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Ägyptens Staatspräsident Mubarak bereist derzeit fünf Westländer, um seine Politik zu erklären. Im Land selbst wird man gewahr, wieviel sich seit Sadat geändert hat -und ändern muß.

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Ägyptens Staatspräsident Mubarak bereist derzeit fünf Westländer, um seine Politik zu erklären. Im Land selbst wird man gewahr, wieviel sich seit Sadat geändert hat -und ändern muß.

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Das ist nicht mein Büro, sondern einer der Repräsentationsräume des Parlaments", lächelt Ibrahim Shukri, Chef der sozialistischen Arbeiterpartei und Sprecher aller Oppositionsparteien in der ägyptischeh Volksvertretung, auf das Sadat-Bild angesprochen, unter dem er mich empfing. „Aber ein Mubarak-Bild ist schon in der Schreibtischlade ..."

Immerhin hatte Präsident Sadat knapp vor seiner Ermordung auch noch einige Parteigänger Shukris einsperren lassen und die sozialistische Zeitung eingestellt.

Auch Bischof Amba Ghrighorios, der mich an Stelle des im Wüstenkloster Natrun hausarretierten koptischen Patriarchen Schenuda III. empfing (dazu demnächst mehr), tat es unter einem Sadat-Bild, desgleichen Chefredakteur Ibrahim Nafe'e von „AI Achram", aus dessen Redaktionsstab gleichfalls einige Schreiber der September-Verhaftungswelle zum Opfer gefallen waren.

Aber allen hört man beim Reden über Sadat an, daß sie sein Bild nicht mehr fürchten, weil es den Schatten der realen Person Sadat nicht mehr gibt. Selbst Nafe'e, der sich unverändert als „Freund Sadats" bezeichnet, gibt zu, daß der große Mann Fehler begangen hat.

Und Mohamed Anwar El-Sadat war ein großer Mann. Daß er durch den Friedensschluß mit Israel einen neuen Nahostkrieg de facto unführbar gemacht hat, wird die Geschichte nicht vergessen.

Aber neben dem „internationalen Sadat" gab es auch einen „ägyptischen", und der war empfindlich, nachträgerisch, verletzend in vielen Äußerungen, ganz schön brutal in manchen Handlungen.

Gespräche mit Politikern, Beamten, Journalisten und Religionsführern in Ägypten ergeben von den Hintergründen der September-Verhaftungswelle etwa dieses Bild:

Schon zu Beginn der Siebzigerjahre ermunterte Sadat die religiösen Eiferer des Islam, weil der gläubige Muslim in der Religion ein Gegengewicht gegen „Nasser-isten" und Kommunisten erblickte.

„Aber Sie wissen, wie das ist, wenn man einen jungen Tiger heranfüttert," sagt Shukri. Der Tiger wurde bissig. Die Muslim-Bruderschaft erhob immer radikalere Forderungen und attak-kierte Sadat immer heftiger, weil er sie nicht erfüllte. Klar, daß eine solche Entwicklung Moskau mit der Hoffnung auf Unterwanderungschancen erfüllte.

Als die immer heftiger werdenden Ausfälle gegen die christlichen Kopten (Morde eingeschlossen) die Kopten zu Hilferufen ans Ausland animierte, erzürnte auch dies den Präsidenten, der sich nicht bei seinen USA-Besuchen durch Demonstranten an die „Unterdrückung unserer christlichen Brüder in Ägypten" erinnern lassen wollte.

Schließlich ließ Sadat alle festnehmen, die ihn je kritisiert hatten und die sicher nicht einfach alle Agenten Moskaus waren: Muslim-Fundamentalisten, Kopten, Sozialisten, Liberale, Politiker, Journalisten, Juristen. Daß dies eine Uberreaktion war, hört man heute überall.

Sadats Nachfolger Hosni Mubarak (zweite Silbe betont) läßt daher seit Wochen aus allen diesen Gruppen zizerlweise Leute frei: Oppositionspolitiker, Bischöfe, auch den zu Nassers Zeiten allmächtigen „Al-Achram"-'Chefredakteur Mohamed Hassanein Heikai, der gegenwärtig in Zimmer 827 des Kairoer Meridian-Hotels Hof hält und wie alle anderen Freigelassenen die Hoffnung äußert, Mubarak sei auf dem rechten Weg.

Dieser „rechte Weg" wird, so versichern derzeit alle, nicht weg vom Camp-David-Friedensprozeß, nicht weg von der USA- und der Marktwirtschaftsorientierung führen, aber intentionsgemäß wieder stärker hinein ins arabische Lager, auch zu einer schrittweisen Normalisierung diplomatischer Beziehungen zur UdSSR und wirtschaftspolitisch zu mehr Massenwohlstand.

40 Prozent der 42 Millionen Ägypter, von denen jeder vierte sich in der Hauptstadt Kairo drängt, leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Sadatsche Wirtschaftspolitik der „offenen Tür" hat Investoren, Großhändler, Spekulanten reich gemacht, nicht die Massen.

Korruption gedieh. Davon zeugen nicht nur gehässige Flugblätter aus dem vermutlich libyschen Untergrund, die die Präsidentenwitwe Jihan Sadat denunzieren („Frau fünf Prozent").

„Eine unvermeidliche erste Phase der Entwicklung", erläutert Botschafter Mohamed I. Hak-ki, Chef des amtlichen Informationsdienstes. „Jetzt wird man sich die Investitionsprojekte genauer ansehen. Das Genie Sadats bestand nicht zuletzt darin, den unblutigen Ubergang zum Nachfolger vorbereitet zu haben."

Shukris Hauptsorge ist das Wohnungsproblem: „Wir haben 100.000 unabsetzbare Luxuswohnungen und würden eine Million Billigwohnungen sofort und 200.000 weitere jedes Jahr brauchen ...

Chefredakteur Nafe'e glaubt freilich, daß es nicht nur um materiellen Wohlstand geht, sondern auch um den „unerläßlichen psychologischen Dialog mit der Jugend", die aus dem dörflichen Ägypten vergangener Jahrhunderte in die Großstädte der nahen Jahrtausendwende strebt und den Kulturschock existenziell erlebt. Dennoch hält er nichts von einer Abkapselung gegenüber der westlichen Zivilisation ä la Iran:

„Isolierung wäre falsch, noch mehr Öffnung ist notwendig. Unsere Jungen müssen lernen, daß man überall in der Welt Luxus durch hartes Arbeiten verdienen muß..."

Die Muslim-Bruderschaft freilich ist auch heute anderer Meinung.

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