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Wohin mit Terroristen ?

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Der Fall war typisch: eine verfolgte Frau flüchtete in den Garten der venezolanischen Botschaft in Montevideo und schrie: „Asyl, Asyl, um Gottes Willen!“ Ein oder zwei Männer in Zivil sprangen ihr nach, gaben dem ihr zu Hilfe eilenden venezolanischen Diplomaten einen Faustschlag und zerrten die Frau an den Haaren in ein wartendes Auto. 48 Stunden erfuhr die uruguayische Öffentlichkeit nichts von dem Vorfall, dann entschuldigte sich die uruguayische Regierung bei der venezolanischen, behauptete aber, nicht zu wissen, wer die Frau entführt' habe.

Tatsächlich flüchten sehr häufig meist junge Leute, die verhaftet werden sollen oder nur vorübergehend freigelassen worden sind, in die mexikanische oder die schwedische Botschaft in Montevideo, von wo aus sie dann in 'diese Länder mit •einem Geleitbrief der uruguayischen Regierung reisen dürfen. Vor beiden Botschaften sollen mitunter Beamte der politischen Polizei stehen, so daß die Schwierigkeit für die Flüchtlinge darin besteht, auf 'das exterritoriale Gebiet der diplomatischen Vertretungen zu gelangen. Aber die Zahl derer, die auf diese Weise aus Chile, Uruguay und Brasilien fliehen, ist relativ gering. Nicht sie bilden das akute Flüchtlingspröblem in Lateinamerika.

Seit der Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten sind in 'ihnen Revolutionen an der Tagesordnung. Dabei handelt es sich allerdings zumeist nur um eine Art von Wachablösung. Die herrschende Parteiengruppe wird von ihrer Konkurrenz oder von den Offizieren gestürzt. In früheren Jahrhunderten hätten die Sieger die Besiegten erschlagen. Im 19. Jahrhundert sah man ein, daß es unter diesen Umständen bald keine lateinamerikanischen Politiker mehr geben würde. Auch war der politische Mord zwar nicht selten, aber regelwidrig. So suchten die abgesetzten Politiker Asyl in einem Nachbarland. Es handelte sich dabei fast immer um eine ganz kleine Gruppe von älteren Her-

ren, die in der Regel irgendwo unterkamen, wenn sie auch oft schwer um ihren Lebensunterhalt kämpfen mußten, da es keine Flüefefflingsbilfe wie heute gab. Es ging nicht um Guerilleros, sondern um Berufspolitiker.

Jetzt hat sich das Bild in dreifachem Sinne geändert. Statt der würdigen Herren sind junge Leute auf der Wanderschaft, und es handelt sich nicht um Dutzende, sondern um Tausende. Auch ändern sich häufig die Gastländer. Nach dem uruguayischen Staatsstreich von 1973 flüchtete die „linke“ Jugend nach Chile oder in das damals linksperonistische Argentinien. Als Allende fiel, zogen etwa 14.000 uruguayische und chilenische Links-aktivisten nach Argentinien. Zum großen Teil kamen sie illegal ins Land und besorgten sich demnach auch keine Polizeiausweise. Für sie sorgen zwei Stellen, der „Hohe Kommissar für Flüchtdings^ragen der UNO“ und die „Katholische Argentinische Einwanderungskommds-sion“. Beide besorgten für etwa 4000 Personen Einreisevisa in andere Länder. Von iden venbleibenden 10.000 haben 2000 ihre Situation legalisiert, etwa 6000 leben von der iFlüehtlinigshilfe. Ihre Situation hat sich in den letzten Wochen sehr zugespitzt „Unbekannte“, wie man in Argentinien die rechtsextremistischen Mitglieder der ,,AAA“ '(„Acciön Anticommunista Argen-tina“) zu nennen pflegt, holten 25 Flüchtlinge aus einem Hotel, verprügelten sie und ließen sie nach 24 Stunden wieder frei. Bald darauf brachen „unbekannte“ in das Büro der katholischen Flüobtlingsorgani-yation ein und stahlen die Karteikarten.. Nun ist Argentinien in einer sehr schwierigen Situation. Auch die Militärregierung kann mit dem Terror von links und von rechts nicht fertig werden. Es besteht kein Zweifel an den internationalen Kontakten der Terroristen untereinander. Eine kleine Zahl von Ausländern konnte wegen „aktiver Gefährdung der Sicherheit“ deportiert werden. Dabei hat sich die argentinische

Regierung verpflichtet, politisch Belastete nicht in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Sie weist die Vorwürfe, daß sie die Flüchtlinge vor den Angriffen der Rechtsterroristen nicht genügend schütze, zurück und kann sieh dabei darauf berufen, daß sie ihre eigenen Offiziere und Poli-zöibeamten auch nicht vor den täglichen Terrorakten bewähren kann. Auf der anderen Seite ist es ihr nicht zumutbar, ausländische Flüahtflinge, die aktive Mitglieder von Terrongnuppen waren, in Freiheit zu lassen. Angesichts der großen Verwirrung, die eine sehr kleine ZiaM von Guerilleros zu stiften vermag, weigern sich aber die USA und die meisten europäischen Länder, den Anarchisten Asyl au gewähren. Die zahlreichen Flugzeugentführungen und andere Ge-waltmethaden, mit denen die Freilassung verhafteter Kameraden erpreßt werden soll, verschärfen die Situation nur noch mehr.

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