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Wochentag in Polen

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Es ist Freitag. Mein liebster Tag der Woche. Ich kann zu Hause bleiben und die Freiheit genießen. Und auch noch glauben, daß das wirkliche Leben keinen Zugang hat. Beides ist Selbstbetrug. Um 6 Uhr muß ich doch aufstehen, um das Wasser zu erwischen: Das Fließwasser. Später wäre es schon kaum möglich. Die Sperre dauert manchmal bis zum Nachmittag. Man kann sich aber auch daran gewöhnen. Auch an das Phenolgemisch, das nachher aus dem Wasserhahn fließt, um sich auf eine ganz originelle Weise in Tee oder Kaffee zu verwandeln. X

Viele absurde Tätigkeiten habe ich dank dieser Situation ausgeübt. Und habe keine Langeweile. Es geht hier u'm keine Übertreibung, um keine Deformierung der Wirklichkeit. Ich versuche nur, das Alltagsleben darzustellen. Manchmal geht es dabei so witzig zu, so lustig. Wer nicht mitmacht, kann es nicht verstehen.

Zum Beispiel, wenn der Sparteufel - oder wer - zur selben Zeit auch noch 'die Elektrizität abschaltet und man

sich mit einem Kerzenstummel begnügen muß.

Das Spiel läuft weiter. Läßt sich nicht von der Bühne verjagen. Immer mehr Absurdes geschieht. Und warum? Und warum müssen wir das Spiel unbedingt weiterspielen?

Es verfolgt mich heute der Dillgeruch, der sich früh am Morgen einer • eingebildeten Kartoffelschüssel bemächtigt hat. Abends wird er bestimmt in der Nähe meiner Schwarzbrotschnitte herumtollen. Habe kaum Aussicht, etwas Butter zu bekommen. Gestern stand ich vier Stunden in einer schön langen Schlange. Ohne Erfolg. Vielleicht wäre es zu viel Glück auf einmal gewesen, denn ich habe dann doch ein Päckchen Tee erobert.

Am Anfang hatte diese seltsame Jagd sogar einen undefinierbaren Reiz gehabt. Man konnte sich über jede kleinste Beute freuen. Wie ein Kind. Man konnte alle Freunde anrufen und auf dieser Weise sehr interessante Gespräche führen. Jetzt ist es nicht mehr so lustig. Jetzt ist das Graue schon ganz grau.

Viele Jahre lebte ich in der törichten Überzeugung, daß ich das Antlitz der Welt verändern könnte. Ich hatte ehrgeizige Pläne. In den Nächten träumte ich von gemeinsamer Gerechtigkeit, von Ordnung und sogar von Mitleid. Ich bin auch überzeugt gewesen, das einmal noch der Tag kommen wird, an dem ich alles, was ich

deiike, ruhig aussprechen kann - und an dem ich wählen kann zwischen den verschiedenen Möglichkeiten, eine Gemeinsamkeit zwischen mir und der Welt zu finden.

Leider. Recht schnell habe ich erkannt, wer da wen zu formen weiß. Ich spüre ja die schweren Hände, die mein Wesen durchkneten wollen.

Es kam gerade die Post. Nach langer Zeit endlich ein Tropfen Geld. Aber - kurz und schlecht gesagt - die ökonomischen Ereignisse meines Lebens sind drollig. Obwohl ich arbeite wie ein Vieh, ich bin aber niemandes Schützling, niemandes Liebling, kein Dieb und auch keine Parteigenossin, also: für mein Monatshonorar kann ich mir einen Hut kaufen oderein Kilo Käse - wenn er zufälligerweise zu kaufen wäre. Das Geld bringt kein Glück, sagen die Satten. Aber Schuhe würde ich doch gerne meiner Tochter kaufen. Mein Gott, wenn ich nur nicht immer wählen müßte: Schuhe oder etwas mehr, etwas Besseres zum Essen.

Ganz zweifellos ist meine Umwelt eine einzige Fata Morgana. Ich habe die Orientierung verloren. Immer schwieriger ist es, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Alle betrügen mich. Wäre es die Krankheit des Systems - oder haben sich die Leute selbst so geändert?

Wie eine Heuschreckenplage fallen alle Sorgen auf mein Leben und vernichten alles, was doch so schwierig erschaffen worden war. Man hat mich zu einem traurigen Narren gemacht. Ich mußte die Mächtigen mit Schlägen auf der kleinen Trommel beglei

ten - und dazu noch heitere Lieder singen. Dann haben sie mich in einem Käfig gehalten - damit ich den Sinn der Wirklichkeit nicht vergesse. Ab und zu besuchte mich so ein Mächtiger. Ich mußte viele Fragen beantworten, und er versenkte sich in seine Broschüre und kombinierte: wie könnte er seine Gemeinheit in eine mystische Sprache übersetzen? Schluß damit!

Die Nachbarin hat uns ein halbes Kilo Fleisch gebracht. Ihr Sohn macht in wenigen Wochen die Matura. Er ist unter keinem glücklichen Stern geboren, so mußte sie eben ganz bestimmte Kontakte suchen. Alle Wege, die zur Erfüllung der Träume führen, sind gut - behauptet die nette Frau. Der Fleischweg gehört dazu. Sie müßte ihn aber in eine andere Richtung leiten. Ich kann höchstens eine schmackhafte Suppe kochen, und die nette Frau zum gemeinsamen Mittagessen einladen. Weiter kann ich leider nichts unternehmen. Meine Möglichkeiten liegen außerhalb der Zielvorstellungen solcher Träume.

Es hat mich heute mein Schulfreund Stefan angerufen. Der Funktionär Stefan - sagt man jetzt. Er ist ein bißchen verlegen, weil er so plötzlich an die Spitze gekommen ist. Alles ist durchdringend in diesem Kerl. Sogar die Stimme. Es ist mir so, als ob.er in meinen Gedanken hausen würde, wie ein Vortänzer auf einem vollgestopften Parkett. Und wie ein Vortänzer ist er auch.. Wohlgeordnet. Er sagt nicht, was er gesehen hat und auch nicht, was er weiß. Ein richtiger Mann? Aber was sollten solche Worte

eigentlich bedeuten?! Bißchen Routine ip der Liebe, blöde Witze im Kopf, und die verdammte Vorstellungskraftlosigkeit. Erst arrangieren sie selbst das scheußliche Gemetzel unter schuldlosen Menschen- und Zdann,z ganz unverschämt, liederlich und hastig fertigen sie zu dieser Schweinerei noch die Ideologie an. Und dann müssen wir, Frauen, an ihren schmutzigen Angelegenheiten teilnehmen. Das wird Kampf genannt und solche Männer sind dann Sieger.

Wie gerne würde ich jetzt auf einer einsamen Insel leben. Ich könnte sie in Pacht nehmen vielleicht ein wenig Klavier spielen, wenn es auf einsamen Inseln Klaviere gibt....

Wieder ein Radau im Fleischgeschäft. Mehr als siebzig Personen stehen in der Schlange und es gibt nur dreißig Kilo Fleisch.

Manche würden gerne behaupten, daß unser Land aus lauter Krawallmachern besteht. So ist es aber nicht. Wir haben fast unerschöpfliche Geduldreserven. Ohne wesentliche Gründe kommt es sehr selten zu Mißverständnissen. Alle lügen und alle belügen einander so schön - und halten das für ganz selbstverständlich. Alle beschwindeln sich, und es gibt hunderterlei Weisen, sich zu beschwindeln - aber immer schön gleichmäßig. Nur das Leiden ist nicht gleichmäßig rationiert. Im Leiden gibt es immer noch Ausnahmen. Im Zuteilen von Leid haben manche von uns Protektion.

Die Autorin ist als freie Journalistin in Breslau (Wroclaw) tätig. Sie hält sich gegenwärtig in Wien auf.

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