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Wohnen ist leben lernen

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Nur wenige Österreicher gestalten bewußt die Räume, in denen sie leben und arbeiten.

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Nur wenige Österreicher gestalten bewußt die Räume, in denen sie leben und arbeiten.

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DIE FURCHE: Sie haben als Architekt schon sehr früh Wohnprojekte unter Einbeziehung der künftigen Bewohner geplant - welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?

Ottokar Uhl: Nur wenigen Menschen ist es bewußt, daß von den drei Lebensbereichen des Menschen - Wohnen, Arbeiten, Freizeitgestaltung - das Wohnen der bedeutsamste ist, und: daß man seine Wohnumgebung bewußt gestalten kann. „Leben lernen" bedeutet „Wohnen lernen" - und umgekehrt. In manchen Ländern gibt es ja bereits „Wohnerziehung" als Unterrichtsgegenstand.

Ich habe bei einem konkreten Projekt die Erfahrung, daß beispielsweise in Schweden die Menschen viel präzisere Wunschvorstellungen ihr Wohnen betreffend haben als bei uns. In Schweden, aber auch in England, existiert seit der Zwischenkriegszeit ein Bewußtsein für Wohnkultur, das bedeutet, daß man auch sich selbst in diesen Prozeß einbringen muß. Ambitionierte Kunsterzieher in Osterreich vermitteln „Wohnerziehung" an manchen AHS. Es wäre eine wichtige kulturpolitische Aufgabe, den Stellenwert des Wohnens bewußt zu machen. Auch die Gestaltung der Arbeitsstätten liegt übrigens im argen!

DIE FURCHE: Wie hat die Bewohner-Mitbestimmung begonnen?

Uhl: Die ersten Projekte gehen auf das lahr 1968 (!) zurück: Erstmals habe ich diese Mitbestimmung beim Bau der Kapelle eines Schwesternheimes der Caritas Socialis versucht. Dann folgte in den frühen siebziger lahren ein Genossenschaftsbau in Hollabrunn. Dort beginnen wir jetzt mit einem zweiten Bauabschnitt, bei dem auch Selbsthilfe, das heißt die Mitarbeit der künftigen Bewohner am Bau, möglich ist.

Später entstand ein Gemeindebau im 16. Bezirk Wiens mit Mitbestimmung. Dieses Experiment war auch deswegen interessant, weil die neuen Bewohner ebenfalls aus Ottakring stammen sollten. Gerade diese Menschen haben sehr genau gewußt, was sie wollten und was nicht. Es handelte sich um rund 25 Wohnungen. Als Voraussetzung haben wir jeden der künftigen Bewohner in seiner damaligen Wohnung besucht.

Dann entwickelte sich das Projekt „Wohnen mit Kindern", das eigentlich kein Mitbestimmungsprojekt mehr war, sondern ein Selbstbestimmungsprojekt. Eine Gemeinschaft von etwa Dreißigjährigen, teils Akademikern, die alle Kinder hatten oder haben wollten, wollten gemeinsam ein Haus bauen in Auseinandersetzung mit dem Architekten.

Das Projekt im 21. Bezirk Wiens wurde 1983 fertiggestellt, es hat sechzehn Wohneinheiten. Das Leben in der Gemeinschaft, gemeinsame Feste sollten möglich sein. Und nicht zuletzt zu erwähnen ist das Projekt B.R.O.T. Eine vom Geist der Charismatischen Erneuerung geprägte Gruppe wollte gemeinsam wohnen und auch Studenten, Alkohol- und Drogenabhängigen soziale Hilfen anbieten. Hier gibt es rund 30 Wohneinheiten. Die Bewohner sind von Alters- und Schichtzugehörigkeit breit gestreut. Derzeit werden auch bosnische Flüchtlinge beherbergt. Im Augenblick ist ein Wohnbauprojekt am Leberberg im 11. Bezirk mit sogar rund 100 Wohneinheiten für die Stadt Wien bei mir in Vorbereitung.

Um eine Wohnung möglichst den Bedürfnissen der verschiedenen Lebensabschnitte eines Menschen anzupassen, müßten baukonstruktiv die tragenden Teile möglichst minimiert und die veränderbaren Teile maximiert werden. Das hängt allerdings auch von der Wohnungsgröße ab und ist im sozialen Wohnbau daher weniger möglich. Oft kann aber schon ein veränderter Türanschlag die Lebensqualität entscheidend verbessern. Meist empfinden die Frauen die Vor- und Nachteile einer Wohnung stärker.

DIE FURCHE: Zurück zur Veränderbarkeit Sind nicht manche Bauelemente, die Plazierung der Naßräume etwa, durch die Gesamtplanung vorgegeben?

Uhl: Eine wichtige Vorgabe ist die Konstruktion, die Verbindung mit dem Boden. Um sie flexibler zu gestalten, müssen allenfalls Mehrkosten in Kauf genommen werden. Dann gibt es die Vorgabe der Ver-und Entsorgungsschächte, wobei die Anordnung der Bäder schon wieder veränderbar ist. Beim Projekt Hollabrunn wurde die Lage der Bäder freigegeben - das wurde sehr genutzt. Und als dritte Vorgabe sind die Treppen beziehungsweise Aufzüge fixiert. Die dürfen einer künftigen Veränderung aber nicht im Wege stehen.

Planung heißt Vorausdenken. Bei „Wohnen mit Kindern" gab es neunzig verschiedene Fenster. Dafür hat die Planungszeit drei Jahre gedauert, es gab 120 Gemeinschaftssitzungen, und natürlich viele Einzelgespräche. Routinemäßig ist das nicht durchzuhalten.Für alle Beteiligten war der Erfahrungsgewinn aber sehr groß. Gleichzeitig wurden die vorhandenen Mittel der Wohnbauförderung • unterschritten.

DIE FURCHE: Die Baukosten spielen für jeden Wohnungssuchenden ja eine entscheidende Bolle.

Uhl: Deswegen halte ich etwas von der Idee der Selbsthilfe, da können die Kosten um zehn bis zwölf Prozent gesenkt werden. Aber sowohl Gewerkschaft wie Handelskammer legen sich da quer. Um Baukosten stärker zu senken, müßten mehr vorfabrizierte Elemente eingesetzt werden. Der zweite Kostenfaktor ist der Grund. Auch im Geschoßwohnungsbau ist die Wohnqualität von Einfamilienhäusern zu erreichen.

DIE FURCHE: Die Menschen müßten also die Gestaltung ihrer Wohnumgebung stärker selbst in die Hand nehmen, sich dafür verantwortlich fühlen.

Uhl: Nicht nur Mitbestimmung, sondern auch Mitverantwortung ist notwendig. Immerhin gibt es heute rund 400 Mitbestimmungsprojekte, vor drei Jahren waren es nur 200. Selbstverständlich gibt es auch abgestufte Grade der Mitbestimmung.

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