6836473-1975_17_13.jpg
Digital In Arbeit

Wort und Wahrheit

Werbung
Werbung
Werbung

„Nach Einstellung der Zeitschrift .Wort und Wahrheit' sah sich Herdei vor die Frage gestellt, auf welche Weise das Gespräch mit der spezifisch österreichischen Überlieferung weitergeführt werden könnte.“ Mil diesen Worten eröffnete Dr. Waltet Strolz das Zwettler Österreich-Symposion, zu dem der Verlag Herder geladen hatte. Otto Mauers Initiative konnte und durfte nicht ins Leere verhallen. Wohl erschiener Werke, die sich um Österreichs Vergegenwärtigung' im Europäischer Bewußtsein annahmen. Doch erschien es trotzdem notwendig, das Dargebotene und oft so diametral Entgegengesetzte aufzuarbeiten. DaE sich der Verlag dieses Anliegens annahm, kann ihm nicht genug gedankt werden.

Noch größerer Dank gebührt ihm für die Tage in Zwettl, wo er dei persönlich anwesende Gastgebei war. So skeptisch man dem Überhandnehmen von Symposien und Synoden, Tagungen und Diskussionen gegenübersteht, in Zwettl wurde diese Skepsis gründlich ausgeräumt. Kaum ein Symposion der Nachkriegszeit war derart fruchtbar, und man kann nur hoffen, daß seine Buchpublikation nicht lange auf sich warten läßt. Vorträge, Diskussionen, die Gespräche in den Pausen waren immer intensiv, die wenigen Verflachungen schnell überwunden. Walter Strolz, der Organisator und Leiter, konnte zufrieden sein.

*

Wohl kann von Vollständigkeil der Themen nicht gesprochen werden — den folgenden Symposien wird es sicher nicht an Gesprächsstoff mangeln —, doch waren die Schwerpunkte so gesetzt, daß ihi Gewicht von einer sowieso unerreichbaren Vollständigkeit nicht gemindert werden konnte. Norbert Leser mit seinem, wie immer, ausgezeichneten Referat gab den Auftakt „Der poloitische Bewußtseinswandel in Österreich seit 1945“. Dieser wurde keineswegs billig harmonisiert. Nur Gefahren bieten Chancen, wurde bezeichnenderweise in der Diskussion bemerkt. Der Salzburger Germanist Walter Weiß zeigte die „Ordnung“ der neueren österreichischen Literatur in ihrer Spannung zwischen Platonisierung und Ästhetisierung dieser Ordnung einerseits und der davon herausgeforderten Protesthaltung anderseits, die sich sehr kritisch in der „Thematisierung der Sprache“ (Wiener Gruppe, Handke) akzentuiert. Viktor Suchy, von der Dokumentationsstelle in Wien, sprach von Kontinuität und Tranditionsbruch, von der österreichischen Todesmeditation, ihrem Zusammenhang mit der

Aufforderung zum Schweigen, das sich der Sprachgrenzen bewußt ist, und schließlich umschlägt in Sprachkritik bei Karl Kraus, Mautner und Wittgenstein. Der sogenannte Konservatismus Österreichs, sein Habsburgermythos (Magris), seine vielbeschworene Barockomanie als gängige Interpretationsschemata erlitten in den Diskussionen gerechte Einbußen. Uberhaupt war es erfreulich, in der immer wieder aufbrechenden Diskussion lim die Begriffe von „konservativ“ und „reaktionär“ einmal Grenzen zwischen beiden zu ziehen. Nicht zuletzt durch die Beiträge eines diesmal heiter gelösten Friedrich Heer, der mit seinen ernsten wie geistreichen „Gedankenspielen“, die von einer exorbitanten Belesenheit und Informationsfülle gespeist waren, absichtlich am Referat vorbei —, dafür aber zum Thema redete: „reaktionär“ handelt ein Mensch, der nur den Spieß umdreht, gleich welcher Altersklasse, „konservativ“ versuchte er als schöpferisches Gestalten zu umschreiben; was er durch Beispiele aus den bitter-österreichischen Lebensschicksalen und Werken von Musil und Freud bis Wotruba illustrierte. Politzer fügte dann hinzu: der Unterschied zwischen konservativ und reaktionär liegt in der Ironie.

Als Meisterin ironischer Anspielungen erwies sich die ebenso charmant wie blitzgescheite Doktor Sültemeyer, Frankfurt a. M., die sich auf wenige Beispiele beschränkte (Doderer, Roth, Wiener Gruppe, Lesebuch) und von ihrem Referat „Das Wiedererwachen des Interesses an österreichischer Dichtung in der Bundesrepublik seit 1945“ so viele Ausblicke auf Verleger, Rezensenten, Germanisten (z. B. ihre fragliche Umfunktionierung Roths, dessen Urtexte sie nicht zur Kenntnis genommen hatten), Buchmarkt und Ministerien bot, die zur Erheiterung und Besinnung beitrugen. Abschließend stellte sie fest, daß die österreichische Literatur, aus westdeutscher Sicht sehr viel zu einer sich entwickelnden Sprachsensibilität beitrug, die Ausdruck eines auf Entlarvung gerichteten Mißtrauens, zugleich aber auch Ausdruck einer Sprach-Wachheit wurde, für Menschen, die mit der Sprache zutiefst betrogen worden waren.

