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Wo weht der Geist?
„Sende aus deinen Geist und das Antlitz der Erde wird neu" haben wir zu Pfingsten gebetet. Was soll oder darf „neu" werden? In einer TV-Sendung am 13. Mai wurde Kardinal Joseph Ratzinger gefragt, ob es zur geistigen Erneuerung der Kirche ein III. Vatikanisches Konzil brauche. Er meinte, die Zeit sei noch nicht reif. „Ein Konzil bringt eine Ernte ein und kann nicht etwas schaffen, was nicht aus sich da ist. Das II. Vati-kanum war möglich, weil in großen Bewegungen zwischen den Weltkriegen und hernach eine geistige Ernte gewachsen war."
Beim Zuhören fielen mir folgende Bewegungen und Begleitumstände ein: eine liturgische Bewegung, die viel vorwegnahm, was im Konzil erst legitim wurde; eine Bibelbewegung, die Wege ging, die manchen Exegeten Vorlesungsverbot eintrug; eine ökumenische Bewegung, von der sich Rom lange distanzierte; neue Entwürfe in der Glaubenslehre, die Theologen längst konzipiert hatten, aber vor dem Konzil nicht publizieren durften; eine neue Sicht in der Moraltheologie, die erst grundlegende Voraussetzungen schuf für Konzilsaussagen über Gewissen, Religionsfreiheit, Ehe und Eigenverantwortung des Christen in Welt und Kirche.
„Von unten" war also vieles in Bewegung geraten, was „kirchenamtlich" zurückgehalten wurde. Das Konzil hat schließlich die
Ernte eingebracht. Wieso? Weil
ein Papst den Freiraum für notwendige Auseinandersetzungen schuf und Bischöfe den Mut zu Neuem hatten. Wo aber hatte der Geist zuerst geweht?
Vieles erinnert heute an die Zeit vor dem Konzil. Wieder hat sich manches aufgestaut und drängt nach offener Auseinandersetzung, freimütiger Lösung, wieder wird manches ängstlich unterdrückt. Kardinal Ratzinger hat von neuen Bewegungen gesprochen, und aufgefordert, „jetzt sollte der lebendige Aufbruch von unten ermutigt werden." Welche Bewegungen waren da gemeint?
Der Geist Gottes läßt sich nicht „einordnen". Nicht alles, was neu ist, muß schon von ihm kommen. Er ist nicht nur „unten", aber auch nicht nur „oben" zu vermuten. Er kann wehen, wo er will. Sicher ist er nicht am Werk, wo keine Liebe ist, Autorität überzogen und Angst hervorgerufen wird, wo Kommunikation und Offenheit fehlen. Viel eher wirkt er, wo sich Sorge um den Menschen zeigt, wo Wahrheit demütig gesucht, auf Gott und sein Wort stärker vertraut wird als auf menschliches Gesetz, wo Frömmigkeit den Einsatz für die Welt nicht hindert, sondern dazu herausfordert.
Vieles ist auch heute wieder von unten in Bewegung geraten. Wir brauchen Gottes Geist, damit wir das Einbringen der Ernte nicht versäumen.
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