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Wohin gehst du, Kirche?

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Mit Interviewpartnern im Kardinalspurpur erregen italienische Journalisten Aufsehen: Franz König ist dabei ebenso „gefragt“ wie Joseph Ratzinger (FURCHE 41/1985).

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Mit Interviewpartnern im Kardinalspurpur erregen italienische Journalisten Aufsehen: Franz König ist dabei ebenso „gefragt“ wie Joseph Ratzinger (FURCHE 41/1985).

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Zwanzig Jahre nach dem Abschluß des Konzils wurde in der Kirche von Restauration geredet. Man meinte, daß die ersten zwanzig Jahre der Nachkonzilszeit für die katholische Kirche ausgesprochen ungünstig verlaufen seien. Die Ergebnisse des Konzils seien den Erwartungen aller, angefangen von Johannes XXIII. und Paul VI., diametral entgegengesetzt gewesen. Was meinen Sie dazu?

KARDINAL FRANZ KÖNIG: Wenn es auch in Westeuropa da und dort Verwirrung gibt, muß man bedenken, daß die wahre Kraft der Kirche heute in anderen Kontinenten zu suchen ist: in Afrika, vor allem, und zum Teil auch in Lateinamerika und in Asien. Der Schwerpunkt der Kirche ist nicht mehr in Europa. Auf jeden Fall bin ich heute alles andere als ein Pessimist — trotz allem, trotz der Tatsache, daß es in der Kirche angesichts des gleichzeitigen Vorhandenseins menschlich-allzumenschlicher und evangeliumsgemäßer Aspekte immer Probleme gegeben hat. Ich sehe eine positive Entwicklung der katholischen Kirche und ein Wachstum ihres Einflusses.

Kordinal Joseph Ratzinger stellte fest: „Wenn wir unter Restauration' die Suche nach einem neuen Gleichgewicht verstehen, nach all den Ubertriebenheiten einer wahllosen Öffnung zur Welt.nach denpositivenlnterpre-tationen einer agnostischen und atheistischen Welt; nun gut, dann wäre eine Restauration', die in diesem Sinne verstanden wird,.., durchaus wünschenswert...“ (Zur Lage des Glaubens, München-Zürich- Wien 1985).

KÖNIG: Die Kirche der Vergangenheit hat jede neue Entwicklung der Geschichte voll Angst betrachtet, sie fühlte sich getrennt von der Welt, in der sie das Böse .an sich sah. Das Konzil hat diese Auffassung umgedreht: Die Kirche öffnete sich auf die Geschichte hin, zu den Nichtchri-sten, zur ökumenischen Bewegung. So wurden die Grundlagen für jene drei vatikanischen Sekretariate (Anmerkung: Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen, Sekretariat für die Nichtchristen, Sekretariat für die Nichtglaubenden) gelegt, die für die Verwirklichung der Öffnung sehr wichtig sind...

Man kann daher kein neues Gleichgewicht im geschilderten Sinn wünschen, weil das de facto eine Zurückstufung des Geistes des Konzils bedeuten würde, auch wenn es theoretisch anders sein könnte. Die extremistischen Randgruppen — die es bei jeder großen historischen Entwicklung gegeben hat — können eine Grundsatzentscheidung gegenüber der sicher nfcht vom Glauben beherrschten Geschichte nicht rückgängig machen.

Diese Entscheidung hat das Zweite Vatikanische Konzil getroffen, Johannes XXIII. hat sie mit der wahrhaft historischen Eröffnungsrede voll unterstützt, Paul VI. mit den nicht minder bedeutsamen Schlußreden, in denen er sich offen und ohne Reserven die Erklärung über die Religionsfreiheit und die Konstitution „Gaudium et spes“ zu eigen machte...

Es gibt Stimmen, die meinen, daß die Kirche eine veränderte Strategie gegenüber der Welt verfolgen muß, da man den übertriebenen Optimismus des Konzils gegenüber der Geschichte erkannt hat und von seiner Korrek-

turbedürftigkeit überzeugt ist. Was denken Sie darüber?

KÖNIG: Zu Beginn der sechziger Jahre - deren von den stürmischen Ereignissen der siebziger Jahre verdunkelte Bedeutung erst heute erkannt wird — war die Kirche im Gegensatz zu früher der Zeit voraus.

Sie versuchte (als einzige menschliche Gemeinschaft), sich im Inneren eine neue Struktur zu geben (Kollegialität und Volk-Gottes-Begriff) und die Fundamente für eine definitive Uberwindung der Trennung zwischen den Christen zu legen (Ökumenismus), gegenüber den anderen an Gott Glaubenden eine positive Haltung einzunehmen (Dialog' mit den anderen Religionen) und die eigene Geschichtsverflochtenheit zu entdecken, was zugleich die Anerkennung der Posi-tivität der Geschichte („Gaudium et spes“) und konsequenterweise auch der Religionsfreiheit bedeutete.

Wie ist es möglich, daß der Kirche — gerade da eine gelassenere historische Betrachtung der jüngsten Geschichte im Gang ist - ein Gefühl der Angst wegen der bisweilen sicher katastrophalen Entwicklungen der postmodernen Zeit aufgepfropft wird, ihr, die in den sechziger Jahren Vorreiterin war? Dieses Gefühl der Angst möchte die Kirche dazu führen, die Offenheit von damals zu bereuen und zur Waffe der Verurteilung zurückzukehren. Aber es wäre im Gegenteil notwendig, das Denken von damals auf die neue Realität anzuwenden, das „Aggi-ornamento“ weiterzuführen, statt ausschließlich zur Selbstkritik zu schreiten.

Die Kirche muß vorangehen und den Geist des Konzils erneuern: Sie muß ihn „nach vorn“ verändern und darf nicht mit Furcht an ihn denken, denn die Wendung von damals bleibt ein unverrückbarer Meilenstein. Die Rede Papst Johannes' XXIII. gegen die „Unglückspropheten“ hat heute nichts von ihrer Aktualität verloren.

Aus: DER WEG DER KIRCHE. Von Franz Kardinal König. Ein Gespräch mit Gianni Liehen. Ubersetzt von Erich Leitenberger. Pat-mo Verlag, Düsseldorf 1986,160 Seiten, engl. Brosen., öS 154,40.

Originaltitel: Chiesa dove vai? (Wohin gehst du. Kirche?)

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