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WONACH RICHTEN SICH ARZTE?

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Seit vielen Jahrhunderten war der „hippokratische Eid" die „goldene Regel der Medizin", das „Muster ärztlicher Standesethik", das, wie K. Steinmann sagt „als solches die berufliche Haltung vieler Generationen von Ärzten bestimmt hat. Es sei anders geworden", meint Steinmann, und zitiert den Ordinarius für Medizingeschichte in Hamburg, Charles Lich-tenthaeler, dem wir eine Analyse des hippokratischen Eides verdanken:

„Das allgemein verbindliche Wertsystem des christlichen-abendländi-schen Äons sei nach 1945 mit diesem allmählich in Trümmer gefallen. Die Welt um uns gleiche mehr und mehr einem Heidenland mit wenigen christ-lichen Restbeständen. In unserer Massenzivilisation mit ihrem Agnostizismus und mystischem Pluralismus herrsche notwendigerweise ein ethisches Vakuum, die alten Tabus seien gefallen, jedes moralische Bezugsystem werde angezweifelt. Die Gesetze unserer demokratischen Rechtsstaaten verlören an Gewicht und Geltung und würden legalistisch pervertiert. Wo sollten da die Ärzte noch ihre Kriterien für Gut und Böse hernehmen, wo ethische Fixpunkte finden?"

Ethik, was ist das?

Wir verstehen unter Ethik die sittliche Einstellung, die moralische Haltung, die Gesinnung eines Menschen und zwar die ideale, die richtige menschliche Haltung und Gesinnung, die eben ein Mensch haben, vertreten und leben soll. Richtig in dem Sinne, daß wir anerkennen, daß es Handlungen gibt, die getan werden, andere, die unterlassen werden sollen. Wir unterscheiden zwischen Gutem und Bösem, Würdigem und Unwürdigem, Liebevollem und Lieblosem, Heilsamem und Unheilvollem, Wahrem und Falschem und wir finden, daß jemand ethisch richtig handelt, wenn er sich jeweils für das erste in diesen Begriffspaaren entscheidet und es zu verwirklichen sucht, wobei ihm sein richtig gebildetes Gewissen hilft.

Von immer mehr Menschen wird heute das Fehlen richtigen ethisthen Verhaltens empfunden, im Umgang miteinander und mit der Welt. Und dieses Fehlen wird verantwortlich für neue große menschliche Not gesehen mit zum Teil verheerenden Folgen. Als Ärzte müssen wir darauf verweisen, daß heute entsetzlich Unärztliches und Unmenschliches in dieser Welt geschieht, auch von Medizinern. Die Tatsache, daß solches weltweit erfolgt, ist keine Entschuldigung.

Muß man wirklich an die Tötung so vieler Kinder im Mutterleib erinnern? An das widerliche Verhalten gegenüber unerwünschten Kindern? An die auch medizinische Unterstützung des Hedonismus, besonders im Sexualbereich? An den Begriff des „lebensunwerten Lebens" und die „Sterbehilfe", an das diesbezügliche Verhalten einiger sich „erbarmender" Mediziner? An den zum Teil unverfroren unwürdigen Umgang mit menschlichem Erbgut, mit behinderten Menschen? Oder an Menschenhandel für Organbelieferungen? Und, und...

Warum wird vielfach so unmenschlich gehandelt? Auch von Medizinern! - Weil ihnen richtiges menschliches und auch ärztliches Tun aus Mangel an innerer Orientierung und Gewissenhaftigkeit scheinbar nicht mehr möglich ist, aber auch weil ihnen der Wille dazu fehlt. Der Ruf nach Ethik, auch einer „Neuen Ethik" wird zwar immer lauter, er ist in den verschiedensten menschlichen Bereichen zu höten, keineswegs nur in der

Medizin. Nur wird uns diese richtige Orientierung in unserer Konsumgesellschaft nicht einfach geliefert werden, sondern wir haben uns höchst persönlich darum zu bemühen.

Der hippokratische Eid

Für uns Ärzte ist der hippokratische Eid nach wie vor eine sehr wesentliche Hilfe. Sein wichtigster Teil lautet, der Arzt habe seinem Patienten zu helfen, sein Leben vom Anfang an bis zu seinem natürlichen Tod zu erhalten. Er habe „sein Können und Wissen zum Nutzen der Leidenden" zu geben und werde „Verderben und Schaden von ihm abwehren" helfen.

Er werde „tödliches Gift niemandem geben, mag dieser selbst darum bitten, und auch keinen Rat dieser Art erteilen". Er werde auch „nie einem

Weibe ein Mittel zur Vernichtung der Leibesfrucht reichen". Gewiß, Versuchungen gegen ärztlich richtiges Verhal ten hat es immer gegeben, aber dort, wo es gelingt, solchen Versuchungen zu widerstehen, ist menschliches Heil entstanden.

Um dieses Heil haben auch wir Ärzte uns sehr zu bemühen. Die Befolgung des hippokratischen Eides ist eine große Hilfe. Die „Zehn Gebote Gottes" sind es noch mehr, die Hilfsangebote Christi können uns retten. Wenn wir uns nur retten lassen! Die Verstocktheit und Besserwisserei so vieler ist ein Jammer. Selbsterlösung kann nicht gelingen, das müßten uns doch die immer wiederkehrenden mißlungenen Versuche längst gezeigt haben. Unser Ich hängt wesentlich auch von einem Du ab, von dem der

Mitmenschen und vom göttlichen Du. Wir müßten uns nur bemühen, es zu erkennen und anzunehmen.

Dies zu erkennen macht uns bescheidener und dankbar -, damit aber um vieles menschlich leistungsfähiger. Ganz besonders auch den Arzt. Er muß viel Menschliches und fachlich Richtiges lernen und können, dann wird er auch richtig, ethisch richtig handeln. Es geht um seine Persönlichkeitsbildung, um Mut und Demut, um wissenschaftliches Interesse und Forschen, um das Erforschen des uns natürlicherweise Gegebenen, das uns mehr und mehr die

Wirklichkeit und Wahrheit erkennen läßt. Wenn wir uns diesen gegenüber richtig einstellen, wird uns eben jene Dankbarkeit erfüllen, die uns die Kraft gibt, ärztlich richtig zu handeln, zu helfen. . .

Die staatlichen Gesetze sind uns heute nicht oder kaum mehr eine Hilfe. Die Gesetze von Berufsverbänden auch nicht im ausreichendem Maße, wenn auch einiges brauchbar ist. Die Entscheide der aus dem Boden schießenden Ethikkommissionen leiden oft ebenfalls unter dem Zeitgeist und können dem einzelnen die notwendige Verantwortung nicht abnehmen, wenn sie es auch vielleicht vermögen durch ihr Urteil eine brauchbare Entscheidung zu finden. Verantwortlich ist und bleibt der Tätige, der handelnde Arzt, der als Arzt Tätige.

Es gibt viele gute Ärzte

Gott sei Dank gibt es trotzdem noch viele gute Ärzte. Sie sind die Mehrheit. Fachlich und menschlich gute Ärzte. Leider gibt es eben auch orientierungslos gewordene Kollegen, die unethisch handeln und Schaden stiften. Mögen auch sie den Zeitungeist erkennen, ihm widerstehen und ihn bekämpfen lernen zu ihrem Glück und zu dem ihrer Patienten.

Im November 1941 hielt der Ordinarius für Pathologie in Freiburg F. Büchner, einen Vortrag über „Die Grundgesetze der ärztlichen Ethik", in dem er auch auf den damals schlimmen Zeitungeist Bezug nahm: „Der einzige Herr, dem der Arzt zu dienen hat", sagte er, „ist das Leben. Der Tod ist, ärztlich gesehen, der große Gegenspieler des Lebens wie des Arztes. Würde man aber dem Arzt zumuten, die Tötung unheilbar Erkrankter anzuregen oder durchzuführen, so hieße das, ihn zum Pakt mit dem Tod zu zwingen. Paktiert er aber mit dem Tode, so hört er auf Arzt zu sein."

Er bleibt und ist ein guter Arzt auch dann, wenn seine Möglichkeiten das Leben zu retten erschöpft sind und er seinen Patienten beim Sterben nur mehr menschlich begleiten kann, als Mitmensch. Das meint auch Viktor Frankl mit seinem „... und trotzdem ja zum Leben sagen" und mit seiner Frage nach dem Sinn von Krankheit, Leid und Sterben...!

Der Autor ist emeritierter Professor für Kinderheilkunde an der Universität Innsbruck.

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