7170035-1982_42_02.jpg

Wo Politik zur Kirche gehört

19451960198020002020

Lateinamerika ist der größte „katholische“ Kontinent. Dort gibt es aber auch größte Unwissenheit, größte Armut, größtes Elend. Für die Kirche bedeutet dies Verpflichtung zum Handeln. Nie hat sie die Verpflichtung so ernstgenommen wie heutzuatge.

19451960198020002020

Lateinamerika ist der größte „katholische“ Kontinent. Dort gibt es aber auch größte Unwissenheit, größte Armut, größtes Elend. Für die Kirche bedeutet dies Verpflichtung zum Handeln. Nie hat sie die Verpflichtung so ernstgenommen wie heutzuatge.

Werbung
Werbung
Werbung

Das größte Unrecht, das man Lateinamerika antun kann, wäre der Versuch, es als Ganzes über einen Kamm zu scheren. Das gilt auch für die Kirche. Differenzierung tut not. Das schließt nicht aus, Tendenzen zu registrieren, die einmal stärker, einmal schwächer, manchmal vielleicht auch widerspruchsvoll, insgesamt aber doch unübersehbar zum Ausdruck kommen.

Eine solche unübersehbare Tendenz ist das Eintreten der katholischen Kirche für mehr soziale Gerechtigkeit und Achtung der Menschenrechte in ganz Lateinamerika.

So gut wie immer kämpfen die etablierten evangelischen Kirchen hier Schulter an Schulter mit ihren katholischen Freunden, während manche Sekten jede „irdische" Weltbezogenheit ablehnen.

In Zentralamerika hat sich die Kirche nicht nur in El Salvador einen Namen als Hüterin der Menschenrechte gemacht. In Guatemala hat der Putsch angeblich liberaler Offiziere am 3. März 1982 zwar in der Hauptstadt Links- wie Rechtsterrorismus weitgehend eingedämmt, nach glaubhaften Aussagen kirchlicher und weltlicher Stellen auf dem Land jedoch eine noch blutigere Gewaltherrschaft installiert.

Sowohl in El Salvador wie in Guatemala haben nach Ansicht von „Pax Christi" die Menschenrechtsverletzungen ein „unerträgliches Ausmaß" angenommen. Obwohl die Regierung des (vom Katholizismus zum „wiedergeborenen" Sektenchristen konvertierten) Präsidenten Efrain Rios Montt behauptet, nur „Terroristenbekämpfung" zu betreiben, berichten Priester und Nonnen immer wieder von Überfällen der Soldateska auf Frauen und Kinder.

Der Druck auf die Kirche wächst, darüber zu schweigen. Viele ihrer Vertreter schweigen auch unter Gefährdung ihres eigenen Lebens nicht.

Oder man nehme Peru.das drittgrößte Land Südamerikas, in dem vor zwei Jahren mit der Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse begonnen worden ist. Die Kirche hatte dazu immer wieder gemahnt. Ihre Stärke schöpft sie in Peru nicht zuletzt aus eigener innerer Offenheit.

„Opus Dei" etwa, das sich in Lateinamerika nicht gerade als Speerspitze gesellschaftlicher Reformen versteht, hat in Peru ebenso Fuß gefaßt wie Gustavo Gutierrez' „Theologie der Befreiung", die auf Basisgemeinden und Arme setzt und in der Katholischen Universität einen starken Rückhalt findet.

Daß die weit links stehende Confederacion des Campesinos del Peru kürzlich den Christen des Landes für ihre moralische Unterstützung der Armen dankte, hat der Kirche natürlich neuerlich den Vorwurf der „marxistischen Unterwanderung" eingetragen. Aber mit solcher Verteu-felung entziehen sich System Verteidiger ja seit je der Argumentation.

Argumentieren kann man natürlich, welcher Weg für die Kirche der richtige ist. In Nikaragua hatte sie sich in der Schlußphase des 1979 gestürzten Somoza-Regimes eindeutig für die Revolution entschieden. Und noch heute stimmen so gut wie alle Kräfte wenigstens darin überein, daß es kein Zurück zu diesem Ausbeuterregime geben kann.

Bischof Obando y Bravo hat das der FURCHE ebenso bestätigt wie Nuntius Erzbischof Andrea Cordero Lanza di Montezemolo, der als Diplomat von Welt in flottem Sportdreß in Managua die weitere Entfremdung zwischen Regime und Kirche zu bremsen versucht.

Ob es nicht doch zum totalen Bruch und zur Errichtung eines marxistischen Ein-Partei-Regimes in Nikaragua kommen wird, ist freilich noch nicht abzusehen und jedenfalls nicht auszuschließen.

In diesem Fall träfe freilich die USA eine erhebliche Mitschuld, weil diese, statt durch massive Wirtschaftshilfe die nichtmarxistischen Kräfte zu stützen, seit Amtsantritt Ronald Reagans alles getan haben, um das nikaraguanische Experiment zum Scheitern zu bringen.

"Das Volk" schafft an

Immerhin ist nicht zu übersehen, daß es in den meisten Staaten Mittelamerikas (eine erfreuliche Ausnahme ist in vielen Fällen das liebenswert-freundliche Kostarika) zu gegenläufigen Tendenzen in der Kirche gekommen ist: eine ,.Kirche der Reichen" auf der einen, immer mehr Basisgemeinden und „niederer" Klerus auf der anderen Seite.

In Brasilien dagegen gewinnt man den Eindruck, daß hier trotz der gigantischen Größe des Landes (ganz Europa minus Sowjetunion) die Kirche eine ungebrochene Einheit bildet.

„Die Hierarchie selbst hat die Basisgemeinden ins Leben gerufen, daher gibt es mit diesen keinen Konflikt, sondern eine fruchtbare gemeinsame Arbeit", sagte Bischof Ivo Lorscheiter der FURCHE. Von den rund 350 Mitgliedern der brasilianischen Bischofskonferenz stehen über 300 hinter diesem Konzept.

Dessen Ziel ist eine Entwicklung der Menschen „an Leib und Seele." In der Diözese Juazeiro im staubtrockenen Dürregebiet des Nordostens bekommt man besonders deutlich zu spüren, was das bedeutet.

„Solange wir Pastoralarbeit von oben verordnet haben, ging nichts weiter. Seit wir verwirklichen, was die Leute selbst anregen, tun alle mit", sagt der deutsche Padre Dieter W. Bühne in Pilao Arcado, der nach zwölf Autofahrstunden im Landinneren anzutreffen ist. Das ist einmal Schulbau, einmal Bibelunterricht, eine Erste-Hilfe-Station, eine Meßfeier oder ein Wassergraben.

„Das Volk" bestimmt die Rangordnung der Aktionen. Laien als Gemeindeleiter (tüchtige Frauen unter ihnen) leisten erstaunliche Organisationsarbeit.

Daß Bischof Jose Rodrigues für seine 300.000-Einwohner-Diözese nur zehn Priester hat, empfindet er keineswegs als Katastrophe: „Man muß eben Verantwortung verteilen und dezentralisieren." Und er meint ganz klar: Der Pfarrer soll mehr den Laien, der Bischof mehr den Priestern, der Papst mehr den Bischöfen überlassen.

Er selbst hat zwei Redemptoristenbrüder zu Priestern geweiht, ohne daß diese ein Hochschul-Theologiestudium absolviert hätten. Ein anderer Bischof soll die Weihe verheirateter Männer planen.

Im Credo der Messe bekennen sich diese brasilianischen Christen zu einem Gott, „der uns erleuchtet und stärkt für den Kampf, der aus Unwissenheit und Abhängigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung herausführt ...".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung