit einem ausreichenden Budget realisieren.

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