6929145-1982_22_15.jpg
Digital In Arbeit

Wohin steuert die Theologie

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Zu den Aufgaben, denen sich die Theologie immer neu unterziehen muß, gehört es, daß sie Rechenschaft darüber gibt, welche Stellung sie im Ganzen des menschlichen Wissens einnimmt. In dem Maß, in dem die einzelnen Bereiche menschlichen Wissens füreinander durchlässig werden, in dem Maß, in dem Wissenschaft eine öffentliche Angelegenheit wird, in dem Maß. wird auch die Theologie dringender gefragt, welches denn nun ihre Sache sei. Von welcher Wirklichkeit spricht die Theologie? Welchen Zugang hat sie zu dem, was sie vorbringt? Kann diese Frage ein einzelner überhaupt beantworten?

HANS KUNG: Es kann in keiner wissenschaftlichen Sparte ein einzelner alles leisten. Aber dennoch scheint mir der Einsatz des je einzelnen heute wichtiger denn je zu sein. Allerdings darf sich dieser einzelne nicht treiben lassen von dem, was gerade jetzt a la mode ist. Wir können die Theologie nicht dadurch relevant machen, indem wir um jeden Preis versuchen, modern zu sein.

Mir scheint es wichtig zu sein, daß ein Theologe heute versucht, zwei Dinge in einem großen Bogen zu verbinden: nämlich die heutige Zeit und das, was sich am Anfang des Christentums ereignet hat. Wenn wir nicht die Verbindung, und zwar die vitale Verbindung zum Heute haben, verpassen wir mit Sicherheit die Fragen, die die Menschen heute um-treiben. Wenn wir aber nur im Heute leben und dabei außer acht lassen, was sich am Anfang des Christentums ereignet hat, dann sind wir oberflächlich, modernistisch und mondän.

FURCHE:In der Geschichte der Theologie gab es meist als Folge kirchenpolitischer Wendepunkte einen Aufbruch der Theologie. Kann man analog zu den nicht theologischen wissenschaftlichen Disziplinen in diesem Zusammenhang von einem sogenannten

Paradigmenwechsel (— Maßstabwechsel) in der Theologie sprechen?

KUNG: Das ist in der Tat eine interessante Frage. In der Physik zweifelt niemand daran, daß es solche Paradigmenwechsel immer wieder gegeben hat. Es bedeutete einen ungeheuren Umbruch, als das ptolomäische Weltbild aufgegeben wurde und das kopernikanische an seine Stelle trat. Das geschah in einer großen Krise der Physik und der Astronomie, aber es hat sich letztlich durchgesetzt.

In der Theologie gab es einen ersten bedeutenden Paradigmenwechsel von der Zeit Jesu hinüber in die Zeit des Hellenismus und des Römertums. Man denke an die große Zeit der alexandrinischen Schule oder an Augustinus und seine Theologie. Ein weiteres bedeutendes Paradigma der Theologie begründete im Mittelalter zum Beispiel Thomas von Aquin.

Zu erwähnen ist im Anschluß das Paradigma der Reformatoren, allen voran Martin Luther, der vieles von Thomas von Aquin in Frage stellte. Es folgte die Aufklärung mit der historisch-kritischen Methode. Alle Anzeichen scheinen darauf hinzudeuten, daß wir heute in der Theologie erneut in solch einem Paradigmenwechsel stehen.

Die vielen theologischen Debatten, die heute die Gemüter erregen, scheinen dafür ein untrügliches Zeichen zu sein. Das bedeutet natürlich nicht, daß wir morgen als Theologen eine andere Wahrheit verkünden werden als die bisherige.

Es ist meines Erachtens ganz und gar natürlich, daß, wie in allen übrigen Wissenschaften, so auch in der Theologie, Paradigmenwechsel stattfinden.

FURCHE: Der in unserer Zeit spürbar drängende Paradigmenwechsel kann doch nicht erst in unserem Jahrhundert angesetzt werden? Das wäre doch zu kurz gegriffen.

KUNG: Da haben Sie völlig recht, das hat schon vor langem eingesetzt. Wir haben in der Theologie das noch immer nicht ganz verdaut, was die moderne Naturwissenschaft hervorgebracht hat. Der Fall Galilei ist nun langsam aufgearbeitet, aber die Entwicklungstheorie Darwins ist noch heute bei vielen konservativen Theologen — ich denke etwa an evangelische Theologen in Amerika — ein großer Stein des Anstoßes.

Dasselbe gilt aber auch von der Philosophie, die eine ungeheuere Entwicklung durchgemacht hat; dasselbe gilt von der gesellschaftspolitischen Entwicklung seit der Französischen Revolution. Hier muß auch die epochale Aufwertung der Frau apostrophiert werden.

Alle diese Problemfelder, die ich hier kursorisch und lückenhaft genannt habe, müssen von einer neuen Theologie aufgegriffen, neu durchdacht und integriert werden.

FURCHE: Professor Küng, Sie sind ausgewiesen als ein Theologe, der für die heutigen Fragen der Menschen ein ausgeprägtes Sen-sorium hat. Könnten Sie zumindest ansatzweise die Richtung eines Paradigmenwechsels der Theologie aufzeigen?

KUNG: Ich beschäftige mich zur Zeit sehr intensiv mit der Frage eines ewigen Lebens. Ich glaube, das ist ein guter Testfall.

„Ewiges Leben” wäre vor kurzer Zeit für einen Theologen ein „Fehl-Thema” gewesen. Ich sagte schon am Anfang, als Theologen haben wir nicht mondän und modernistisch zu sein, sondern wir haben mit weitblickenden Augen und empfindsamen Ohren zu hören, was die Menschen bewegt. Und die Frage „Was ist nach dem Tode?” ist so alt wie die Menschheit.

Die Theologie muß die wenigen großen Fragen des Menschen immer wieder neu stellen. Und sie ist auch als einzige iij der Lage, alle Antworten der verschiedenen wissenschaftlichen Bemühungen in einer unerhörten Weise zu ergänzen, ja sie zu vollenden.

Das wird der Weg der Theologie der Zukunft sein, daß man die große Verheißung des Christentums, des Stifters des Christentums, Jesus von Nazareth, wieder neu in Beziehung bringt zu all dem, was die Menschen heute bewegt, vor allem in Beziehung zu einer neuen Ur-Angst.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung