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Wohnbaupolitik: Weder christlich, noch sozial

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Werden „die alten Prinzipien" der Katholischen Soziallehre in der österreichischen Wohnbaupolitik tatsächlich so zielführend angewandt, wie dies der Geschäftsführer der „Neuen Heimat Tirol" in seinem Beitrag „Solidarität ist gefragt" darstellt (FURCHE 11/1993)? Der Ausgleich „zwischen dem ungebremsten freien Wohnungsmarkt und der totalen staatlichen Regelung" sieht in Wirklichkeit anders aus.

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Werden „die alten Prinzipien" der Katholischen Soziallehre in der österreichischen Wohnbaupolitik tatsächlich so zielführend angewandt, wie dies der Geschäftsführer der „Neuen Heimat Tirol" in seinem Beitrag „Solidarität ist gefragt" darstellt (FURCHE 11/1993)? Der Ausgleich „zwischen dem ungebremsten freien Wohnungsmarkt und der totalen staatlichen Regelung" sieht in Wirklichkeit anders aus.

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Die Wohnbaupolitik hat in unserem Land zu einer Dreiklassengesellschaft geführt, die die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bürger unabhängig von ihrem Einkommen ganz wesentlich bestimmt.

Die Bewohner oder Erben von Wohnungen, die unter den Mieterschutz fallen, erfreuen sich einer sicheren, inflationsgeschützten und steuerfreien Rente. Diese entspringt Rechtsverhältnissen, die bis zu 75 Jahre zurückreichen können. Es ist offensichtlich, daß diese Ansprüche unter den heutigen Bedingungen vom Zufall bestimmt sind.

Privilegiert ist weiters auch, wem Gemeinde oder Genossenschaft eine geförderte Wohnung „zugeteilt" hat. Da der für eine Förderung gesetzlich in Frage kommende Personenkreis viel zu groß ist, um die Nachfrage mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu befriedigen - er erfaßt ja alle kleinen und mittleren Verdiener -, müssen zusätzliche Selektionskriterien wirksam werden. Diese sind in der Praxis gute Beziehungen, das richtige Parteibuch und geschickte Ausnutzung von ad hoc gebotenen Möglichkeiten. Bedürftigkeit spielt dabei nach allen gemachten Erfahrungen keine entscheidende Rolle.

Ganz arm sind jene Wohnungssuchenden, die auf den freien Markt, also auf nicht geförderte Objekte angewiesen sind. Hier erreicht die Miete vor allem bei jungen Menschen nicht selten das Nettogehalt eines arbeitenden Familienmitgliedes. Vor allem ausländische Arbeitskräfte sind gezwungen, horrende Untermieten zu zahlen, da sie von Förderung und

Vergabe im allgemeinen ausgeschlossen sind.

Wie ungerecht diese Zustände sind, zeigt ein Vergleich zweier Familien, die in dieselbe Einkommenskategorie fallen, jedoch bei der Wohnungssuche nicht das gleiche Los gezogen haben. Wer ein gefördertes Objekt bewohnt, kann bei einer 80 Quadratmeter großen Wohnung mit einer monatlichen Nettoerspamis von vielleicht 4.000 Schilling rechnen, was bei einem Monatseinkommen von etwa

20.000 Schilling unter Berücksichtigung des 32prozentigen Marginalsteu-ersatzes einem um 6.000 Schilling höheren Monatsgehalt entspräche. Grotesk dabei ist, daß der Nichtgeför-derte über seine Steuerleistung seinen Kollegen mit gleichem Arbeitseinkommen auch noch subventioniert. Man wird diese Zustände weder als christlich noch als sozial bezeichnen können.

Es ist Zeit, die Frage zu diskutieren, ob der Wohnungsfehlbestand tatsächlich so groß ist, wie allgemein angenommen wird. Es gibt durch amtliche Statistiken untermauerte Untersuchungen, wonach die Zahl der derzeit leerstehenden Wohnungen größer sei als es dem Bedarf entspricht. Mit dirigistischen Maßnahmen ist diesem Mißstand, wie die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, nicht beizukommen. Vielmehr hat der aus dem Ersten Weltkrieg stammende Mieterschutz zu einer ruinösen Vernachlässigung der Bausubstanz und zu verschwenderischer Unbeweglichkeit geführt.

Tausende Wohnungen stehen leer, weil sich eine Vermietung zu den gesetzlich festgelegten Bedingungen nicht rechnet und überdies zu riskant ist. Die unübersehbare Fülle staatlicher Eingriffe hat den Markt derou-tiert. Die mangelnde Transparenz und die Hilflosigkeit gerade der jüngeren Wohnungssuchenden schaffen ideale Arbeitsbedingungen für gewissenlose Spekulanten, da das regulierende Spiel von Angebot und Nachfrage fehlt. Die Zuweisung von staatlichen Förderungsmitteln und die Vergabe von Wohnraum durch Ämter erfolgt unter Bedingungen, die wirtschaftliche und politische Korruption begünstigen. Der Bevölkerung wird eingeredet, die Wohnung sei keine Ware, und es wäre die Aufgabe des Staates, die wachsenden Ansprüche der Bevölkerung auch auf diesem Gebiet zu befriedigen. Was eine Wohnung kostet und wer dafür zahlen soll, wird schamhaft verschwiegen. Dadurch entsteht der falsche Eindruck, daß Wohnraum ohne menschliche Leistung geschaffen und erhalten werden kann. Wer aber eine Wohnung sucht, wird oft genug zum Bittsteller degradiert. Die Arroganz mancher Stellen, die die Verfügungsmacht besitzen, kann schwerlich überboten werden.

Die Lösung dieses Problems kann nur durch die schrittweise Verwirklichung eines freien Marktes erfolgen, wobei allerdings mit dem erbitterten Widerstand der mächtigen Nutznießer des gegenwärtigen Systems gerechnet werden muß. Ihr so oft gebrauchtes Argument der „sozialen Gerechtigkeit" hält, wie hier gezeigt wurde, einer näheren Prüfung nicht stand. Zweifellos ist die soziale Komponente zu berücksichtigen, eine umfassende finanzielle Unterstützung durch den Staat ist auch weiterhin unerläßlich. Sie sollte jedoch durch eine überschaubare Subjektförderung erfolgen, die sich im Sinne einer richtig verstandenen christlich-sozialen Wohnbaupolitik an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen orientiert.

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