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Wo selbst die Waffen „starben

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Vor ungefähr sieben Jahren wurde in der Schottergrube Wimpissinger in Kundl, bei Wörgl in Tirol, ein Schwert aus der Eisenzeit gefunden. Seit dieser Zeit stand die Grube unter ständiger Beobachtung durch Universitätsprofessor Osmund

Menghin, den Vorstand der zuständigen Abteilung innerhalb der Universität Innsbruck. Aber erst im September 1973 wurde ein umfangreiches Gräberfeld angeschnitten und durch die großen Bagger teilweise zerstört. Professor Menghin setzte sofort mit einer systematischen Grabung zur Rettung und wissenschaftlichen Erforschung des Platzes ein.

Bisher waren in diesem Raum hauptsächlich Siedlungsreste aus der Eisenzeit bekannt geworden. Zwar entdeckte man in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein eisenzeitliches Gräberfeld in Pfatten in Südtirol und eines in der Nähe des jetzigen Fundortes im Egerndorfer Wald. Doch gingen die Funde zum Teil durch unglückliche Umstände, durch Kriegseinflüsse, zum Teil auch durch unsachgemäße Behandlung verloren. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts fand man einige Reste eines kleinen hallstattzeitlichen Bestattungsplatzes in Osttirol und neuerdings eines weiteren in Rasen im Pustertal, sonst aber wurden in den letzten einhundertfünfzig Jahren nur vereinzelte Gräber aus der fraglichen Zeit bekannt. „Kundl“ ist also das erste eisenzeitliche Gräberfeld auf Tiroler Boden, das mit modernen wisesnschaftlichen Methoden erschlossen wird.

Die Grabungssituation ist äußerst günstig. Durch wiederholte Mureinbrüche zur Zeit der alten Besiedlung ist eine klare vertikale Gliederung des Friedhofes entstanden. Freigelegt wurden bisher ungefähr 400 Gräber. Zunächst barg man einen Teil der Beigaben aus annähernd 300 Brandbestattuhgen der Latene-zeit (350 bis 100 vor Chr.), dann wurde ein älterer Gräberfeldteil angeschnitten, der bisher mehr als sechzig Brandgräber aus dem 6. und 5. Jahrhundert, aus der Hallstattzeit, lieferte. Die Fülle des gehobenen Materials ist bisher nur zu einem geringen Teil weiterführend bearbeitet. Über vierzig Bestattungen aus der Zeit der römischen Okkupation des Inntales, vom Ende des ersten Jahrhunderts vor Christus bis ungefähr 50 nach Christus wurden im Sommer 1974 geborgen. Professor Menghin und seine Mitarbeiter sind davon überzeugt, zeitlich noch weiter zurückliegende Bestattungen zu finden. Im kommenden Sommer soll dazu ein Tie^nschnitt angelegt werden. Im angenommenen Falle ergäben sich daraus Materialien aus weiteren 600 Jahren, also zurück bis in die jüngere Bronzezeit. Doch wird man mit der eigentlichen Ausgrabung der tiefer gelegenen Schichten erst später beginnen können. Auch besteht berechtigte Hoffnung, Werkstätten und Siedlung eines Tages zu entdecken; Hinweise wurden bereits festgestellt. Die Anzahl der Gräber läßt darauf schließen, daß hier mindestens sechs bis acht Familien kontinuierlich ansässig waren, die sowohl Bergbau als auch metallverarbeitende Berufe ausübten.

Alle Gegenstände aus Keramik und Ton werden an Ort und Stelle mit einem Gipsmantel umgeben und mit den übrigen Fundgegenständen, wenige Kilometer vom Fundort entfernt, im Haus von Baumeister Albert Kofier, der die Präparation übernommen hat, in einer modernen Werkstatt restauriert und konserviert. Durch diese überaus rasche Behandlung wird der Korrosion Einhalt geboten und es bleiben Zierelemente erhalten, die an zeitlich parallelen Funden bisher kaum beobachtet wurden. Überhaupt sind die Fibeln, Halsbänder und Waffen sehr gut erhalten, die Bodenbeschaffenheit muß hier besonders konservierend gewirkt haben.

