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Wolken über einem Dorf

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Nur einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Lesern ist der 82jährige, in Niederösterreich lebende Schriftsteller Walter Sachs bekannt. Zu Unrecht. Die FURCHE freut sich, einen seiner Texte vorzustellen.

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Nur einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Lesern ist der 82jährige, in Niederösterreich lebende Schriftsteller Walter Sachs bekannt. Zu Unrecht. Die FURCHE freut sich, einen seiner Texte vorzustellen.

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Es stimmt, ich bin ein alter Mann, schon wunderlich, wie manche meinen. Es fällt mir nicht leicht, von unserem Dorf die Wahrheit zu berichten. Wahrheit ist immer schwierig. Oft fragte ich mich: Was willst du? Ist es nicht von fleißigen, strebsamen Menschen bewohnt? Und wie es schön geworden ist, sich ausbreitet, das hätte ich mir nicht vorzustellen vermocht in meinen jungen Jahren. Damals war es voll Not, Angst und Armut, die Menschen hausten in Keuschen, verkommenen Bauernhöfen, selbst in Ställen, obwohl die Essen glühten und die Hämmer pochten.

Wenn ich meine Meinung nur ungern äußere, mag das auch daher kommen, daß ich an vielen Abenden auf den Hügel vor dem Dorf gehe, abseits der Straße, aber durchaus nicht außerhalb der Zeit. Dabei muß ich immer wieder nach den Wolken über der

Ebene sehen, nach diesen riesigen Leibern. Ich bin meistens allein. Die Menschen im Dorf schauen nicht nach den Wolken. Wer wollte ihnen das auch verübeln!

Steht aber doch einer neben mir, einer der seltenen Waldgänger, dann betrachten wir gemeinsam die gewaltigen Formen, die Farben, das Aufglühen bei Sonnenuntergang. Doch nie noch verweilte einer, der am Himmel anderes gesehen hätte als ein schönes Spiel von Licht und Farben.

Mag sein, daß ich spintisiere, wenn ich in den herrlichen, furchtbaren Wolkenleibern Gestalten sehe, die den ewigen Kampf austragen zwischen Licht und Dunkel, Oben und Unten, diesen Kampf seit jeher, dessen Ausgang wir nicht wissen, und es ist nicht immer zu erkennen, wo die einen sich sammeln, wo die anderen; oft genug vermengt sich das blendende Weiß mit den schwarzen Schatten. Das fällt aber keinem auf. Dabfei sage ich mir, man gewahrt eben nur das, was in einem bereits keimt als lebendiger Same. Das ist vielleicht ein sehr hochmütiger Gedanke, nur weiß ich ihm nicht auszuweichen.

Die anderen erzählen mancherlei vom Wald, von den Pilzen, auch Jäger sind dabei, von den Frauen, und immer wieder von ihrer Arbeit. Von der Arbeit, von gerechten und ungerechten Löhnen zu reden, das hat durchaus seinen Wert, wenn auch lange nicht mehr so wie in meiner Jugend. Ich sagte es bereits, in unserer Krmut damals hätten wir dieses Dorf mit den hellen Häusern nicht einmal zu träumen gewagt. Und wenn sich in der Dunkelheit ein Älterer zu mir auf den Hügel gesellt, dann weist er stolz auf die Lichterkette längs der Straße. Wäre diese Freude nicht so unverdorben, so kindlich — aber ich kenne doch die Menschen und habe kein Recht, von Enge und Gedankenlosigkeit zu reden.

Dabei gibt es auch heute das Verlorensein, die Unrast der Leeren, das blinde Tasten nach einem wahrhaften, einem unvergänglichen Sinn. Nur treiben diese Regungen ihre Wurzeln nicht tiefer, als ein Mensch tief ist. Und da bin ich wieder bei dem gefährlichen Gedanken, den ich damals, in meiner Jugend, nicht zu denken vermocht hätte.

Es sind im Dorfe viele Lieder zu hören, aus den Lautsprechern, selbstverständlich, Liebeslieder, wie sie sagen, aber es ist nicht die Gewalt des Gewitters in ihnen, auch nicht der Duft des Grases; es ist nur ein dauerndes Sirren, sie sind wie das Insektengezirp auf der Wiese.

Es geschehen auch Untaten, große und kleine, oder sie werden doch geträumt, ausgeheckt, ich weiß das, obwohl ich früher einmal das Gegenteil erwartet hätte. Aber das Dorf sondert sich nicht erschrocken von den Tätern ab. Viele sehen diese eher in einem weichlichen Mitleid, aus einem schiefen, scheelen Rechtsgefühl als die Unschuldigen an. Und viele, die es nicht betrifft, bleiben lässig gleichgültig.

Uber die Unbeteiligten fliegt höchstens der rasche Schatten einer Angst. Eine Sdhwalbe stößt in den Mückenschwarm, aber die Davongekommenen tanzen arglos weiter. Wer die Waage nicht anerkennt, weil er sie nicht einmal kennt, wie sollte er auch erschrek-ken, wenn sich der Balken kreischend bewegt?

Ja, ja, die Schlote qualmen, die Maschinen surren, vor vielen Häusern blühen die schönsten Blumen. Das ist gut so. Ich weiß genau, ohne diese Wandlung ^m Laufe meines Lebens wäre ich längst verbraucht, ausgeleert, ausgebrannt. Wenn ich überhaupt noch da wäre, fehlte dem Stumpfgewordenen gewiß die Kraft, diesen meinen Weg zu gehen, Betrachtungen anzustellen und zu räsonieren.

Nur verschwenden fast alle im Dorf Zeit und Kraft für den Rahmen, einen breiten, protzigen Rahmen um ihre Tage, aber nicht für das Bild. Sie glauben leidenschaftlich an den Wohlstand. Wenn der Dachs oben im Wald seinen Bau gräbt, önmer weitläufiger, mag es um ihn wohl stehen. Aber der Mensch?

Das, was ich in den Wolken zu sehen vermeine, dieser Kampf wird mir zur furchtbaren Drohung. Ich spüre sie selbst zur Nacht. Trotzdem halte ich nichts davon, das Erfahrene, das wenige Erkannte in die Welt zu schreien. Ich bleibe nicht aus Gleichgültigkeit still. Aber wer könnte lauter sein als die Maschinen, die Flugzeuge, als viele Junge von heute!

Verzerrte sich das gemeinte, das endlich gefundene Wort nicht zum Gekreisch? Außerdem, jene, die nicht taub wären, ziehen sich vor jedem Lärm wie Schnecken in ihr Gehäuse zurück. Das erleben wir doch mit, seit Jahrzehnten! Aber ich hoffe — und das ist gewiß keine kindliche Greisenhoffnung —, daß mit der Zeit einige doch auch wieder nach dem Leisen verlangen, voll Hunger nach den Stimmen, die aus der Stille kommen, und dann wird ihnen der Rahmen, der den Nachbarn beschäftigt, recht gleichgültig bleiben.

Ich weiß, vieles wird mir zum Grillengeschrill, zum Knistern eines Ameisenhaufens, zum Flimmern der Johanniskäfer, was anderen wichtig erscheint. Es ist möglich, daß ich zu oft nach den Wolken sehe. Aber was mir bei ihrem Anblick durch den Kopf geht, das, so glaube ich, ist dennoch die Wahrheit. Erkennen könnte sie einer überall, denn — ehrlich — wer lebt nicht auch in einem Dorf!

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