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Wo Silberschmiede gegen Paulus protestierten

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In Ephesos, der Stadt des siebenten Weltwunders der Antike, graben heuer nicht nur die Archäologen des österreichischen Archäologischen Instituts. Von Mai bis November ist auch ein Team des Ludwig Boltzmann-Instituts für Denkmalpflege und Archäologische Bauforschung unter der Leitung von Friedmund Hueber verstärkt dort tätig.

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In Ephesos, der Stadt des siebenten Weltwunders der Antike, graben heuer nicht nur die Archäologen des österreichischen Archäologischen Instituts. Von Mai bis November ist auch ein Team des Ludwig Boltzmann-Instituts für Denkmalpflege und Archäologische Bauforschung unter der Leitung von Friedmund Hueber verstärkt dort tätig.

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Auf dem Grabungsprogramm steht außer der Fortsetzung der Arbeit an den Schutzbauten über dem sogenannten Hanghaus II, die mit begrünten Schutzdächern und verschiebbaren Glaspyramiden ausgestattet werden, die Ergänzung von Säulen und Pila-stern an der Neronischen Halle. Außerdem die Wiederherstellung der Pflasterung in Teilabschnitten der Marmorstraße.

Den Schwerpunkt der Grabungen in der kleinasiatischen Ruinenstadt bei Izmir aber bildet die Erforschung, Analyse, Dokumentation, Konservierung und Restaurierung des für musikalische Monsterveranstaltungen genutzten Großen Theaters, in dem in den letzten Jahren die Zuschauer mehr und mehr durch Steinschlag gefährdet waren.

Berühmt geworden ist das mit einem Zuschauerraum von 30.000 Personen zu den größten Theatern Ana-toliens zählende Bauwerk durch das Neue Testament. In der Apostelgeschichte 19, 23ff wird der Proteststurm genau geschildert, den der Silberschmied Demetrius im Jahre 57 ebendort gegen die Predigten des Apostels Paulus entfachte, um sich und seiner Gilde das offenbar blühende Geschäft mit heidnischen Andenkenartikeln zu erhalten.

Es waren kleine Nachbildungen des dort befindlichen Weltwunders, des Tempels der Göttin Artemis. Drei Stunden lang soll das versammelte Volk, von der zündenden Rede des Demetrius aufgestachelt, in den monotonen Kampfruf „Groß ist die Artemis der Ephesier” eingestimmt haben, was letztlich den Apostel zur Abreise zwang.

Das Bauwerk besteht aus den drei charakteristischen Teilen des griechischen Theaters: dem Bühnenhaus (Skene), der Orchestra, auf der der Chor agierte, und dem aus drei Rängen mit je 22 Sitzreihen bestehenden halbkreisförmigen Zuschauerraum. Entstanden ist das Theater wahrscheinlich im dritten Jahrhundert v. Chr. In römischer Zeit wurde es umgebaut und restauriert.

Gladiatorenspiele und Tierhetzen haben nie in ihm stattgefunden. Es diente szenischen Aufführungen, zu denen die Bevölkerung zu Fuß, per Sänfte oder hoch zu Roß (oder Esel) kam. Galt es, Probleme von allgemeinem Interesse - vor allem politischer Natur - bekanntzumachen, rief man die männlichen Bürger der Stadt zur Volksversammlung ebenfalls in dieses Theater.

Seit 1897 graben Österreicher

Wissenschaftlich erforscht ist die Spielstätte bislang eher oberflächlich. Der erste, der an diesem Ort den Spaten ansetzte, war J. T. Wood im Jahre 1866. Doch da die Suche des englischen Architekten dem Tempel der Artemis galt, begnügte er sich mit der Freilegung einer kopflosen Büste eines Kaisers, von Plastiken der Liebesgöttin Aphrodite-Venus, der Göttin der Weisheit Athena-Minerva und des Hermes-Merkur, der sowohl Beschützer der Kaufleute als auch der Räuber war. Weiters entdeckte er ein schönes Marmorrelief mit der Darstellung eines Tritons, eines Meerwesens mit menschlichem Oberkörper und einem Unterleib mit Pferdefüßen und Fischschwanz.

Von 1897 bis 1900 gruben dann bereits die Österreicher unter George Niemann beim Großen Theater, das Wood als ein Chaos von Bruchstük-ken hinterlassen hatte, weil er vieles, jedoch nicht alles, was im Norden gelegen war, nach Süden befördert hatte und umgekehrt.

So blieb Niemann, der wie Wood Architekt und nicht Archäologe war, nichts anderes übrig, als Stück für Stück aufzunehmen, zu vermessen, zu zeichnen und zu versuchen, die Teile wie in einem Puzzlespiel zu einem Ganzen zusammenzufügen.

Da seine Rekonstruktion nicht befriedigend war, wurde sie zehn Jahre später von Architekt Hans Hörmann überprüft. Hörmann war selbst lange Zeit in Ephesos tätig und beschäftigte sich vornehmlich mit der Kirche des Heiligen Johannes und mit Studien über römische Fassadenarchitektur.

Seither hat man sich mit Reparaturen des dominanten Bauwerks im Zentrum der einstigen Metropole der römischen Provinz Asia begnügt.

Der seit Jahren als Architekt in Ephesos arbeitende und zumal durch die Wiederaufrichtung der Bibliothek des Celsus international renommierte Hueber nahm im August 1992 erste Vermessungen und Inventarisierungen der in Sturzlage verstreuten Architekturstücke vor. Darüber hinaus hatte er den südlichen Eingang zu sichern und gebrochene Architekturelemente zu kleben.

Heuer wurde mit einer exakten Erforschung des Bühnenhauses und seiner Geschichte begonnen. Die Zugänge - zwölf in regelmäßigen Abständen angeordnete Treppen, die sämtliche Reihen berühren, sodaß 63 Sektoren unterschiedlicher Größe gebildet werden - sollen ebenfalls gesichert und das Bühnenhaus bis zum ersten Geschoß wiederaufgebaut werden. Voraussetzung ist allerdings eine ausreichende Finanzierung des in drei bis vier Jahren realisierbaren Projektes.

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