Mit einer zusammenfassenden wissenschaftlichen Auswertung kann natürlich erst nach Beendigung der Grabung, in frühestens zwei Jahren, begonnen werden. Die einzelnen Fundgruppen werden dann wahrscheinlich lückenlos aneinander anschließen. Der Prähistoriker Menghin erhofft sich viele neue Aufschlüsse über die wechselseitigen Beeinflussungen vor- und inneralpiner Kulturen, da das Wörgler Becken (in dem Kundl liegt) die Kontaktzone zwischen der Fritzens-Sanzeno-Kul-tur und der keltischen Latenekultur des Alpenvorlandes darstellt. Auch wesentliche Erkenntnisse über das Totenbrauchtum, über das man für diese Zeit hier sehr wenig weiß, sind zu erwarten.

Gehoben hat das Institut vorläufig nur Brandgräber, doch sind mit Sicherheit auch Skelettgräber vorhanden. Die Anlage des Gräberfeldes scheint eine sehr genaue Datierung der jeweiligen Art der Bestattung möglich zu machen. Es sieht so aus, als hätte die Feuerbestattung mit der Erdbestattung zeitlich abgewechselt.

Aus der laufenden Grabung mit ihrem ungeheuren Ertrag wird zur Zeit eine kleine, aber sehr repräsentative Auswahl im Innsbrucker Kongreßhaus ausgestellt.

Die Urnen sind, wie die Beigabengefäße, zum Teil ornamentiert und sehr schön in den Formen. Allein in einer Vitrine liegen mehr eisenzeitliche Streitäxte, als jemals zuvor an einem Platz im Alpenraum gefunden wurden. Große und kleine Gewandfibeln, sehr verschieden in Form und Verzierung, sind so gut erhalten, daß sie noch heute in Verwendung genommen werden könnten. Bei den Waffen und Messern ist auffällig, daß sie bei der Grablegung unbrauchbar gemacht wurden. Die Schwerter sind zu Spiralen gewunden und die Messer, die übrigens in ihrer einheitlich sichelartigen Form eine Besonderheit darstellen, umgebogen, den Streitäxten ist die Schärfe genommen und die Lanzenspitzen sind abgebogen und gebrochen. Die Waffen „starben“ also mit den Besitzern; oder wollte man die Geister der Toten daran hindern, sich ihrer als Wiedergänger gegen die Lebenden zu bedienen?

Eine deutliche Änderung des Totenbrauchtums tritt in der Augustä-ischen Zeit ein. Die verbrannten Reste der Toten werden nicht mehr in Urnen beigesetzt, sondern sie liegen einfach auf der alten Bodenoberfläche, wo sie übermurt wurden. Aus nicht verbrannten Tierknochen ersieht man, daß den Toten nicht nur ihre Waffen und ihr Schmuck mitgegeben wurden, sondern auch Nahrung.

Unter den Exponaten finden sich weitere auffällig schöne und kunstvoll gearbeitete Gegenstände. Professor Menghin wies etwa auf eine völlig erhaltene „Schwertkette“ aus der Latenezeit hin und erklärte, daß dieser Name solchen Funden sicher fälschlicherweise gegeben zu werden pflegt. Die Schwerter wurden an Lederschlaufen getragen, die Ketten waren wohl Teile der Rüstung. Vollkommen erhaltene Glasgefäße gibt es leider nicht, doch zeigen die gelben und weißen Bruchstücke von Glasarmreifen aus der Latenezeit, daß es eine einheimische Glasindustrie gab. Allerdings scheinen schöne blaue Glasreste aus derselben Epoche auf einen Handel wenigstens mit dem süddeutschen Raum hinzuweisen. Zu den auffälligsten Stücken der Ausstellung zählt eine Hellebardenaxt aus der Augustäisch-Tibe-rianischen Zeit, die eine ästhetisch vollendete Form hat. Ein Silberverschlußhäkchen hat bisher im süddeutsch-österreichischen Raum nur zwei Gegenstücke aus derselben Zeit.

Der Abteilung für Ur- und Frühgeschichte des Alpenraumes ist hier, wie sich schon jetzt sagen läßt, ein kulturhistorisch sehr wichtiger Fund gelungen. Es ist daher geplant, die Ausstellung in eine Gesamtdokumentation der Universität zu integrieren, in der die Hochschule durch Darstellung der eigenen Arbeitsund Forschungsergebnisse, soweit das im Einzelnen möglich ist, einer breiteren Öffentlichkeit die Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeit für die Kultur und ihr Verständnis aufzeigen möchte.

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