Der Theologe Zauner aus Linz, der von den Chancen und Gefahren österreichischer Religiosität sprach, verstand es, diese Ambivalenz durch Charakteristika wie Minimalismus, Privatismus, Synkretismus, Konservativismus, Panpastoralismus, Insti-

tutionalismus, Internationalismus darzulegen, denen die Diskussion noch den Ästhetizismus oder österreichischen Religiosität hinzufügte, eine Religiosität, die wiederum ambivalent zum Lachen und zum Weinen Anlaß gibt.

Geistige Hochspannung herrschte am Nachmittag der beiden Referate „Die Philosophie Wittgensteins und die Wiener Schule“ und „Das Sprachdenken Ferdinand Ebners“ zwischen Rudolf Haller und Peter Kampits. Von Haller erwartete man schon vom Thema her präzise Formulierungen und sprachliche Klarheit, mit denen er den typisch österreichischen Beitrag zur Philosophie der Gegenwart charakterisierte, daß es aber dann Peter Kampits gelang, ebenso präzis das Hauptanliegen des als dunkel und weitschweifig verrufenen F. Ebner darzustellen und damit den Kontrapunkt zu Wittgenstein zu setzen, war faszinierend. Schade, daß die Diskussion zwischen beiden zu kurz kam. Aber doch konnte man die Richtung erkennen, in der sie geführt werden muß: Sprechen von Ich zu Du und Sprechen über etwas. Wo liegen ihre Überschneidungen, wo ihre Grenzen, wo ihre Begründung? Aber dieses Nichtaufgehen und Offenbleiben der Rechnungen fügte sich dann in den Rahmen, geht es doch dabei um ein österreichisches Speziflkum. Politzer war es, der damit das Symposion abschloß.

Es war wohltuend, diesem verständnisvoll liebenswürdigen, nie mit seinem Wissen paradierenden Grandseigneur auch im Alltag zu begegnen, absolut kein „Balkongott“ (wie Benn über Goethe sagte). Heinz Politzer nahm sich den Satz Sigmund Freunds vor: „Wo Es war, soll Ich werden“ und zeigte an ihm die Hamartia und Tragik Freudscher Hypothesen und Interpretationen auf. Seine subtil dargelegten Beispiele des ödipus, Hamlet und Tonio Kröger erwiesen den fortschreitenden Vitalitätsschwund mit fortschreitender Analyse, die über Hamlets Handlungsunfähigkeit zu dem „prekären Gleichgewicht“ Tonio Krögers führt, mit dessen Frieden es nicht weit her sein kann. Jede Interpretation ist ihrem Wesen nach dialektisch, sie dient der Erhellung eines Gegenstandes, von dem der Deuter sich bewußt ist, daß er sich nicht ganz erhellen läßt. Werden die Mächte des Unbewußten trocken gelegt, werden die mythischen Quellen verschüttet, wird das Es vergessen, kommt es zu einer Überwachheit des Bewußtseins, zu einer Hypertrophie der bewußten Seele, die in Unmenschlichkeit umschlagen kann. Auch Freud kann es so ergehen, wenn man seine genialen Fragmente, wie Prof. Stöcklein bemerkte, in ein System bringen will. System reimt sich auf bequem, wie Fontane einmal meinte, und eine zu eng gedeutete Welt wird eine inhumane Welt. Das dürfte wohl eine spezifisch österreichische Einsicht genannt werden, die von jeher eine Abneigung gegen Hegel hatte.

Die offene Ideologie Musils, sein Möglichkeitssinn, wurden öfter im Zusammenhang damit genannt, ihm möge ein Name hinzugefügt werden, der in Zwettl etwas zu kurz kam: Gütersloh. Er will Unsicherheit verbreiten, wie er sagte, jedenfalls kann man sich bei keiner Wahrheit beruhigen, wenn man es ernst nimmt mit der Wahrheit. Güterslohs Roman „Eine sagenhafte Figur“ bringt, nach eigenem Ausspruch, seine Auseinandersetzung mit Freud und führt von der gescheiterten Verlobung über das Wunschbild Tamilas zur antihegelianischen dialektischen „Einheit“ von Sonne und Mond: Ihr nie Vereinten und doch ihr Eltern der Menschheit! Dialektisch hier im Sinne Politzers: ambivalent, ironisch, das Es und sein Gegenteil. Geheimnisse müssen gewahrt bleiben, um gegen totalitäre Versuchungen gefeit zu sein. Wohnt man so im „Hause Österreich“ (Ingeborg Bachmann; auch sie sprach einmal von der Notwendigkeit, manches im Geheimnis zu belassen.) Sicher liegt in dieser Problematik „ein haltgebendes Merkmal des österreichischen Erbes in den folgenreichen Wandlungsvorgängen der Gegenwart“ (Strolz).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung