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Woran Kirchenpresse krankt

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Seine Eminenz Judas sei nie vom Glauben abgefallen, habe seinen Herrn nie verraten und Selbstmord begangen, der Sohn Gottes habe am Kreuz nie und niemals „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ gerufen.

Papst Petrus habe den Herrn, entgegen tendenziösen Meldungen, keineswegs verleugnet, kein Jünger habe bei der Verhaftung Jesu die Flucht ergriffen, die Meldung über inzestuöse Vorkommnisse in der Urgemeinde sei eine schlichte Verleumdung verschworener Kirchenfeinde, und Petrus habe nach seiner Jüngerberufung den ehelichen Verkehr mit seiner Frau sofort eingestellt.

So oder ähnlich hätten damals die Dementis aus den verschiedenen katholischen Pressebüros und Ordinariaten, aber auch die Leserbriefe empörter Ka-

tholiken gelautet, hätte es sie bereits damals gegeben.

Denn nichts ist, was nicht sein darf: eine offene, umfassende Berichterstattung über die ungeschminkte Wirklichkeit in und außerhalb der Kirche bedeutet in den Augen der „Reservisten“ aller Dienstgrade und in den Spalten der kirchlichen Presse Verunsicherung der Gläubigen, Taktlosigkeit, Nestbeschmutzung und Verrat. ^

Die vier’ Evengelisten als Boulevard- Schreiberlinge, die Apostelgeschichte als zweifelhaftes Machwerk, das Alte Testament gar als Pornofibel - dies alles ist weniger von der Wirklichkeit entfernt, als man meinen möchte. Journalisten kirchlicher Presseprodukte können davon ein Lied singen.

Ängstlichkeit, kleinkariertes Denken, wehrhafte Gettomentalität, autoritäres Gehabe formen aus einer Presselandschaft, die wahrhaft Besseres verdienen würde, eine religiöse Parteipresse autoritär-infantiler Natur, weshalb die Catholica von Leuten, die auf umfassender Information bestehen, kaum ernst genommen, allenfalls aus Neugierde mitgelesen werden.

Ein Dissertant anno 2020, der beispielsweise aus dem „Osservatore Romano“ erfahren möchte, welche Reaktionen die Pillen-Enzyklika „Humanae Vitae“ in der Welt ausgelöst hat, würde völlig wahrheitswidrig dahingehend unterrichtet werden, daß die Menschheit, von einigen innerkirchlichen Querulanten und notorischen Kirchenfressern abgesehen, das Papstwort mit Begeisterung begrüßt, ja geradezu als einen wegweisenden Wink inmitten der Wirrnisse der Zeit aufgenommen haben .. .

Das Gerede von der Verunsicherung entlarvt sich solchermaßen als eine reine Mystifikation, als Bluff, der lediglich eine Wegbereiterrolle für autoritäre Entscheidungen zu spielen hat.

Was nicht offen ausdiskutiert, nicht einmal öffentlich ausgesprochen wird, erfreut sich um so lebhafterer Erörterung in privaten Telefonaten und Briefwechseln diverser „hoher“ und „höchster“ Kreise, hinter den Rücken der Betroffenen …

Wohl wundert sich die Mehrheit der Gläubigen, daß die heißen Eisen der eigenen Gesinnungsgemeinschaft von den „profanen“ Medien aufgegriffen werden, lastet dies jedoch nicht der katholischen Presse an, sondern der Sensationslüsternheit und Boshaftigkeit der Profanredakteure und Herausgeber …

Gerade angesichts dieser Lage erhebt sich die Frage nach der Rolle der kirchlichen und christlichen Presse. Wäre es nicht Aufgabe dieser Presse, Vorurteile abzubauen und ein besseres Image von Christentum und Kirche zu vermitteln?

Ja, das wäre es. Doch wie diese Presse beschaffen ist, kann sie-von äußerst wenigen Ausnahmen abgesehen - dieser Aufgabe kaum entsprechen.

Was will die katholische Presse überhaupt? Wie lautet ihre Zielsetzung? Soll sie die erwerbbare und frei Haus gelieferte Kanzel der Bischöfe, Priester und Theologen sein? Soll sie missionieren oder gar indoktrinieren?

Ist sie Sprachrohr der offiziellen Kirche, Seelsorgeinstrument, das erziehen und den Leser reformieren soll? Ist sie gleichsam der papierene Eßlöffel in der Hand kirchlicher Gouvernanten, mit dem die Thesen der Lehre und der päpstlichen Direktiven oder gar die privaten Vorstellungen der Herausgeber und Chefredakteure dem Volk eingeflößt werden sollen?

Oder soll auch die katholische Zei

tung einfach Zeitung sein, die Informationen vermittelt, um vor der Wirklichkeit ein möglichst ausgewogenes Bild zu geben? Sollte sie nicht auch danach fragen, was das Publikum interessiert, und nicht nur danach, wovon der Chefredakteur oder Bischof es gerne hätte, daß es das Publikum interessieren sollte?

Eine überaus schwierige Fragestellung, denn das Dilemma der kirchlichen katholischen, weniger allgemein christlichen Presse besteht darin, daß sie über das, was alle interessieren würde, kaum schreiben darf, und das, worüber sie tatsächlich berichtet, kaum über den Kreis der allzeit Getreuen hinaus Interesse findet.

Dem Druck von oben entspricht ein nicht minder starker Druck von unten, von einem verängstigten Leserpubli-

kum her. Die Leidtragenden dabei sind die Journalisten und Redakteure der Kirchenpresse selbst, da sie zu einem andauernden Kompromiß gezwungen werden…

Die struktureigene Unmündigkeit der Kirchenpresse widerspiegelt somit nur die Mentalität ihres Publikums. Sie wird nicht nur von der zwanghaften Vorstellung einer möglichst faltenlosen Vollkommenheit beherrscht, sondern auch von einer tiefen Unsicherheit. Von einem Bewußtsein, das sich auf Jesusworte wie „Die Wahrheit wird euch befreien“ oder „Habt keine Angst, ich habe die Welt besiegt“ stützt, ist da keine Spur.

Aus solcher verkrampften Ängstlichkeit, die nięht selten in Selbstgerechtigkeit umschlägt, ist auch die weitgehende Humorlosigkeit des katholischen Leserpublikums zu erklären. Katholische Blätter können sich nur in beschränktem Ausmaß Karikaturen leisten, die den eigenen Lebenskreis betreffen. Selbstironie gilt als Blasphemie und Hochverrat.. .

Dennoch gibt es trotz all der hier aufgezeigten Mängel eine Reihe tatsächlich sehr gut gemachter kirchlicher Presseprodukte, deren Informationswert sich durchaus mit dem der seriösen Profan-Presse messen kann.

Die verminderte Kontroll- und Pressionsmöglichkeit seitens der kirchlichen Obrigkeit und eine allgemein gewachsene Sensibilität gegenüber dem freien Wort machen es möglich, daß in einzelnen unabhängigen und kritischen Zeitschriften gelegentlich unmißverständliche Kritik geübt und offenherzige Hintergrundinformation geboten wird. Diese Blätter haben aber meistens nur eine kleine Auflage und einen ebenso kleinen Kreis intellektueller Leser.

Auszugsweise aus: WORAN DIE KIRCHE KRANKT. Von Rudolf Schermann. Econ, 320 S., 152,50 öS

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