6962788-1985_02_09.jpg
Digital In Arbeit

Wort und Ebenmaß

Werbung
Werbung
Werbung

Zweifellos stehen wir jetzt an des Jahrhunderts Neige, auch an einer unausweichlichen Tendenzwende von beachtlichem Ausmaß. Ernst Schönwiese gehört zu den wenigen Menschen, welche fast den ganzen Weg mit einer rasch zunehmenden Bewußtheit der inneren Krisen und der Wertverluste — die aber zugleich Möglichkeiten neuer Wertfindung bieten — durchmessen haben.

Wie viel an äußerer Not, wie viel an innerer Notwendigkeit war bestimmend dafür, daß der junge Mann, Sohn eines Wiener Schuldirektors, und dazu erzogen, auf gesicherten Bahnen beruflich zu wirken, nun plötzlich Literat würde? Immerhin war er 1932 als verantwortlicher Redakteur eines Wiener Magazins so weit abgesichert, daß er das literarische Umfeld der Epochen überschauen und dann an den Wiener Volkshochschulen vermitteln konnte. Da ereignete sich nun das, was seine ganze weitere geistige Entwicklung prägen sollte: Denn Ernst Schönwiese war befähigt, die zukunftsweisenden Werte der österreichischen Literatur just dort zu erkennen, wo die offizielle Kunst- und Kulturpolitik ihre blinden Flecken hatte und die Resorptionsfähigkeit der akademischen Zonen blockiert war.

Mit der Begeisterung des Entdeckers hielt der noch nicht Dreißigjährige seine Seminare über Robert Musü, Hermann Broch und Franz Kafka. Dreißig Jahre bevor eine breitere Öffentlichkeit Elias Canetti zur Kenntnis nahm, trat er mit ihm in Kontakt, um ihn für Lesungen zu gewinnen. Robert Musil, nicht bloß unbestechlich, sondern oft spröde, anerkennt, daß Ernst Schönwiese „ein Publikum literarisch gut erzogen hat”. Zufolge des persönlichen Kontakts im Cafe Herrenhof mit Franz Theodor Csokor, Felix Braun, A. P. Gütersloh, Otto Stoessl u. a. waren die Voraussetzungen geschaffen, eine Zeitschrift herauszugeben, die sich der kulturpolitischen Gleichschaltung widersetzte. So entstand das „Silberboot”, das dann allerdings unter dem Druck der Verhältnisse 1936 eingestellt werden mußte.

Wie ein Abschied an die erste Hälfte des Jahrhunderts mutet heute die Anthologie an, welche Ernst Schönwiese 1935 herausgebracht hat, und in welcher erstmals die Namen Robert Musil, Hermann Broch, Felix Braun, Theodor Kramer und Erika Mitterer in einem Bande vereinigt waren. Die Anthologie hieß „Patmos”, also: Insel der Exilierten, Insel derer, die sich dem Zeitgeist nicht angepaßt haben, Insel der Apokalypse. In Ernst Schön-wieses eigenen Gedichten heißt dort eine Zeile: „Abgeneigt allem, wo eine Hand sich hebt, oder ein Schwert blitzt.”

Diesem Bekenntnis hielt der Dichter die Treue, was dann aber nur noch in der Bedrängnis der Emigration möglich war. Nach seiner Rückkehr 1945 in die amerikanische Besatzungszone konnte der Herausgeber, Essayist, Literaturkritiker und Rundfunkfachmann vollkommen zu Recht dort fortsetzen, wo seine Arbeit 1936 unter dem Druck der Verhältnisse zum Erliegen gekommen war. Der Dichter Ernst Schönwiese jedoch stand nach den Katastrophen des Zweiten Weltkrieges vor der Herausforderung, neu beginnen zu müssen, um eine Ausdrucksform zu finden, welche dem soeben Durchlittenen standhalten konnte und zugleich über dieses Trümmerfeld der Geschichte hinauswies.

Vor diesem Problem stand freilich jeder, dem der künstlerische Gestaltungswille zum Lebensschicksal geworden war. So entwickelte sich unter den Jüngeren ein stilistischer Konsens, wonach dem Absurden der soeben zu Ende gegangenen Geschichte nur eine absurde Literatur äquivalent sein sollte, für welche alle bisher gültig gewesenen Prinzipien des Ausdrucks und der Anschauungsästhetik keine Geltung mehr haben durften. Die Zeit der Experimentierpflicht begann.

Schönwieses Erneuerung geht aber ganz andere Wege. Auch er gibt den Reim, gibt die Strophenformen auf, die er in den frü- . hen Gedichten meisterlich zu handhaben weiß. Aber im Gegensatz zu allem Konturlosen und in unkontrollierbarer Irrationalität Raunenden wagt er es, das Einfachste, das Konkret-Empirische zum Anlaß des Gedichtes zu machen. Dieses empirisch nachweisbare Ausgangserlebnis wirkt jedoch wie ein Zündfunke, der immer weiter und weiter glimmt, weit über das sichtbar Nachweisliche hinaus, bis er, schließlich das Dunkel sprengend, inneres, bisher verborgenes Wissen freisetzt. So entstanden nun Gedichte, zusammengefaßt in den Bänden „Baum und Träne”, „Geheimnisvolles Ballspiel” und „Odys-seus und der Alchemist”.

Schönwiese ist auch ein Mann des literarischen Lebens. In jeder seiner Rezensionen, in jedem seiner Vorträge wird es deutlich: Hier stellt sich einer ganz in den Dienst des Autors bzw. einer Organisation, mit der er sich identifiziert.

Begreiflich, daß sich die verschiedensten Organisationen einer solchen Arbeitskraft, welche

Dienstbarkeit mit Kreativität vereinigt, vergewissern wollten. Bereits 1956 wurde Ernst Schönwiese Mitglied der Darmstädter Akademie und des Präsidiums deutschsprachiger Schriftstellerkongresse. Von der Präsidentschaft des österreichischen Schriftstellerverbandes wurde er abberufen, um sich als Präsident dem österreichischen P.E.N.-Club ganz widmen zu können. Als solcher sah er seinen Auftrag darin, den Gegensatz von Tradition und Avantgarde zu überbrücken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung