6966809-1985_16_11.jpg
Digital In Arbeit

Worte aus Licht

Werbung
Werbung
Werbung

In einer - wie sie es nennt - biblischen Kindheit aufgewachsen und groß geworden, hat Christine Busta in ihren frühen Gedichten die Volksfrömmigkeit in vollendete Kunstgebilde zu verwandeln vermocht. Auf ihrem weiteren Lebensweg hat sie ihren Glauben und ihr Christentum jedoch in einer sehr persönlichen Art radika-lisiert, was schon dadurch zum Ausdruck kommt, daß die Symbole und Figuren der christlichen Tradition häufig zugleich mit einer Warnung ihres Anders-Seins auftreten. Dem „anderen Zustand” Robert Musils entspricht die „andere Frömmigkeit” Christine Bustas, die zugleich auch Weltfrömmigkeit zu sein trachtet und sich in der Solidarität alles Lebendigen ausdrückt.

Poetologisch entspricht diese Verbundenheit aller Wesen und auch aller Dinge untereinander der Metapher, der bildlichen Ausdrucksweise. Wie eine von dem Mathematiker Alfred Berger und dem Germanisten Kurt Adel programmierte statistische Untersuchung mit Hilfe eines Computers gezeigt hat, wird die Bilderwelt Christine Bustas aus der Natur, aus der Bibel und der Antike gespeist.

In der Bildersprache sind es Dinge, Pflanzen, Tiere und die heüigen Wesenheiten, die auf der ontologischen Stufenleiter auf und ab schweben Und auf diese Weise innere Bindungen herstellen, welche die jeweilige Denkmode streng geteilt hat. Auf eine solche Bildersprache kann keine Dichtung verzichten, mag es uns zuweilen auch vorkommen als sei sie bloß Zierat und Ornament. Christine Bustas Dichtung reicht über solchen dekorativen Bildgebrauch weit hinaus ins Symbol, dem mit dem Wörterbuch einfacher Bedeutungsentsprechung nicht beizukommen ist. Ihre Symbolsprache ist umso vieldeutiger, je einfacher die Grundbefindlichkeit ist, von der diese Symbole ausgehen.

Allesamt sind wir Zehrende, Verzehrende. Zwischen der Assimilation fremder Wesen und fremder Energien einerseits, und Dissimilation, Abscheidung, Rückgabe und Reinigung andererseits schwingt das Pendel des Lebens unaufhörlich hin und her. Deshalb steht das Brot an zentraler Stelle dieser Symbolsprache. Ihm gelten viele der großartigsten Gedichte Christine Bustas und geben jedem Brot eine eucharisti-sche Aura. Aber auch andere Nahrungsmittel — die Distel für den Esel, der Knochen für den Hund - vermitteln überraschende Kunde vom Leben auf diesem „Brotstern”, denn die Symbole stehen ja niemals vereinzelt. Sie gruppieren sich oder durchdringen einander im Gedicht.

Alle Speisung ist zugleich Opferung eines Wesens für und durch ein anderes. Das Ruchlose und das Gebotene verschränken sich ineinander, wofür das doppeldeutige Wort „sacer” steht, was für das Verbrecherische ebenso gültig ist wie für das Heilige. Somit ist es eine Speisekette, eine „Kommunion” fast aller mit allen, welche die Einheit der Schöpfung mitbedingt. Der Glaube heiligt das Brot, aber auch das Brot ermutigt und bestätigt den Glauben. Zwischen dem Zeichen des Körpers, dem Brotlaib, und dem Zeichen des Nichtkörpers, der weltumspannenden Kommunion, besteht eine umkehrbare Beziehung. Christus ist das Weizenkorn, aber auch das Weizenkorn gemahnt uns an Christus.

Zwischen der archaischen Pa-tristik und einer heute sich rasch ausbreitenden Gnosis, wie sie durch die moderne Naturwissenschaft angeregt wird, geht Christine Busta ihren Weg des Neubeginns und des symbolischen Denkens, wozu sie die nur ihr eigene Anschauungskraft befähigt.

Nicht nur gegensätzlich, sondern auch komplementär zum Brot der Speisung liegt der Stein, jener Stein, den Luzifer vom Boden aufhebt und als Versuchung hinreicht. Auch er wie das Salz und das Jüngste Gericht sind zentrale Themen unserer Dichterin. Denn hinter der Versteinerung - dieser Verfremdung des Lebens ins Anorganisch-Unlebendige — verbirgt sich ein Positives: die Ein-verwandlung des Lebens ins Prinzip der strahlenden Dauer und der endgültigen Entrücktheit. An dem Kiesel im Flußschotter — dem sie eine meisterhafte Laudatio widmet — haben zwei gegensätzliche Kräfte lange gearbeitet. Aus all dem, was statistischer Zufall, was Reibung und Erosion gewesen ist, ging zuletzt ein Gebilde hohen Ordnungsgrades und vollendeter Rundung hervor. So entwickelt sich aus dem Kiesel das Symbol einer Zielvorstellung, ähnlich dem Brot als Abschluß einer Nahrungsund Opferkette.

Diesem Inhalt entspricht die neue lakonische Form: „Das Singen hat aufgehört. Einzelne Worte fallen. Sternfunken.” Dieser erlittenen Sprache gemäß weist nun der Weg zurück zur asketischen Entleerung. Nur in Knechtsgestalt kann, wie Rem-brandt immer wieder zeigt, die Vollendung dieser Welt in Erscheinung treten. Wer aber die Fahne der Armut verrät, der gerät in Gefahr, als Herrenfahrer seiner Lebensbequemlichkeit ins

Schleudern zu geraten und aus seinem Selbst hinausgeworfen zu werden. Gegen diese Verödung verwehrt sich Christine Busta: „Ich weiß nicht, ob, was ich schreibe, Kunst ist. Ich habe mich dem Leben verschrieben und durch mein Leben dem der anderen.”

Ihre Dichtung lebt aus der Bewegung der Zuwendung und des reinen „Für jemanden da sein”. Wenn die harte Welt aus Stein, Trotz und Schuld von dieser Bewegung berührt wird, gibt es keinen „Gegen-Stand”, nichts Entgegenstehendes mehr, das zur Polemik, zum Widerstand, zur Stauung von Gegenkräften führen könnte. Christine Bustas Lyrik will von der einen zur anderen Seite des Abgrunds von Schuld eine Brücke bauen und auf ihr Dienst tun. Darin sieht sie die Nachfolge des Stationsweges, der immer ein Vorangehen zu allem Bitteren und Schmerzvollen, zu allen von der Schuld Gezeichneten verlangt: „Auch zwischen finsteren Brauen ist Raum für das Zeichen des Kreuzes”. Daher ist es nicht ganz richtig, wenn Christine Busta von sich sagt: „Ich bin nicht Mutter Teresa und nicht Bruder Franziskus. Ich bin nur ein bedenklicher Christ.” Als solcher, so dürfen wir ergänzen, ist sie in dieser Zeit eine „andere Mutter Teresa”, ein „anderer Bruder Franziskus”. Und wenn es einmal hieß: Natur und Geist, so spricht man nicht zu Christen — Christine Busta hat in der Natur nicht die Sünde, sondern die ungeheuerlich große Toleranz gesehen, die auch den Geist und dessen Ubernatur in sich aufzunehmen vermag.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung