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Wo Ronald Reagan verwundbar ist

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FURCHE: Sieht man sich den Ausgang der zwei wohl ibich-tigsten europäischen Wahlen in diesem Jahr an — nämlich in der Bundesrepublik und in Großbritannien —,könnte man argumentieren: Der Wind bläst verstärkt aus der konservativen Richtung. Werden Ihrer Meinung nach die amerikanischen Präsidentschaftswahlen kommendes Jahr diesen konservativen Trend bestätigen?

DICK CLARK: Wissen Sie, es ist verdammt schwer zu prophezeien, was sich in der Politik abspielen wird und ganz besonders in der amerikanischen Politik. Wenn ich meinen letzten Dollar wetten müßte, würde ich ihn darauf setzen, daß Ronald Reagan verlieren wird.

FURCHE: Warum?

CLARK: Entscheidend wird sein, ob der wirtschaftliche Gesundungsprozeß, der vor einigen Monaten einsetzte, weiter anhält. Ich meine, daß dem Aufschwung die Luft ausgehen wird. Ein Indiz dafür ist, daß die Regierung für die zweite Jahreshälfte bereits niedrigere Wachstumsziffern angibt.

Dazu kommt, daß es in den USA für einen Amtsinhaber sehr schwierig ist, wiedergewählt zu werden. Kaum einer kann die Erwartungen erfüllen, die er im Wahlkampf geweckt hat. Und tatsächlich haben die Amerikaner in der Nachkriegszeit ja nur zwei Präsidenten wiedergewählt: Eisenhower und Nixon. Außerdem: Die „Neue Rechte", die Reagan bei den Wahlen von 1980 so sehr unterstützt hat, ist mittlerweile schwächer geworden. Alle diese Faktoren könnten dem demokratischen Kandidaten einen gewissen Vorteil verschaffen.

FURCHE: In welchen Wählerschichten besonders hat Reagan an Vertrauen verloren?

CLARK: Ganz bestimmt wird' er nicht mehr so viele Stimmen in der organisierten Arbeiterschaft erhalten wie 1980, als viele von Carter und dem wirtschaftlichen Niedergang Enttäuschte den Demokraten den Rücken kehrten, zum Beispiel in Michigan, Ohio, Pennsylvanien oder New York. In den großen, traditionell demokratischen Wählerschichten wird es Reagan 1984 viel schwerer haben. Und er scheint auch unter den Frauen immer mehr Unterstützung zu verlieren» bei denen er ja auch 1980 nicht besonders gut abgeschnitten hat.

FURCHE: Welche Kernfragen werden aller Voraussicht nach den aufziehenden Präsidentschaftswahlkampf dominieren?

CLARK: Ganz gewiß die Wirtschaft: die Arbeitslosigkeit als Argument gegen, die Inflation als Argument für Reagan. Aber über all dem die Frage des Wirtschaftswachstums. Dann ist denkbar, daß Mittelamerika ein wichtiges Thema werden wird, wenn sich die Lage dort noch mehr verschlechtert und die Reagan-Regierung die Sache dort weiter anheizt. Von einiger Bedeutung wird schließlich das Thema Abrüstung sein, Stichwort „Freeze"-Bewegung.

FURCHE: Ex-Präsidentschafts-Kandidat George McGo-vem malte in einem Interview mit unserer Zeitung von der Demokratischen Partei ein düsteres Bild der Zerrissenheit und Uneinigkeit. Das war vor einem Jahr. Mittlerweile scheint sich nicht viel geändert zu haben, sieht man sich A bstimmungen im Repräsentantenhaus über die MX-Rakete und die Zentralamerika-Politik an, bei denen ein Teil der Demokraten Reagan unterstützte. Oder sehen Sie eine Wendung zum Besseren?

CLARK: Nein! Die Demokratische Partei befindet sich in einer sehr schlechten Verfassung, sowohl was ihre Führung als was ihren Zusammenhalt anlangt. Und es fehlen ihr Visionen, Perspektiven für die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft...

FURCHE: Steht aber diese Zu-standsbeschreibung nicht im Gegensatz zu Ihrer Annahme, daß ein Demokrat Reagan besiegen wird können?

CLARK: Insofern nicht, als sich die kommende Wahl um die Frage für oder gegen Reagan entscheiden wird, nicht für oder gegen den demokratischen Kandidaten. Die amerikanischen Präsident- schaftswahlen haben sich meiner Meinung nach zusehends zu einem Referendum über den Präsidenten entwickelt.

FURCHE: Welche Strategie sollten die Demokraten denn Ihrer Meinung nach im Wahlkampf einschlagen?

CLARK: Erstens mit einem alternativen Programm an die Öffentlichkeit treten, das klar aufzeigt, was der demokratische Kandidat für Vorstellungen hat. Zweitens meine ich, daß man Reagan am schwersten in Fragen der Fairneß treffen kann, da liegen seine größten Schwächen: seine Steuerkürzungen sind nicht fair, der Abbau des Sozialnetzes ist nicht fair, sein ganzes Programm ist unfair. Reagan macht eine Politik für die Reichen, für das Geschäft, für die Oberschichten. Deshalb müßte man den Menschen einhämmern: „Die Reagan-Regierung ist für die großen Leute da und wenn du keiner von ihnen bist, dann kann das nicht deine Regierung sein!" Und drittens meine ich, daß Reagan mit seiner Zentralamerika-Politik sehr verwundbar ist. Die ist, wie Umfragen zeigen, überaus unpopulär in der amerikanischen Bevölkerung.

FURCHE: Mit der Einsetzung der Scawcroft-Kommission zur Findung eines Konsenses in der MX-Debatte ist Reagan ja ein überaus erfolgreicher Coup gelungen. Könnte die Einsetzung der Zentralamerika-Kommission um Henry Kissinger nicht ein ähnlicher Erfolg werden?

CLARK: Es ist dies zwar wiederum ein kluger Schachzug Reagans, um eine breitere Unterstützung für seine Politik zu finden, aber ich glaube nicht, daß er damit das Thema aus dem Wahlkampf eliminieren kann. Die Erinnerung an Vietnam ist noch zu frisch, die Bevölkerung reagiert äußerst sensibel, wenn es um ein Engagement wie das jetzige in Zentralamerika geht. Und wenn es auch eine große Verallgemeinerung ist, Vietnam und Zentralamerika einfach gleichzusetzen, scheint mir doch die Abneigung der Bevölkerung gegen eine tiefere Verstrickung in dieser Region auf die Vietnam-Erfahrungen zurückzuführen zu sein. Kissinger und seine Kommission werden da nicht viel ändern können.

FURCHE: Was für Alternativen bieten sich für die amerikanische Zentralamerika-Politik?

CLARK: Es scheint mir überhaupt keine gute Alternative zu geben. Aber was immer dort geschehen wird: Reagan wird dafür verantwortlich gemacht werden. Und derzeit ist nur schwer ein Szenario vorstellbar, wo Reagan ungeschoren aus dieser Sache herauskommt.

Vielleicht ein paar grundsätzliche Bemerkungen dazu: Ich glaube, daß das Grundproblem der US-Außenpolitik in der Nachkriegszeit unsere Unfähigkeit ist, sich mit moderatem Wandel — vor allem in Staaten der Dritten Welt — abzufinden und uns damit zu verbünden. Dies gilt für Demokraten und Republikaner, Liberale und Konservative gleichermaßen.

Wer Veränderungen herbeiführen will, sagt sich: „Geh nicht zu den USA, die fürchten sich davor." Also wendet er sich an die Sowjetunion und kriegt Waffen. Wir sind in der unglücklichen Position, als Status-quo-Macht dazustehen, die UdSSR aber gilt als Macht, die für Veränderungen eintritt — was paradox ist, läßt sie den Wandel ja nicht einmal in ihrem eigenen Machtbereich zu. Aber sie liefert die Waffen, um den Wandel herbeizuführen, während wir vielfach die Waffen an Regime liefern, die mit Gewalt ihre Macht erhalten wollen.

Die USA müßten sich endlich in eine Position manövrieren, wo sie als Patron des gemäßigten Wandels auftreten können, der den Mittelweg zwischen revolutionärem Kommunismus und reaktionärem Rechtstotalitarismus fördert.

Mit Dick Clark sprach FURCHE-Redaktionsmitglied Burkhard Bischof anläßlich seines Autenthaltes in Innsbruck, wo er in der Sommer-Schule der Universität New Orleans unterrichtete.

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